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Siegfried Neuenhausen: Dieser Abfall ist Kunst

17. März 2023

Eigentlich waren sie Abfall. Die überzähligen Drucke, die nur Platz wegnahmen. Prof. Siegfried Neuenhausen wollte sie entsorgen. Aufräumen. Ab in die Tonne. Doch dann, als er die Schnipsel seiner Werke in Händen hielt, hatte er eine Idee. Die Ergebnisse dieses Einfalls sind jetzt in der städtischen Galerie Kubus zu sehen: „Neuenhausen: Pandemische Collagen 2020-2023 Volume 2“. 

Text: Heike Schmidt, Fotos: privat, Siegfried Neuenhausen

Die erste Ausstellung unter diesem Titel hatte im Herbst 2022 wegen eines Wasserschadens in der Galerie abgesagt werden müssen. Jetzt wird sie nachgeholt – mit neuen, noch aktuelleren Arbeiten. Großformatig sind sie geworden. „Wissen Sie, warum die Collagen von Kurt Schwitters nur so klein sind?“, fragt Neuenhausen bei einem Rundgang durch die Galerie. Die Antwort folgt prompt: „Er hatte nur wenig Material. Ich hingegen hatte Einiges.“ Dementsprechend großformatig sind die Ergebnisse. 

Die Deutsch-Deutschen Blätter beispielsweise, die er 1990 herstellte, sind jetzt zu Kurzgeschichten in Schwarz-Weiß geworden, die an Szenen des Film Noir erinnern. Das müssen noch nicht einmal die „Kurzgeschichte (Mann mit Hut unten links)“, das „Stürzende Flugzeug“ oder die „Männer-Reihe“ sein. Während diese Werke alle aus dem Jahr 2020 stammen, sind es im darauffolgenden Jahr eher Kreisstrukturen, die wirbelnd die Grenzen zu sprengen scheinen. Neben Meteoriten, die auf zwei Kollagen die Bildfläche hinunterstürzen, sind es auf den beispielsweise auf den „Popanz“-Collagen übergroße, scherenschnitthaftige Menschengestalten, die wirbelnde Kreise frei lassen. Wie in diesem Zusammenhang „Popanz“ definiert wird, bleibt dem Betrachter überlassen. Ist damit eine vermeintliche Bedrohung gemeint? Oder handelt es sich um eine Person, die sich willenlos gebrauchen lässt? 

Siegfried Neuenhausen: Aus Alt wird Neu.

30 Jahre sind die Blätter alt, aus denen Siegfried Neuenhausen diese Collagen gefertigt hat. „Ich hatte damals 100 Exemplare pro Blatt hergestellt“, erinnert er sich. 30 seien vielleicht pro Druck verkauft worden. Später vielleicht nochmals zehn bis 15 Stück. „Es lagen also noch etwa 700 Blätter schwer in meinen Grafikschubladen“, sagt der Künstler, der inzwischen 91 Jahre alt ist und an einer Makuladegeneration leidet. Dieses Augenleiden führt dazu, dass Betroffene immer weniger sehen können. Sie ist unheilbar und schreitet immer weiter voran. Der fortschreitende Verlust der Sehfähigkeit war aber nicht nur der Grund für die Aufräumaktion des Künstlers. Durch sie kam Neuenhausen auf die Idee, aus den Schnipseln seiner alten Kunstwerke, Neue zu formen. 

Fotos: Siegfried Neuenhausen

„Ich dachte zuerst: Ist das etwas für die Müllentsorgung“, erinnert sich Neuenhausen. Doch dann habe er an den zerschnittenen Teilen bemerkt, dass er Schwarz-Weiß-Kontraste noch gut sehen konnte: „Das war ein Glücksfall.“ Denn natürlich könne kein Künstler ohne Emotionen seine eigenen Werke zerstören, um sie zu entsorgen. Spielerisch habe er die Schnipsel genommen und Neues daraus gemacht. So entstanden immer mehr großformatige Collagen. Und immer mehr Prittstifte mussten her. Diese sind auch Teil der Ausstellung geworden. In einem Kubus aus Plexiglas sind etwa 100 der leeren Klebestifte zu sehen. Die Collage, die dahinter hängt, sollte man sich in diesem Zusammenhang auch einmal genauer ansehen: Sie ist zum Teil aus den abgelösten Etiketten der Klebermarke zusammengesetzt. 

Ein sicheres Gefühl für Kompositionen

Aus alten Dingen neues gestalten. Zerschneiden, kleben. Das alles nicht so genau nehmen. Den Klebstoff hat Neuenhausen nicht immer auf die ganze Schnipseloberfläche getan, so dass die Kanten abstehen. Manchmal hat er bis zu 20 Schichten so übereinander- und zusammengefügt, dass das ganze Bild fast reliefartig hervortritt. Die Haptik beim Schaffensprozess war Neuenhausen wichtig. Für den Betrachter wird ein besonderes Thema greifbar: Mit den Augen fühlen. „Die Details kann ich nicht mehr sehen“, sagt Neuenhausen: „Aber ich habe ein sicheres Gefühl für die Komposition und das Ganze.“ 

Die Ausstellung „Neuenhausen: Pandemische Collagen 2020-2023 Volume 2“ ist bis zum 30. April 2023 in der städtischen Galerie Kubus, Theodor-Lessing-Platz 2, dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr zu sehen.

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