Ein Fürst und sein Hof
06. Juli 2025 | von Roksana LeonettiWie Kurfürst Ernst August den Großen Garten zur Bühne für Feste, Theater und Macht machte. Ein Blick auf die faszinierende Barockzeit in Hannover.

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Der Große Garten als Bühne des Barock
Ein warmer Sommerabend um 1695. Im Großen Garten von Herrenhausen flackern tausende Kerzen, Masken schweben durch Heckenräume, Trompeten erklingen, und aus dem Garten duftet es nach Orangenblüten und heißer Schokolade. Kurfürst Ernst August bittet zum Fest und setzt dabei ein Zeichen: Dies ist nicht nur ein Garten. Es ist eine Bühne. Für Politik, für Kunst und für Macht.
Als Ernst August ab 1679 die Regierung in Hannover übernimmt, hat er ein Ziel: den Aufstieg zur Kurfürstenwürde. Dafür braucht es mehr als Verhandlungsgeschick, es braucht Inszenierung. Gemeinsam mit seiner klugen Gattin Sophie von der Pfalz beginnt er, die Sommerresidenz Herrenhausen auszubauen. Aus einem schlichten Lustgarten wird ein imposantes Gesamtkunstwerk aus Parterre, Wasserspielen, Orangerie und – ganz neu in Norddeutschland – einem Heckentheater. Der Große Garten wird zum Statement des politischen Aufbruchs.

Ein Garten als Spiegel der Welt
Der Garten ist streng gegliedert, perspektivisch geplant, durchzogen von Achsen, Bosketten und Mythen. Nichts ist hier dem Zufall überlassen. An der Nordseite des Hauptparterres thronen vier Allegorien: Europa, Asien, Afrika und Amerika. Sinnbilder für einen Herrscher mit weltumspannendem Anspruch. Die vergoldeten Skulpturen zeigen Figuren aus der Welt von Kunst und Bühne: Tänzerinnen, Faune, Aphrodite oder Paris mit dem Apfel. Im sogenannten Königsbusch stehen Sandsteinplastiken aus der Zeit um 1690. Darunter Herzog Georg von Calenberg, Kurfürst Ernst August, Georg Ludwig und Kurfürstin Sophie.
Was heute als Spazierweg dient, war damals eine Bühne höfischer Selbstdarstellung. Der Garten, in dem Ernst August flanierte, war eine Chiffre für Disziplin, Herrschaft und Größe. Wer eingeladen wurde, bewegte sich durch ein lebendes Tableau der Macht. Ein grünes Versailles des Nordens.
Vergnügen mit System
Doch Macht zeigte sich nicht nur in Marmorskulpturen. In Herrenhausen feierte man. Und das mit Kalkül. Die Gartenfeste dienten der Diplomatie, der Imagepflege, der Allianzbildung. Gäste aus ganz Europa kamen nach Hannover, um sich von der barocken Pracht beeindrucken zu lassen.
Berichte schwärmen von Illuminationen mit über 3.000 Lichtern, Musik aus versteckten Laubengängen, Gondelfahrten auf der Graft. Zwischen Hecken kam es zu verstohlenen Begegnungen. Maskenbälle erlaubten, was der Etikette sonst nicht gestattet war. Kulinarisch wurde aufgefahren, was die Zeit hergab: Kaffee, Tee, Schokolade, Liköre, Speiseeis. Die wichtigsten Gäste speisten von goldenen Tellern. Alle anderen – immerhin – von silbernen.
Auch das Bühnenbild stimmte: Das 1689 errichtete Heckentheater war das erste seiner Art in Deutschland. Mit grünem Amphitheater, vergoldeten Bleifiguren und einer Naturbühne, die Schäferspiele, Komödien und allegorische Dramen beherbergte. Die Grenzen zwischen Natur und Kunst verschwammen. Der Garten wurde zum lebendigen Theatrum Mundi.

Politik in Opernform
Als 1692 endlich das Ziel erreicht ist – Ernst August wird Kurfürst – feiert man mit einer Oper. Enrico Leone, komponiert von Agostino Steffani, erzählt vom Welfen-Vorfahren Heinrich dem Löwen. Eine bewusste Wahl. Kurfürstin Sophie schrieb augenzwinkernd, das Stück diene dazu, „damit die Nachwelt den Rang, den dieses Haus früher innehatte, nur nicht vergisst“. Das höfische Theater war also keine Spielerei, sondern ein Werkzeug politischer Kommunikation.
Der Erfolg war gewaltig. Das Opernhaus in der Residenz, das Theater im Garten, die klug komponierten Feste, sie machten Hannover sichtbar. Und begehrlich. Selbst der junge Georg Friedrich Händel sollte einige Jahre später am Hof wirken. Herrenhausen wurde zur kulturellen Adresse, weit über die Grenzen des Kurfürstentums hinaus.
Ein Garten mit Nachhall
Auch nach Ernst August blieb der Garten ein Zentrum höfischen Glanzes. Sein Sohn Georg Ludwig – später König von Großbritannien – und dessen Nachfolger setzten die Festtradition fort. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts wurden hier Opern, Feuerwerke und Festtafeln veranstaltet, die bis heute nachwirken.
Wer heute durch den Großen Garten flaniert, bewegt sich durch ein Stück politisch inszenierter Naturgeschichte. Zwischen Hecken und Fontänen flüstert noch der Glanz vergangener Nächte. Und wer genau hinhört, meint vielleicht sogar, eine Maske rascheln und eine Trompete klingen zu hören.