Hannover war und ist eine Stadt der Lyrik mit einer aktiven Szene. Wir stellen drei hannoversche Poeten vor.
Wir alle lesen – die Zeitung, das Internet, Romane, Sachbücher…und was ist mit Lyrik? Lyrik ist speziell. Manche lieben sie, manche fürchten sie, manche meinen, sie gar nicht zu verstehen und vergessen dabei, dass Lyrik uns schon in den ersten Lebensjahren begleitet.
Es beginnt mit den Kinderreimen beim Spielen. Dann die Weihnachtsgedichte, die brave Kinder vor der Bescherung aufsagen. In der Schule wird rezitiert, von Schillers Glocke und dem Hamlet-Monolog bis zur Moderne, je nach den aktuellen Lehrplänen. Es gibt oder gab wohl kaum einen Bildungsbürger-Haushalt ohne die Gedichtsammlung „Der ewige Brunnen“. Im März 2023 erschien eine Neuauflage, die sowohl Goethe als auch Udo Lindenberg umfasst.
Lyrik aus Hannover
Hannover war und ist eine Stadt der Lyrik. Die Szene ist aktiv und wird immer bedeutender. Hier werden neue Preise ausgelobt, und im Kulturbüro der Stadt ist die Lyrikerin Annette Hagemann für die Literaturförderung zuständig. Im Dezember 2023 erschienen die ersten drei Bände einer hannoverschen Lyrikedition, herausgegeben von Bernt Strebe, die sich den unveröffentlichten Gedichten hiesiger Autorinnen und Autoren widmet. Einer davon umfasst den neuen Gedichtband „Grillenliebchen“ von Sabine Göttel. Der Band der Lyrikerin Annette Hagemann erscheint 2024. Marco Sagurna, der selbst Gedichte schreibt, ist auch Herausgeber. Seine Anthologie „laub ist ein geruch es ist ein flirren – Neue Gedichte und Bilder vom Herbst“, mit fantastischen Naturfotos von Willi Rolfes, enthält ebenfalls Gedichte der beiden. Ein guter Grund, Dr. Sabine Göttel, Annette Hagemann und Marco Sagurna, drei Poeten aus Hannover, hier vorzustellen.
Dr. Sabine Göttel,
studierte Deutsche und Französische Literatur und arbeitet als freie Autorin, Dramaturgin, Lektorin und Dozentin für Literatur und Theater, u.a. an der Leibniz Universität Hannover und mit eigenen Projekten. Im November 2023 erhielt sie den Feldkircher Lyrikpreis, 2022 den Kurt-Sigel-Lyrikpreis des PEN-Zentrums Deutschland. Zum Verständnis ihrer Arbeit erklärt Sabine Göttel, dass sie sich gern alter Lyrikformen wie des Sonetts bediene, aber versuche, sie mit modernen Inhalten zu füllen, so dass es zeitgenössisch wirkt. Seit sie siebzehn Jahre alt ist, schreibt sie Gedichte. „Gedichte sind die für mich gemäße Ausdrucksform der Literatur“. Dass sie auch ein Faible für die romantische Lyrik hat, könnte darauf zurückzuführen sein, dass früher in der Schule viel gesungen wurde, „und Volkslieder sind ja auch Lyrik.“ Aber sie lege sich nicht fest und probiere sich in allem aus, auch in lyrischer Prosa.
Die Gedichte, die sie schreibt, entstehen aus einem inneren Bedürfnis heraus, aus Inspiration. „Ich merke, je subjektiver der Anlass ist, desto besser wird das Gedicht.
Als Beispiel wählt sie „die goldenen damen“ aus. Ein Gedicht, das inspiriert wurde von einem Besuch in Münchens Luxuskaufhaus und von den Frauen ihrer Familie, die stets elegant gekleidet, manikürt und geschmückt waren. Beim Familientreffen qualmten die Zigaretten. Von denen sie selbst sich aber unterscheidet, durch weniger Kaufkraft, aber mehr Kreativität. Daher bleibt sie „trotzig“ bei ihrem „Mäntelchen“ und geht den goldenen Damen nicht ins Netz, auch wenn es dort schöner und lustiger ist.
