Anstrengend, intelligent, lustig: Im Schauspielhaus verweist die Inszenierung von „Die Walküren“ auf Ränkespiele in einer Welt, in der Informationen mit Macht verhindert und die Verbindungen zwischen den verschiedenen Welten gekappt werden sollen.
Man muss sich darauf einlassen – auf diese schreckliche Familie, auf die Erzählweise des Stücks und auch auf zunächst irritierende, dann aber schon lustige Einfälle, die die Inszenierung „Der Walküren“ am Schauspielhaus Hannover ausmachen. Und noch eins sollte man vor einem Besuch vielleicht tun: Etwas über Richard Wagner und seine Adaption der nordischen Mythologie um Wotan und seine Familie sowie das Original wissen. Denn „Die Walküren“ von Caren Erdmuth Jeß ist an sich schon eine Interpretation, die wiederum von Nora Khuon (Dramaturgie) und Marie Bues (Regie) interpretiert wird. Und das macht das Ganze auf den ersten Blick etwas kompliziert. Auf den zweiten ist es ein intelligenter Ansatz, der durchaus komische Elemente hat. Ob man das mag oder nicht, ist wiederum der Auslegung des einzelnen Besuchers überlassen.
Geschwister bekommen ein Kind
Doch worum geht es? Zunächst einmal um den obersten aller Götter, Wotan (Irene Kugler), und seine Familie. Wotan ist in die Jahre gekommen und spielt lieber Flöte als sich um die Probleme zu kümmern, die er selbst in die Welt gesetzt hat. Da sind beispielsweise die Zwillinge Sieglinde (Tabitha Frehner) und Siegmund (Nils Rovira-Munoz), die nicht wissen, dass sie Geschwister sind. Die beiden verbringen eine Nacht miteinander. Sieglinde wird von ihrem Bruder schwanger. Wotan hat sie allerdings einst mit Hunding (Torben Kessler) verheiratet, was die Sache nicht einfacher macht.
Der Vater plant den Tod der Tochter
Brünhilde (Birte Leest) ist wiederum nicht nur die Hauptwalküre, sondern auch die Schwester von Sieglinde. Die Walküren, die Wotan einst erschaffen hat, sitzen auf einem 12357 Meter hohen Felsen fest und müssen sich von dort aus das Geschehen auf der Erde ansehen. Und das gefällt ihnen gar nicht. Nur ein Kind kann sie retten, von diesem kargen Ort wegzukommen – Sieglindes Kind. Da Wotan möchte, dass die Walküren schön auf ihrem Felsen bleiben, muss er verhindern, dass das Kind zur Welt kommt. Dementsprechend plant er, Sieglinde zu töten.
Es geht um Macht und Gewalt
Das will Brünhilde aus zweierlei Gründen verhindern: Zum einen ist sie die Schwester von Sieglinde, zum anderen wegen der Walküren, der sie selbst ja angehört. Und Fricka (Wolf List)? Die freut sich, dass endlich mal wieder was los ist in der Götterwelt und will sich den Kampf um Leben und Tod wie im Kino mit einer Tüte Popcorn ansehen. Es ist also eine feine Familie, die sich da auf der Bühne auslebt. Göttlich ist da erst einmal nichts. Macht und Gewalt beherrschen das Dasein.
Erdmuth als Moderatorinnen
Doch es gibt noch eine zweite Ebene. Erdmuth gibt es gleich zweifach: Florence Adjidome und Caroline Junghanns kommentieren das Geschehen auf der Bühne. Sie ordnen ein und relativieren einige „Fakten“ der verarbeiteten Mythologie. Kann es einen Berg von 12357 Metern Höhe überhaupt geben? Ist Brünhilde wirklich von ihrem Vater vergewaltigt worden? Und wenn Richard Wagner musikalisch einen Sturm aufziehen lässt, um die Handlung zu verstärken, wie würde sich bei ihm der Klimawandel anhören?
Anstrengend, intelligent und lustig
Das ist lustig und intelligent. Vor allem auch der Auftritt von Florence Adjidome als Wagners Seidenschuh, der verdeutlicht, wie gut Wagner in Sachen Selfmarketing war. Dadurch, dass sich die beiden Ebenen allerdings vermischen, muss man in dem knapp zweistündigen Stück schon sehr aufmerksam sein, um nicht den Faden zu verlieren – zumal ohne Pause durchgespielt wird und die Konzentrationsspanne dann doch irgendwann mal nachgibt. Es ist ein Stück, in dem man sich bis zum Ende keine Minute langweilt. Doch die Gefahr ist, dass man gedanklich zwischendurch aussteigt.
Eine karge Welt ohne Leben
Es ist eine karge Welt, in der das Stück spielt. Das Bühnenbild (Katja Haß) ist karg. Es sieht aus wie schwarz gefliest. Der Felsen ist steil. Der Bühnenboden ist abschüssig. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Selbst die einzige Pflanze – die heilige Esche Yggdrasil, die in der Mythologie der Germanen und Wikinger das gesamte Universum trägt und die verschiedenen Welten zusammenhält – liegt wie ein totes Stück Holz am Boden. Die Verbindung zwischen der menschlichen und göttlichen Welt ist gekappt.
Gelangweilte Götter
Und die Götter? Wotan hat keine Lust mehr am Leben. Ist sichtlich genervt von den Problemen, die er mit Gewalt lösen will. Seine Frau Fricka ist nicht minder gelangweilt und sucht den Nervenkitzel beim Showdown in der Götterwelt, wenn ihr Mann seine eigene Tochter ermordet. Dass Wotan von einer Frau und Fricka von einem Mann gespielt wird, zeigt umso deutlicher: Gewalt gibt es über Geschlechtergrenzen hinweg. Gibt es sie überhaupt? Wenn ja, wie sehen sie aus? Wie sie Kostüme (Amit Epstein), die alle Akteure (bis auf Wotan) tragen?
Will Wotan den Geist von der Welt verbannen?
Die Kostüme sind halb Abendkleid, halb Jumpsuit. Sie sehen edel aus und verdeutlichen: Die Gesellschaft, die sich hier in der kargen Landschaft trifft, ist eine durchaus reiche. Die Walküren auf dem Felsen tragen zudem schwarze Federperücken, die jeweils von einem Raben gekrönt werden. In der nordischen Mythologie begleiten zwei Raben die Götter. Der eine symbolisiert die aktive Suche nach Informationen, der andere steht für Geist und Intuition. Also hat Wotan seine Walküren auf den Felsen festgesetzt, um Information, Geist und Intuition aus der Welt zu schaffen? Er ist der mächtigste Mann des Universums – und zuzutrauen wäre es ihm.
Fragen zu aktuellen Ereignissen
Da drängen sich aktuelle Ereignisse auf. Wer agiert wie Wotan? Wer hat die Macht, Informationen zu lenken und/oder einzuschränken? Und man fragt sich: Wo sind die Walküren, wenn man sie braucht? Auf einem unerreichbaren Berg, den es eigentlich nicht geben kann? Und was ist mit der Esche? Kann man die Pflanze, die die verschiedenen Welten verbindet und trägt, wiederbeleben? Die Antworten kann sich jeder selbst geben. Man sollte sich aber darauf einlassen. Das Stück mag anstrengend sein, da es auf vielen Ebenen spielt. Es ist vielschichtig wie die Welt an sich. Und ja, am Ende gibt es Hoffnung: Sieglinde bringt Siegfried zu Welt.
Die nächsten Termine sind auf der Seite des Schauspielhauses Hannover zu finden.
Text: Heike Schmidt
Fotos: Kerstin Schomburg/Schauspiel Hannover