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Musik für Neugierige

11. November 2024

Egal ob im Supermarkt, Fitnessstudio, Club oder im Autoradio: Gefühlt leben wir in einer Dauerbeschallung von mitsingbaren Pop-Hits der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, die zumeist in ganz Europa und Nordamerika sofort wiedererkannt werden. Aber kennen Sie auch die sogenannte Neue Musik?
Seit dem frühen 20. Jahrhundert stellt diese avantgardistische, kunstvolle und experimentelle Musikrichtung
die traditionelle Harmonielehre, Melodik und Rhythmik komplett infrage und fordert ihre Hörer heraus. Sie ist kaum etwas zum Mitsingen oder Mitwippen – obwohl, manchmal doch –, denn sie passt in keine Schublade. In Hannover ist Neue Musik seit den 1990er-Jahren fest verankert. Der Verein „Musik für heute“ fördert diese besondere Kunstform und macht sie einem wachsenden hannoverschen Publikum zugänglich.

Im Souterrain der Alten Grammophonfabrik in der Nordstadt befinden sich das Büro des Vereins „Musik für heute“ sowie ein kleiner Proben- und Aufführungsraum des Neuen Ensembles. Hier sprechen drei Menschen miteinander, die die Szene für Neue Musik in Hannover maßgeblich prägen. Dr. Sabine Schormann und Carola Schwennsen sind im Frühjahr in den Vorstand des Vereins gewählt worden. Der studierte Pianist und Schlagzeuger Stephan Meier ist Künstlerischer Leiter des Neuen Ensembles, einem international erfolgreichen Zusammenschluss von sechs Musikerinnen und Musikern aus ganz Deutschland.

Schlüsselerlebnisse

Alle drei sind bereits früh mit Neuer Musik in Berührung gekommen, wenngleich auf ganz unterschiedliche Weisen. Bei Sabine Schormann begann es als Jugendliche mit einem Abo der Alten Oper in Frankfurt, wo regelmäßig Stücke Neuer Musik gespielt wurden, und setzte sich im Berufsleben fort, als sie als Chefin der Niedersächsischen Sparkassenstiftung viele Förderprojekte der Neuen Musik kennenlernte: „Da habe ich einige sehr spektakuläre Momente erlebt. Ein Schlüsselerlebnis war vielleicht die Aufführung von Markus Stockhausens Stück „GeZEITen“ mit mehr als 500 Mitwirkenden und einem Feuerschiff in Cuxhaven.“ Carola Schwennsen berichtet von ihrer Klavierlehrerin zu Schulzeiten, die sie zugleich in Musiktheorie unterrichtet hat. Gemeinsam mit der Lehrerin hat Carola Schwennsen versucht, Musik ganz anders zu machen und zu erleben: „Diese Klavierlehrerin hat wesentlich mehr gemacht, als ihre Aufgabe gewesen wäre. Das war ein Glücksfall für mich und meine Entwicklung.“

Dr. Sabine Schormann, Stephan Meier und Carola Schwennsen (v.l.n.r.) kümmern sich um die Neue Musik.

Dennoch: Neue Musik ist für die meisten Menschen keine Liebe auf den ersten Blick, dafür ist sie zu sperrig,
zu avantgardistisch und bricht zu sehr mit lieb gewonnenen Hörgewohnheiten. Wie kann jemand, dem diese Musikform nicht in die Wiege gelegt worden ist, dennoch auf den Geschmack kommen? „Es lohnt sich, sich hinzusetzen und die Musik einfach häufiger zu hören. Nach einer Weile versteht man immer mehr“, erklärt Schwennsen.

"Man muss die Musik live erleben"

Mit welchen Stücken sollte man beginnen? Sabine Schormann denkt kurz nach: „Es gibt ein paar wirklich tolle Einspielungen, die auch auf unserer Webseite abrufbar sind. Aber ehrlich gesagt meine ich, man muss die Musik live
erleben. Wenn man die Begeisterung der Musiker spürt und wenn dann vielleicht noch die Komponistin da ist,
dann kommt man miteinander ins Gespräch. Das sind die Momente, aus denen man wirklich etwas mitnimmt.“

Der persönliche Kontakt ist ein wichtiger Anknüpfungspunkt. Bei Konzerten für Neue Musik lernen die Gäste die
Musiker und Komponisten auf eine Weise kennen, die bei regulären klassischen Konzerten völlig unüblich ist.

Zudem sind ganz neuartige Hörerfahrungen von ungewöhnlichen Instrumenten zu erwarten. So ist Stephan
Meier als Kind durch die Töne der Töpfe auf dem Küchenfußboden seiner Mutter neugierig geworden, neue Klangfarben zu erkunden. Carola Schwennsens Lieblingsstück ist „Forajzok“ von Máron Illés (2021), das zum Teil mit
Geldmünzen als Instrumenten gespielt wird – und zwar unbedingt in der ungarischen Währung Forint. Alle drei
erinnern sich gerne an das Stück, das sie in einem der vom Verein organisierten Konzerte gehört haben und das
allein aus den vielfältigen Tönen bestand, die entstehen, wenn Fingernägel auf Kakteenstacheln treffen.

Was kommt jetzt?

Stephan Meier: „In der Neuen Musik wollen wir herausfinden, wie Musik weitergeht. Wir kennen alle die klassischen
Stücke, die seit hundert Jahren gespielt werden, aber die Frage ist doch, was kommt jetzt?“ Sabine Schormann
ergänzt: „Die Menschen, die sich für Neue Musik interessieren, sind immer neugierig darauf, was es noch so gibt.“
Um die Grenzen des Hör- und Spielbaren zu erweitern, organisiert der Verein nicht nur Konzerte, sondern vergibt
auch regelmäßig Auftragskompositionen.

Alle drei verbinden musikalische Schlüsselerlebnisse, die sie zur Neuen Musik gebracht haben.

Sabine Schormann und Carola Schwennsen stehen in sehr großen Fußstapfen. Sie folgen auf die langjährigen Vorsitzenden Angela Kriesel und Heidi Dunkel. Schriftführerin Barbara Krüger ist im Amt geblieben und sorgt für die nötige Kontinuität im Neustart. Welche Visionen und Ziele hat der neue Vorstand für den Verein? „Viele!“, kommt die Antwort sofort. „Wir planen mit einem weiten Zeithorizont. 2028 jährt sich der Geburtstag von Karlheinz Stockhausen zum 100. Mal, das ist so ein fixes Datum. Wir wollen zum Beispiel internationaler und spartenübergreifender denken und effizienter werden, um die Konzerte und Kompositionen einem größeren Publikum an verschiedenen Orten auch über Hannover hinaus anzubieten.“

Weitere Infos unter https://dasneueensemble.de/

Text: Catrin Kuhlmann
Fotos: Tobi Wölki

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