Merte sorgt für die Wände

01. Oktober 2025 | von Stefanie Nickel

Bezahlbarer Wohnraum aus Beton: Die Mertesacker-Familie und Nobis Living wollen mit dem „Wandmodultoaster“ die Baubranche aufrütteln.

Mertesacker vor einem Baugerüst – Aufmacherbild Foto: Roksana Leonetti

 

Wohnraum ist teuer – auch in Hannover. Damit sich das ändert, hat sich die Familie von Per Mertesacker mit dem Laatzener Bauunternehmen Nobis Living zusammengetan. Mit dessen Wandmodultoaster baut man nun bezahlbaren Wohnraum in höchster Qualität. Decken und Wände aus Beton, die direkt auf der Baustelle produziert werden können – ist diese Form der seriellen Fertigung die Antwort auf die Krise in der Baubranche? Zeit für einen Besuch.  

Timo Mertesacker und Markus Pankse stehen auf einer Betondecke, die einmal die erste Etage einer neuen Reihenhaussiedlung in Hemmingen-Arnum werden soll. Doch etwas fehlt: Keine Stahlträger, keine Schalung, in die der Beton normalerweise gegossen wird. Stattdessen stehen die beiden Männer an diesem verregneten Julitag auf einem Teppich aus einzelnen Betonelementen, die miteinander verbunden sind. Was nach einem Detail für Bauexperten klingt, könnte, so hoffen es die beiden, die Baubranche aus ihrer Versteinerung lösen. Sie wollen schneller, besser, günstiger bauen. Möglich macht es der sogenannte Wandmodultoaster, mit dem man Betonelemente vor Ort produzieren kann. „Wir sparen damit Zeit, Ressourcen und Personal und das ermöglicht es uns, auch in diesen Zeiten zu bauen“, sagt Pankse.

Wohnraummangel und eine träge Branche

 

Tatsächlich ist Wohnraum in Deutschland Mangelware. Seit Jahren leidet die Branche unter Fachkräftemangel, Lieferengpässen und steigenden Kosten. Über eine halbe Million Wohnungen fehlen mittlerweile, hat das Pestel-Institut Anfang des Jahres errechnet. Die abgewählte Ampelregierung war angetreten, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, schaffte aber gerade einmal 250.000. Die Folge: Mietpreise steigen – auch im Großraum Hannover.

Markus Pankse, Geschäftsführer bei Nobis Living, fällt ein klares Urteil: Die Baubranche ist ineffizient, wegen der hohen Nachfrage gab es über viele Jahre kaum Druck, sich weiterzuentwickeln, kaum Innovation. Die Arbeitsproduktivität je Stunde lag im Baugewerbe 2023 rund 23 Prozent unter dem Niveau von 1991, das hat der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie errechnet. Die Industrie hat die Produktivität im gleichen Zeitraum teils mehr als verdoppelt. „Auf deutschen Baustellen sieht es immer noch so aus wie zu Zeiten der Deutschen Einheit“, sagt Pankse.

Per Mertesacker bei einer Besichtigung eines Rohbaus im Sakko
Timo Mertesacker erklärt, wie serielles Bauen den Prozess verbessern kann. Foto: Roksana Leonetti

Serielles Bauen statt seelenloser Platte

 

Im „Tal der Büffel“, wie das Stück Grün am Arnumer Landwehr genannt wird, zeigt das Unternehmen, was serielles Bauen alles kann – und das ist deutlich mehr als seelenlose Platte. Stattdessen entstehen hier zehn Reihenhäuser mit rund 140 Quadratmetern auf drei Etagen mit Terrasse und Garten. Jedes Haus hat einen einzelnen Eingang, die Dächer schräg, die Fenster zum Teil bodentief. Die erste Reihe hat bereits ihre drei Geschosse und lässt erahnen, wie es hier im Frühjahr 2026 aussehen soll. „Jedes Geschoss lässt sich theoretisch auch als einzelne Wohnung beziehen“, erklärt Pankse.