Annette Hagemann,
studierte Germanistik und Ethnologie und war 17 Jahre lang im Literaturhaus Hannover tätig. Seit 2018 arbeitet sie im Kulturbüro Hannover im Bereich Literaturförderung. Sie veröffentlichte Gedichte und Gedichtbände, ihre Werke wurden ins Englische, Spanische und Chinesische übersetzt. 2009 erhielt sie das Literatur-Arbeitsstipendium des Landes Niedersachsen, 2017 den postpoetry.NRW-Preis und das Spreewald-Literaturstipendium2018. Aktuell schreibt sie eher längere, prosaische Gedichte und beschäftigt sich mit dem Thema „Mensch und Natur“. Für nobilis hat sie ihr Gedicht „im weizenlicht“ ausgewählt, „weil es etwas darüber sagt, was das Schreiben für mich bedeutet“.
Gedichte schreiben sei für sie „eine Konzentration nach innen. Ich versuche dann, inmitten der unzähligen Anforderungen und des Stimmenchaos der Welt beim Schreiben einen Kreis der Stille um mich zu ziehen und, so gut es geht, meine eigene Stimme zu hören.“ Zu schreiben begonnen hat sie als Jugendliche in ihrem Tagebuch. „Dabei geht es vor allem um die Wahrnehmung, was um mich herum passiert und wie ich es formuliere. Das ist eine Vorbereitung für die Lyrik.“
Wie versteht man nun Lyrik? Hier kommt die Antwort: „Gedichte muss man nicht „kapieren“. Lyrik funktioniert anders. Ein Gedicht besteht zur Hälfte aus dem, was der Autor geschrieben hat und zur anderen Hälfte, was der Leser darunter versteht, was ihn anspricht. Und das bedeutet: Lyrik erfordert Zeit, Lyrik lesen ist Arbeit. Aber sie ist auch ein großes Experimentierfeld. Ein Spiel mit den Wörtern, den Metaphern, den Assoziationen. Und spielen und experimentieren macht doch Spaß!“
Marco Sagurna,
hat Germanistik, Kunst, Psychologie und Kulturmanagement studiert und ist als Journalist, Autor, Verleger und Herausgeber in der Welt der Kunst und Literatur zuhause. Ein Mann mit der Statur eines Holzfällers und dem Herz und der Seele des Poeten. 2022 hat er drei Bücher veröffentlicht: eine Anthologie mit osteuropäischen Gedichten „Der Osten leuchtet“, seinen Roman „Warmia“ und den eigenen Lyrikband „Minimal“, mit Emoji-Gedichten. Seine neuesten Gedichte malen mit Worten. So wie es Menschen gibt, die beim Musik hören Farben sehen, so entstehen Marco Sagurnas Gedichte beim Betrachten von Kunst. Im Lockdown entstand der zweisprachige Band „Gedichte ÜberKunst – Poems OnArt“, der im November 2023 erschienen ist. Er sagt dazu: „Statt etwas zu sagen über die Kunst, warte ich, betrachte, betrachte und warte…Und auf einmal diktiert mir das Bild einen poetischen Text. Das Bild animiert mich zu einem Text. Zu einer Poesie, die selbst imstande ist, Bilder hervorzurufen. Denken zu entfachen. Sinnliches zu erwecken… Poesie, die gelesen das Bild ihrer Quelle nicht braucht. Die aber nichts wäre, ohne ihre Quelle, die Kunst.“
Für nobilis schlägt er das Gedicht zum Werk „Farbwechsel“ der bekannten Künstlerin Kerstin Schulz aus Gehrden vor.
Text: Beate Roßbach, Fotos: Frank Wilde