TSV Havelse – Aufstieg mit Herz, Verstand und regionaler Kraft

17. September 2025 | von Maja Henschel

TSV Havelse: Kleinster Profiverein, große Cinderella-Story, regionale Wurzeln, 3. Liga dank Teamgeist, Mut und Leidenschaft.

TSV Havelse Spieler feiern ein Tor vor jubelnden Fans im Stadion Aylin Kreutzstein

Es sind diese Momente, die den Fußball unvergesslich machen: ein Verein aus Garbsen, tief verwurzelt in der Region Hannover, schreibt seine eigene Cinderella-Story. Der TSV Havelse, über Jahrzehnte ein fester Bestandteil des niedersächsischen Fußballs, kehrt nach einer dominanten Saison in der Regionalliga Nord in den Profifußball zurück. Mit 14 Punkten Vorsprung marschierte die Mannschaft durch die Liga, um sich schließlich im Relegationsrückspiel gegen Lok Leipzig mit 3:0 nach Verlängerung endgültig das Ticket für die 3. Liga zu sichern.

„Dieser Aufstieg bedeutet mir unendlich viel – nicht nur als Trainer, sondern auch als Mensch, der mit diesem Verein aufgewachsen ist“, sagt Samir Ferchichi, der seit seiner Jugend beim TSV wirkt und den Klub nun als Cheftrainer führt. „Havelse ist für mich Heimat. Dass wir es gemeinsam geschafft haben, zurück in den Profifußball zu kommen, ist wie ein Traum, der Wirklichkeit wird.“

Der besondere Spagat von Florian Riedel


Eine Besonderheit des Vereins ist Florian Riedel, der in Personalunion Sportdirektor, Geschäftsführer und aktiver Spieler ist – eine Konstellation, die es im deutschen Profifußball sonst nicht gibt. „Als Mitspieler habe ich einen direkten Zugang zur Mannschaft. Ich glaube nicht, dass es irgendwo in Deutschland einen Sportdirektor gibt, der seine Spieler besser kennt als ich“, sagt er. Diese Nähe verschafft ihm ein besonderes Gespür für den Kader und fließt in Vertragsgespräche, Trainerabstimmungen und die Kaderplanung ein.

Doch für Riedel geht es um mehr als die tägliche Arbeit auf und neben dem Platz: „Meine Hauptaufgabe sehe ich darin, die sportlichen und wirtschaftlichen Strukturen weiterzuentwickeln und den Verein so aufzustellen, dass er langfristig konkurrenzfähig bleibt.“

Fußballspieler des TSV Havelse im Spiel auf dem Rasen
Florian Riedel in Aktion beim Aufstiegsspiel. Foto: Aylin Kreutzstein

David unter den Goliaths
 

Der TSV ist in der 3. Liga der absolute Underdog. „Wir sind der kleinste Verein im deutschen Profifußball – das ist Fakt. Manche unserer Konkurrenten haben das Zehnfache unseres Budgets“, erklärt Riedel. Doch gerade in dieser Außenseiterrolle sieht er eine Stärke: „Wir sind gezwungen, innovativ zu denken, neue Wege zu gehen und uns immer wieder neu zu erfinden. Es ist das schönste Kompliment, wenn andere Vereine fragen: Wie schafft ihr das eigentlich?“

Verwurzelung in der Region
 

Was den TSV besonders macht, ist seine regionale Identität. Gleich 16 Spieler des Kaders stammen aus der Region Hannover oder aus der eigenen Jugend. „Etwas Vergleichbares gibt es im deutschen Profifußball nicht. Man stelle sich vor, beim FC Bayern würden 16 Spieler aus München kommen – unvorstellbar. Bei uns ist das Realität“, so Riedel.