Neben ihm steht Timo Mertesacker im Rohbau. Dem hochgewachsenen Mann mit dem blonden Haar sieht man die Verwandtschaft mit Hannovers Fußballheld Per Mertesacker an. Der Bruder leitet das Mertesacker Family Office. Er kümmert sich um das Portfolio der Familie und mittlerweile auch anderen Kunden, um Immobilien und um die Per Mertesacker Stiftung. „Wir wollten auch etwas an die Region, an unsere Heimat, zurückgeben“, sagt Mertesacker. Und gerade ist es ihr Ziel, die Baubranche aufzurütteln.

Wände aus dem Wandmodultoaster

 

„Niemand baut mehr – das wollten wir ändern“, sagt Timo Mertesacker. „Wir haben Lust auf Innovationen und arbeiten daran, dass sich die Branche weiter öffnet und flexibler wird.“ Gemeinsam mit Markus Pankse erzählt er, dass ihr gemeinsames Unternehmen Sturm & Drang immer wieder baufertige Grundstücke von anderen Bauunternehmen angeboten bekommt – oft, weil sich klassische Bauprojekte für viele nicht mehr rechnen. „Aber mit der richtigen Methode funktioniert es eben doch“, sagt Pankse.

Im Zentrum steht der „Wandmodultoaster“. Das Prinzip ist einfach, wie so oft bei guten Ideen. Ein Würfel mit zehn Stahlfächern, in die Dämmplatten und Platzhalter für Fenster und Türen eingebaut werden. Drei Arbeiter – mehr braucht es für die Baustelle nicht – lassen dann bis zu 65 Tonnen flüssigen Beton in die Stahlfächer laufen. Etwa einen Tag lang härtet die Masse aus, dabei können die Stahlfächer auch erwärmt werden, um das Trocknen zu beschleunigen oder bei niedrigen Temperaturen überhaupt möglich zu machen. In den Häusern steckt ordentlich Geschichte aus der Region. Rund vierzig Prozent des Betons aus dem Toaster wurde recycelt und stammt von abgerissenen Gebäuden wie dem Postscheckamt aus Hannovers City.

Haus im Bau mit Gerüst, möglicherweise Bauprojekt Mertesacker
Serielles Bauen spart Zeit, Geld und Ressourcen - und reduziert die Zahl der nötigen Gewerke drastisch. Foto: Roksana Leonetti

Von der Notlösung zur Erfindung

 

Ausgedacht hat sich das System Firmeninhaber Eckhard Struß. Er kam durch Zufall auf die Idee: 2016 wollte sein Unternehmen auf dem Gelände eines alten Einkaufsmarktes in Pattensen Wohnungen für Geflüchtete bauen. Schnell sollte es gehen – doch keine Fertigteilfabrik konnte liefern. Struß zog sich in sein Büro zurück und überlegte. Wenige Monate später stand ein Ungetüm aus Stahl auf der Baustelle, eine Mini-Fertigteilfabrik. Weil sie aussah wie ein Toaster und mit Wärme aus weichem, fließendem Beton feste Wände macht, nannte Struß das ganze Wandmodultoaster.

Das serielle Bauen kann die Krise am Bau lindern, da sind sich Experten einig. Denn die wiederkehrenden Prozesse sparen Zeit, Geld, Ressourcen und Personal. „Wir bauen schneller, günstiger, nachhaltiger und machen dabei weniger Fehler“, sagt Markus Pankse. Mehr als 600 Wohnungen hat das Unternehmen in den fast zehn Jahren seit der Erfindung des Wandmodultoasters gebaut. 300 weitere Wohnungen sind in Planung.

