Im GOP-Wintervarieté vergeht ein Jahr wie im Flug. Ein poetischer Jahresabschluss, den man sehen sollte.
Vivaldi. Natürlich gehört seine Musik dazu. „Die vier Jahreszeiten“ des Komponisten erklingen, aber nicht nur. Die Geschichte dieser Seasons beginnt mit einem großen Überseekoffer, der auf die Bühne gefahren wird. Im Hintergrund ist ein Dachboden zu sehen. Eine alte Stehlampe, ein Sessel stehen dort wie vergessene Erinnerungen. Doch nicht lange. Im großen Überseekoffer rumort es. Er wackelt. Er wankt, bis schließlich Raphaëlle Pépin die Tür öffnet und acht weitere Artisten aus ihm heraus kommen. Der Rückblick auf die „Seasons“ kann beginnen.
Frühlingserwachen mit Hula-Hoop
Mit Valérie Bédard erwacht der Frühling. Die Hula-HoopArtistin lässt quirlig die Reifen kreisen und bringt pure Lebensfreude auf die Bühne. Der Gegensatz dazu ist die Nummer von Ania Lewandowska. Sie übernimmt die ruhigen Parts des Herbstes. Am Vertikaltuch gelingt ihr eine unglaublich schöne, stimmungsvolle Nummer, während vom Bühnenhimmel Blätter fallen. Das ist berührend und poetisch. Die große Stärke dieser Show ist aber das Zusammenspiel, wenn alle Künstler auf der Bühne sind und sich nicht nur im übertragenen Sinne die Bälle zuwerfen.
Spielfreude des Sommers
Mit übergroßen, knallroten Gymnastikbällen, die man auch zum Sitzen am Schreibtisch gebrauchen kann, jongliert die ganze Truppe im Sommer. Sie werfen sich die Bälle zu, klettern darauf herum oder nutzen sie, um darüber hinwegzugleiten wie auf einer Wasserrutsche. Raphaëlle Pépin, Amélie Granger, Carl Turner, Jessi James, Valérie Bédard, Sébastien Van De Valle, Babou Sanna, Rémi Orset und Ania Lewandowska zeigen als Team Lebensfreude pur. Gemeinsam Seil springen? Warum nicht? Drei Seile und fünf Menschen hüpfen gemeinsam auf der Bühne – mit den Beinen, aber manchmal auch auf dem Po sitzend, der nur dann abhebt, wenn das Seil naht.
Freischwimmen mit Raphaëlle
in Highlight im Sommer ist aber unzweifelhaft das mit 23 Jahren jüngste Mitglied der Gruppe: Wenn Raphaëlle Pépin am Strand einen vermeintlichen Traummann anschmachtet und anschließend mit Flossen am Trapez ihren Freischwimmer macht, ist das nicht nur urkomisch, sondern auch artistisch erstklassig. Wie schön, dass RaMalerisch am Vertikaltuch: Ania Lewandowska (Bild links). Quirlig mit Hula-Hoop-Reifen: Valérie Bédard (Bild rechts). 48 nobilis 12/2024 Kultur phaëlle, die eigentlich seriöse Trapezkünstlerin werden wollte, auch ihr clowneskes Element voller Leidenschaft auslebt. So wird sie ein klein wenig zum Star des Abends. Wer bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Sommerfan war, der wird diese Jahreszeit nach ihrem Auftritt lieben.
Wandern mit dem Einrad
Das alles ist so schön spielerisch, dass die Zeit wie im Flug vergeht und man sich plötzlich im Herbst befindet. Und was machen viele Menschen im Herbst? Genau! Wandern und Radfahren. Nur dass es beim GOP eben ein Einrad ist, auf dem Rémi Orset und Babou Sanna zusammen fahren.
Eisprinzessin im Cyr
Dann ist der Winter da und es wird zauberhaft. Wie eine Eisprinzessin dreht sich Ania Lewandowska in ihrem beleuchteten Cyr. Schneeflöckchen fallen. Das Licht malt Kreise in den Bühnenhimmel. Nach dieser leisen Nummer wird es nochmals laut. Vom Dach des Hauses lassen sich Sébastien Van De Valle und Rémi Orset auf ein Trampolin fallen, um sich mit Leichtigkeit wieder zurück auf die Schindeln katapultieren zu lassen. Wie gut, dass Sébastien Van De Valle ein Profi in Sachen Trampolin ist: Er springt mit Leichtigkeit bis unter die Decke der Orangerie und dreht dabei Schrauben oder kugelt in Salti gen Bühne.
Manchmal vergeht ein Jahr wie im Flug. Dann genügen schon zwei Stunden, um alle „Seasons“ Revue passieren zu lassen – zumindest, wenn sie so aufregend und spielerisch sind wie die in der gleichnamigen GOP-Show, die im Wintervarieté in Hannover zu sehen ist.
TEXT: Heike Schmidt
FOTOS: Rainer Dröse