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Parsifal – Verbinder zweier Welten 

25. September 2023

Text: Heike Schmidt, Fotos: Sandra Then, Tim Müller

Richard Wagners Bühnenweihfestspiel feiert in der Oper Premiere – und zeigt zwei Welten, die sich ähnlicher sind, als sie glauben. 

Diesem Speer fehlt die Spitze. Er ist ein Phallus. Und er ist das, was dem Dauerschmerzpatienten Amfortas abhandengekommen ist. Nur ein reiner Tor – ein unschuldiges Kind? – kann ihm das Objekt der Begierde und der Schmerzlinderung wiederbringen. Parsifal. An der Staatsoper Hannover hatte das Bühnenweihfestspiel von Richard Wagner in der Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson jetzt Premiere. Fünfeinhalb Stunden Oper. Drei Aufzüge, die unterschiedlicher nicht sein können, die allerdings durch etwas Wesentliches verbunden sind: den heiligen Gral.  Dieser gleicht eher einem Becken, in dem man durchaus Baden kann. Er steht im Zentrum eines jeden Bildes.  

Die Welt im Dunkeln 

Im ersten Aufzug ist er Mittelpunkt der Gralsburg, die umgeben vom Zauberwald ist. Dieser wirkt allerdings eher, als hätte er gerade eine Feuersbrunst oder einen Vulkanausbruch überlebt. Schwarzverkohlte Baumstümpfe ragen astlos in den nachtdunklen Bühnenhimmel. Während dieses Bildes wird es auch kaum heller, was die Zuschaueraugen fordert. Die Gralsritter sind ein abgewrackter, müder Haufen, der nur eins im Sinn hat: Amfortas soll den Gral enthüllen, damit sie sich wie die Tiere (an seinem Leib und Leid) laben können. Amfortas soll sich um ihretwillen nochmals opfern. Wem das religiös vorkommt, liegt nicht falsch. Die Gralsritter wirken in der Szene mit ihren gehörnten Köpfen wie eine Mischung aus Tieren und Anhängern einer Sekte.  

… und die Welt im Hellen

Doch das ist nicht die einzige Aufregung im düsteren Zauberwald. Parsifal schießt einen Schwan ab. Doch dieser Schwan ist in dieser Inszenierung kein Tier. Parsifal trägt ein Kind auf dem Arm. Es ist ein Abbild seiner selbst. Hat er einen Teil von sich getötet? Verliert er das Kindliche in der Gralsburg? Oder kann ein reiner Tor, der Schmerzlinderung bringt, nur ein unschuldiges Kind sein? Es ist eine von vielen Fragen, die diese Inszenierung aufwirft, die irritiert und zum Nachdenken anregt. Nichts ist hier klar. Nur eins: Die obere, „gute“ Welt der Gralsritter versinkt in Dunkelheit; die untere, „böse“ Welt von Amfortas Widersacher Klingsor, erstrahlt hingehen im zweiten Aufzug in hellem Weiß. Im Mittelpunkt ist wieder das Gralsbecken. Dieses Mal schwebt es jedoch unter der Decke. Klingsor wird über zwei Schläuche von ihm gespeist. Das sieht ein wenig wie in Matrix aus. Es zeigt aber eins: Die obere und die untere Welt, Gut und Böse speisen sich aus einer Quelle. Sind sie näher beisammen als sie denken? Gesanglich sind sie zumindest schon eine Person: Michael Kupfer-Radecky singt beide Rollen. 

Wanderer zwischen Welten

Hell-Dunkel, Gut-Böse, verbunden durch den Gral – verbunden durch zwei Wanderer: Kundry wie auch Pasifal sind in beiden Welten zu finden. Kundry hier als Ex-Geliebte (?) von Amfortas, der ihr ein wenig humpelnd und staksig zwischen den verkohlten Baumstümpfen wie die zaghafte Erinnerung an ein einstiges, kindliches Liebesspiel hinterhereilt. Dort die Kundry als Erfüllungsgehilfin von Klingsor, der sich einst entmannte und seinen Speer wie einen Wanderstock benutzt. Es steht nicht gut um die beiden Männer, die doch eins sind. Und Kundry? Die e-mann-zipiert sich zunächst. Sie dient dem einen wie dem anderen. Sie ist beiden Seiten dieses Mannes – der Seite Klingsor wie der Seite Amfortas – verbunden. Aber nicht ewig. Kaum hat sich Parsifal zum neuen König erklärt, lässt sie sich taufen. Eine neue Anhängerin einer neuen Religion, eines neuen Mannes. Sie ist eine Wanderin zwischen den Welten, die ihre Chancen nutzt. Moral? Egal! Und Parsifal? Er bringt Amfortas zwar Speer und Linderung, gibt den Phallus-Stab aber nicht etwa her. Er behält ihn einfach. Als er davon singt, dass er König sei, steigt der Speer in die Senkrechte. Deutlicher kann man eigentlich nicht werden. 