Der größte Vorteil, sagt Pankse: „Wir kommen mit zehn Gewerken aus – auf einer normalen Baustelle sind es fast 20 sowie mittlerweile unzählige Fachplaner.“ Das sorge für aufwändige Absprachen, komplizierte Abläufe und erhöhe die Wahrscheinlichkeit von Fehlern und Verzögerungen. „Das kostet Geld und geht zulasten der Qualität“, sagt er. Die Mitglieder des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Niedersachsen und Bremen rechnen für Neubauten mit Kosten von durchschnittlich knapp 5.000 Euro pro Quadratmeter. Nobis Living kommt nach eigenen Angaben durch seine Innovationen auf dem Bau mit rund 2200 Euro pro Quadratmeter aus.

Mertesacker im modernen Anzug auf einer Baustellentreppe
Timo Merstesacker und Markus Pankse inmitten von Wänden, die der Wandmodultoaster geschaffen hat. Foto: Roksana Leonetti

Bäder zum Einhängen

 

Die Wände sind aber nicht das Ende der Ideen. Im Erdgeschoss der Reihenhäuser geht man in ein komplett fertiges Badezimmer. Was man nicht sieht: Im Rohbau wurde dieses Bad gut verpackt mit dem Kran direkt ins Haus gehoben. Ein Fertigbad vom Unternehmen Tairos in Salzwedel, das man nur noch auspacken muss. Leitungen, Toilette, Dusche, Fliesen – alles fertig. Der Anschluss ist so einfach wie einen Toaster in die Steckdose zu stecken – wieder ein paar Arbeitsschritte und Fachleute weniger nötig.

Und auch für Interessenten hat sich Mertesacker mit seinem Team etwas neues ausgedacht: Exposés gibt es heute meist als PDF – und sind dabei unflexibel und nicht immer leicht abrufbar. Mit einem eigenes entwickelten Wallet Pass muss man nur zweimal aufs Handy drücken, wie beim Bezahlen mit der dort hinterlegten Kreditkarte, und kommt in eine sich ständig aktualisierende App. „Hier kann man alles sehen: Baupläne, Bilder vom Baufortschritt“, zeigt sich Timo Mertesacker begeistert.

Die Mertesackers und Nobis Living sind gerade auf dem Weg, ein richtig wichtiger Akteur auf dem Immobilienmarkt zu werden. „Wir starten richtig durch“, sagt Timo Mertesacker, und lacht. Den Namen Sturm & Drang habe man schließlich nicht aus Spaß ausgesucht.

Und auch die Wandmodultoaster werden zahlreicher. Pankse will zwar keinen Preis nennen, da dieser von verschiedenen Faktoren abhänge. Aber der Toaster habe das Geld nach eineinhalb bis zwei Jahren wieder eingespielt. Aktuell gibt es fünf der Stahlkolosse.

Die Mertesacker-Stiftung

Das Mertesacker Family Office kümmert sich nicht nur um Finanzanlagen, Immobilien und Innovationen rund um den Bau. Als Fußballprofi Per Mertesacker in die Welt zog und erst bei Werder Bremen und dann auch bei Arsenal London gut verdiente, tagte der Familienrat. Vater Stefan, lange Ausbilder an der Sparkassen-Akademie, Timo, ebenfalls gelernter Banker und Per. Sie wollten mit dem Geld nachhaltig etwas aufbauen. Und gründeten dazu auch die Per Mertesacker Stiftung. Diese hat einen ganz besonders nachhaltigen Ansatz: Kinder aus der Region werden oft über die gesamte Schulzeit unterstützt, rund zehn Mitarbeitende kümmern sich um Nachhilfe, Essen, Sport und auch ein Wertegerüst. Per Mertesacker, schon auf dem Platz Vorbild und heute eloquenter TV-Experte und Leiter der Jugendakademie beim FC Arsenal in London, will den Kindern mehr mitgeben als Schulbildung. „Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Haltung – wir investieren hier in die Gesellschaft“, fasst es sein Bruder Timo Mertesacker zusammen.