Ein halbes Leben hinterm Steuer – Hannovers Taxifahrer erzählt

17. November 2025 | von Frauke Hansen

27 Jahre Taxifahren, unzählige Begegnungen: Thorsten Amrhein erzählt in seinem Buch von skurrilen, berührenden und echten Momenten.

Taxi-Aufmacher: Leuchtendes Taxischild auf einem Auto bei Nacht in der Stadt Foto: Freepik

Herr Amrhein, 27 Jahre Taxifahren in Hannover – das ist fast ein halbes Menschenleben. Wie sind Sie ursprünglich zum Taxifahren gekommen?

Um mein Zweitstudium zu finanzieren, habe ich mit dem Taxifahren angefangen und bin dort hängen geblieben. Die vielen Vorzüge haben mich damals überzeugt: völlige Freiheit bezüglich meiner Arbeits- und Urlaubszeiten, guter Verdienst durch das starke Nachtgeschäft und die Trinkgelder. Außerdem habe ich die Ruhe in den Wartezeiten genossen, in denen ich lesen, nachdenken und schreiben konnte.

Buchcover von Thorsten Amrhein: 'Kann ich den Typen nicht hier im Taxi lassen?' – Vom vergessenen Kind bis zum stornierten Toten
Cover: zu Klampen Verlag

Ihr neues Buch trägt den wunderbaren Titel „Kann ich den Typen nicht hier im Taxi lassen?“. Wie ist dieser Satz entstanden – und wer war dieser Typ?

Der Titel ist eine natürlich nicht ernst gemeinte Frage einer jungen Dame, die mit dem Verhalten ihres Freundes im Taxi ihr gegenüber nicht einverstanden war.

Welche Geschichte aus dem Buch hat Sie persönlich am meisten berührt?

Da fällt mir als Erstes die Frau ein, die durch einen Autounfall ihren Mann und ihre beiden Kinder verloren hat. Sie hatte sich von mir in eine Klinik bringen lassen, in der sie psychologisch betreut werden musste.

 

Und welche bringt Sie heute noch zum Lachen, wenn Sie daran denken?

Da gibt es mehrere … Wenn ich eine herauspicken soll, nehme ich: „Die arme Frau“. Am Ende der Fahrt stellte sich heraus, dass die junge Dame kein Geld dabeihatte. Sie hat dann versucht, mir schöne Augen zu machen und mich auf später zu vertrösten. Diesen Blick werde ich nie vergessen, weil er offensichtlich gespielt und dadurch so lächerlich war.

Gibt es etwas typisch Hannoversches an Ihren Fahrgästen – oder ist die menschliche Komödie überall gleich?

Vor vielen Jahren habe ich einmal ein Buch einer New Yorker Taxifahrerin gelesen, das sich größtenteils mit meinen Erfahrungen gedeckt hat. Da wurde mir klar: Egal in welcher Stadt – überall erleben Taxifahrer mit ihren Gästen vergleichbare Geschichten. Die Menschen sind überall auf der Welt einfach sehr ähnlich. Zumindest überwiegen die Gemeinsamkeiten bei Weitem die Unterschiede. Insofern spielt der Ort des Geschehens nur eine untergeordnete Rolle. Nichtsdestotrotz findet sich viel Lokalkolorit in meinem Buch.

Wenn Sie Hannover in drei Szenen beschreiben müssten – wie würden die aussehen?

Da darf das größte Schützenfest der Welt nicht fehlen: Vor meinem inneren Auge sehe ich die Männer und Frauen in grüner Tracht, wie sie Lüttje Lagen trinken.

Außerdem sticht der wunderschöne Zoo heraus. Eine Bootsfahrt durch die Sambesi-Landschaft ist im Sommer eine angenehme Abkühlung.

Das „Kleine Fest“ in den Herrenhäuser Gärten war bis vor Kurzem noch ein Highlight in Hannover.  Das Kleinkunstfestival hat Groß und Klein verzaubert. Familien sind mit Bollerwagen unterwegs gewesen und haben in den Gärten zwischen den Acts gepicknickt.

Taxifahrer sind oft Beichtväter auf Rädern. Wie nah darf man den Geschichten der Fahrgäste kommen, ohne sich selbst zu verlieren?

Wenn man die Gäste zum ersten und gleichzeitig zum letzten Mal sieht, wie meistens, ist die Gefahr sich zu verlieren minimal. Man hat gar keine Zeit, sich auf das Gegenüber emotional so tief einzulassen. Anders sieht es beispielsweise bei Dialysepatienten aus, die man regelmäßig fährt und bei denen man den langsamen Verfall hautnah miterlebt.

Porträtfoto von Amrhein vor neutralem Hintergrund
Autor Thorsten Amrhein. Foto: Ina Sommer

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass man als Taxifahrer mehr über die Stadt und ihre Bewohner weiß als jeder Politiker oder Journalist?

Da ich mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen aus allen Altersklassen und gesellschaftlichen Schichten zu tun habe, denke ich, dass ich schon einen ganz guten Überblick über die Themen habe, die die Menschen gerade beschäftigen, über ihre Stimmung, Ängste und Hoffnungen. Auch die Stadtpolitik ist ein von meinen Gästen oft kritisch angesprochenes Thema.

Vielleicht ist man als Taxifahrer tatsächlich eher am Puls der Zeit als so mancher Politiker. Und Journalisten sind ja oft auf bestimmte Themen spezialisiert und haben dann nicht die Bandbreite an Erfahrungen eines Taxifahrers.

Ende 2024 haben Sie aufgehört, Taxi zu fahren. Vermissen Sie das Leben auf vier Rädern?

So wie das Taxigeschäft zuletzt aussah, vermisse ich es nicht. Es hat sich finanziell einfach nicht mehr gelohnt – insbesondere wegen neuen Konkurrenten wie Uber. Aber an bestimmten Tagen, z. B. bei einem großen Stadionkonzert oder wenn ich auf der Autobahn ein auswärtiges Taxi sehe, das eine sehr weite Fahrt hatte, bekomme ich doch wieder Lust zu fahren und werde etwas wehmütig.

Gibt es eine Fahrt, die Sie nie vergessen werden?

Da gibt es viele. Eine davon ist sicherlich die Einkaufsfahrt, in der ich für die Einwohner eines Altenheims einen derart großen Einkauf erledigen sollte, dass ich den übervollen Einkaufswagen vor Wut fast gegen die Regale gefeuert hätte – nach über einer Stunde oft vergeblichen Suchens der Produkte im Supermarkt.

Und zum Schluss: Wenn Sie einem Ihrer Fahrgäste heute noch einmal begegnen könnten – wer wäre das?

Eine sehr interessante Frage, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht habe … Ich würde wohl gerne noch einmal den Musiker und Schachfreund aus der Geschichte „Schachmatt“ treffen, mit dem ich stundenlang in einer Kneipe Schach gespielt habe. Nur leider ist das auch theoretisch nicht mehr möglich …

„Kann ich den Typen nicht hier im Taxi lassen? - Kuriose Erlebnisse eines Taxifahrers“  | zu Klampen Verlag | Erscheinungsdatum: 14.11.2025