Diese Verwurzelung ist zugleich Einladung an die Fans der Landeshauptstadt, das Team zu unterstützen. Denn für die kommende Saison zieht der TSV ins Eilenriedestadion, da das Wilhelm-Langrehr-Stadion in Garbsen nicht den Anforderungen des DFB entspricht. „Wir sind Hannover 96 sehr dankbar für die Möglichkeit. Das ist keine Selbstverständlichkeit und ein tolles Beispiel, wie sich die Vereine in der Region unterstützen können.“

Trainer des TSV Havelse auf dem Spielfeld mit Vereinslogo auf dem Shirt
Trainer Ferchichi feiert den Aufstieg mit Leidenschaft. Foto: Aylin Kreutzstein

Die Philosophie von Samir Ferchichi
 

Sportlich verkörpert der TSV Havelse eine klare Haltung. „Das Fundament unseres Erfolgs war Vertrauen, Klarheit und tägliche Arbeit. Es ging nie darum, perfekt zu sein, sondern jeden Tag besser zu werden“, beschreibt Ferchichi. Entscheidend sei die Einstellung seiner Mannschaft gewesen: „Die Jungs wollten nicht nur gewinnen, sie wollten dominieren, Verantwortung übernehmen.“

Sein Fußball ist intensiv, aggressiv, mutig. Besonders zu Hause baut Havelse auf seine Stärke. „In Havelse herrscht eine besondere Atmosphäre – nah, intensiv, ehrlich. Wer zu uns kommt, weiß: Es wird wehtun. Genau das ist unser Anspruch: eine Heimfestung.“

Dass diese Haltung Wirkung zeigt, erlebte man besonders in der Relegation gegen Leipzig. Ferchichi erinnert sich: „Wir mussten mutig sein und jede Minute mit maximaler Intensität angehen. Vor dem Spiel habe ich der Mannschaft ein Video gezeigt – zusammengeschnittene Botschaften von Familien und Freunden. Das hat uns emotional geeint. In der Verlängerung war klar: Wir haben nicht nur die Kraft, wir haben den Willen.“

Ein Team, das Familie ist
 

Der familiäre Zusammenhalt gilt als Herzstück des Vereins. „Beim TSV kennt jeder jeden – von der Geschäftsstelle bis zum Platzwart. Das ist unsere Grundlage“, sagt Ferchichi. Rituale wie Teamabende, Geburtstagsrunden oder offene Feedback-Gespräche sind Teil des Alltags. „Ich möchte Trainer, Mentor und Freund zugleich sein. Wer sich gesehen und wertgeschätzt fühlt, geht auch auf dem Platz weiter. Das zeichnet uns aus.“

Mission Profifußball – ein Projekt für die Region
 

Die sportlichen Erfolge sind nur ein Teil des großen Plans. Unter dem Motto „Mission Profifußball“ verfolgt Havelse ambitionierte Ziele: ein Stadionneubau, nachhaltige Nachwuchsförderung, die Stärkung der regionalen Identität. „Ohne eigenes Stadion hat der TSV keine Zukunft“, betont Riedel.

Gleichzeitig sieht er den Klub auch in gesellschaftlicher Verantwortung: „Wir bilden junge Menschen aus – auf und neben dem Platz. Dafür braucht es Investitionen in die Infrastruktur. Doch Profi-Sport ist auch ein Wirtschaftstreiber. Wir vergeben schon jetzt fast alle Aufträge an Unternehmen aus der Region. Aus diesem Zusammenspiel kann ein Projekt entstehen, das sportlich wie wirtschaftlich ein Gewinn für die gesamte Region ist.“

Mehr als Fußball
 

Vielleicht ist es genau diese Mischung, die den TSV Havelse so besonders macht: sportlicher Ehrgeiz, gelebte Bescheidenheit, ein klarer Wertekanon. Eine Mannschaft, die aus der Region kommt, für die Region spielt und gleichzeitig das Abenteuer Profifußball wagt. Ein Verein, der zeigt: Große Geschichten entstehen oft da, wo die Mittel am kleinsten sind und die Leidenschaft am größten.

TSV Havelse Fußballmannschaft beim Jubel nach einem Spiel auf dem Spielfeld
TSV Havelse feiert Aufstieg vor begeisterten Fans. Foto: Aylin Kreutzstein