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Der Literaturpreis ging dieses Mal an zwei junge Schriftstellerinnen

05. Dezember 2022

Wild und wütend, doppeldeutig und gemeinsam denkend – zwei junge Schriftstellerinnen erhalten den Literaturpreis des Landes Niedersachsen.

Text: Heike Schmidt, Fotos: MWK/ Frank Wilde

Zwei junge Frauen haben in diesem Jahr den Literaturpreis des Landes Niedersachsen erhalten: Dorothee Elmiger und Yade Yasemin Önder überzeugten die Jury. „Diese beiden Schriftstellerinnen setzen sich kritisch mit unserer Gesellschaft auseinander. Sie hinterfragen. Sie bieten bewusst keine Lösung an, sondern lassen alles offen“, betonte Niedersachsens Kulturminister Björn Thümler, der Elmiger mit dem mit 20.000 Euro dotierten Nicolas-Born- Preis und Önder mit dem mit 10.000 Euro dotierten Nicolas-Born-Debütpreis auszeichnete. Zum Festakt hatte er in das Gästehaus der Landesregierung eingeladen.

Doppeldeutige Bilder

Können Texte die Welt verändern? Oder ist der Schriftsteller nur noch Sprachrohr der Sprachlosigkeit und bietet einen Blick auf die allgemeine Ratlosigkeit unserer Zeit? Das sind die Fragen, mit denen sich die in der Schweiz geborene Dorothee Elmiger beschäftigt. Ihre Sätze fügen sich immer zu einem doppeldeutigen Bild zusammen, das einen diese Ratlosigkeit spüren lässt. Ihre Dankesrede, die für sich schon ein kleines Stück Literatur war, ist dafür ein gutes Beispiel gewesen.

Verhaltene Freude beim Literaturpreis

Nein, sie habe sich wirklich gefreut, als sie die Nachricht über die Auszeichnung erhalten habe. Trotzdem sei sie nicht fröhlich gewesen. Wie auch, angesichts „verfrüht von den Bäumen gefallenen Pflaumen“ und der Nachricht, dass drei Bergbauern per Helikopter Wasser für ihre Kühe geliefert bekommen: „Da sah ich das Bild vor mir: Der Bauer, darüber der Helikopter mit dem Wasser für seine Kühe.“

Nein, Freude empfand sie beim Literaturpreis nicht, obwohl sie doch eigentlich richtig glücklich hätte sein sollen. Und dann erzählt Elmiger vom Warten auf einem Bahnsteig, als ein Mann ihr gegenüber ins Gleisbett fällt. Er wird gerettet. Sie tat nichts. Sie schrieb die Geschichte auf. „Ist es da nicht naiv zu denken, ein Text könne Menschenleben retten?“, fragt sie, um dann eine These des niedersächsischen Autors Nicolas Born, nach dem der Preis benannt ist, zu zitieren: „Dingwörter sind nie die Dinge selbst.“

Verknüpfen verschiedener Erfahrungen

Dieses „gemeinsame Denken“, das Verknüpfen von eigenen Erfahrungen mit den Berichten anderer, ist es auch, was Lisa Kreißler, Schriftstellerin und Mitglied der Niedersächsischen Literaturpreisjury, in ihrer Laudatio auf Dorothee Elmiger würdigte. „Der Anblick einer Landschaft steht gleichberechtigt neben einer Frage, auf die niemand eine Antwort hat. Jedes Wort wird dabei mit Bedacht an das nächste gesetzt. Ernst, klug und niemals ohne Witz tastet diese eigenwillige Sprache nach den rätselhaften unlösbaren Szenen, aus denen das, was wir als ‚Wirklichkeit‘ bezeichnen, sich zusammensetzt.“

Synchron in eine andere Welt fallen

Ein anderer Typ als Elmiger ist Yade Yasemin Önder. Sie schreibt hauptsächlich fürs Theater. „Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron“ ist ihr erster Roman. Sie erhielt für ihre schriftstellerische Tätigkeit den Nicolas-Born-Debütpreis: „‚Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron‘ ist vieles: ein Adoleszenz-Roman, ein Familiendrama mit grotesken Zügen, eine facettierte Betrachtung fataler Sozialisierung junger Frauen, eine Krankheitsgeschichte und noch viel mehr. Doch vor allem überraschende, überzeugende Literatur“, erklärte die Leiterin des Literaturhauses Hannover und Vorsitzende der Niedersächsischen Literaturkommission, Kathrin Dittmer, in ihrer Laudatio. Sie lese von Berufs wegen schon sehr viel. Der Roman von Yade Yasemin Önder habe sie vom ersten Satz an begeistert: „Die Geschichte ist spannend, aber man ist dennoch ängstlich, was noch kommen wird“, beschreibt sie ihre Leseerfahrung: „Er ist furios im Sinne von wütend, kurios im Sinne von wild.“

Der Literaturpreis, sei ein Preis, der Mut macht

Der so gewürdigten Autorin war die Freude anzusehen. Sie zweifle ständig am eigenen Schaffen. „An manchen Tagen findet man alles schlecht, was man geschaffen hat“, erklärte sie. Umso mehr bestätige sie die Auszeichnung, dass das, was sie mache, sinnvoll und gut sei. „Der Preis macht Mut zu experimentieren“, sagte sie – und gebe nicht zuletzt auch eine Zeit lang finanzielle Sicherheit: „Die meisten Autoren können nicht allein vom Schreiben leben.“ Sie müssten Jobs annehmen, die sie wiederum vom Schreiben abhielten. „Von daher sage ich ‚Danke für die finanzielle, emotionale und künstlerische Hilfe‘.“

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