Dann mal aufräumen

Der dritte Aufzug ist ein Mix aus beiden Bühnenbildern. Es sieht gerümpelig aus. So, wie wenn man umzieht, aber noch nicht alle Kisten gepackt hat. Ist es dieses hoffnungslose Gefühl, wirklich alles fristgerecht eingepackt zu haben und die Wohnung besenrein überlassen zu können, das dafür sorgt, dass Gurnemanz und Kundry eher mal im Gral sitzen, als aufzuräumen? Noch ist der Held und die mit ihm verbundene Hoffnung nicht da. Und als er dann kommt, wird er zunächst gar nicht erkannt. Wie schon im ersten Bild lässt Thorleifur Örn Arnarsson ein Alter Ego Parsifals auftreten. Dieses Mal ist es kein Kind, sondern ein alter Mann, der den Stab bringt. Aufräumen wird er auch nicht. Das übernehmen die Bühnenarbeiter, die gut sichtbar vor der endgültigen Erlösung Planen zusammenrollen und Wände wegräumen. Zum Schluss ist die Bühne (nahezu) besenrein. Das Spiel kann von Neuem beginnen. Ein neuer König ist da. Das Prinzip Hoffnung hat gesiegt. Vorerst. Ende offen. Die Digitaluhr, die in allen Bildern zu sehen war, ist mal vor- und dann wieder rückwärtsgelaufen. Die Geschichte um Parsifal und um das Gut und Böse, das zusammengehört, ist zeitlos.  

Großartiger Amfortas/Klingsor 

Die Uhr stoppt exakt um 20.38:17 Uhr. Fünfeinhalb Stunden Wagner. Das Orchester unter der musikalischen Leitung von Stephan Zilias hat den Applaus mehr als verdient. Ihr Wagner ist aufregend. Michael Kupfer-Redaecky als Amfortas und Klingsor ist großartig. Irene Roberts als Kundry ist eine Wanderin zwischen den Welten mit Verstand und Gefühl, die ihrem (Macht-) Instinkt traut. Shavleg Armasi als Gurnemanz erhielt zur Recht Bravo-Rufe; Marco Jentzsch ist ein Parsifal, der sich am Ende vom reinen Toren zum Machtmenschen entwickelt. Großartig sind die Chöre – sei es der Chor, der Extrachor oder der Bewegungschor der Staatsoper Hannover. Brillant der Kinderchor, der einen eigenen Applaus bekam. Aufregend waren auch die Kostüme, die allesamt aus bereits vorhandenen Kostümen entwickelt wurden. Besonders der Anzug des leidgeplagten Amfortas sieht aus, als ob seine offenen Beine durch die Hosen quellen. 

Parsifal – ein Machtspiel? 

Parsifal. Ein Aufreger? Eher nicht. Schon nach dem ersten Aufzug gab es Buh- wie Bravo-Rufe. Parsifal ist der Hoffnungsträger. Er ist der Verbinder zweier Welten, die sich eigentlich sehr ähnlich sind. Es sind zwei Seiten einer Medaille, deren Dreh- und Angelpunkt der Gral ist. Er speist beide Welten. Darüber könnte man noch ein wenig nachdenken. Vielleicht aber auch darüber, dass manchmal ein Wanderer zwischen den Welten fehlt. Doch ist er dann da, kann Vorsicht nicht schaden. Die Menschen würden ihn vielleicht als Hoffnungsträger sehen. Ihm selbst könnte es am Ende des Weges schlicht um Macht gehen. 

MUSIKALISCHE LEITUNG Stephan Zilias 

INSZENIERUNG Thorleifur Örn Arnarsson 

BÜHNE Wolfgang Menardi 

KOSTÜME Karen Briem 

NACHHALTIGKEITSDESIGN KOSTÜM Andri Hrafn Unnarson 

LICHT Sascha Zauner 

BEWEGUNGSCOACH Ieva Navickaitė 

CHOR Lorenzo Da Rio 

KINDERCHOR Tatiana Bergh 

DRAMATURGIE Regine Palmai 

XCHANGE Kirsten Corbett 

AMFORTAS Michael Kupfer-Radecky 

TITUREL Daniel Eggert 

GURNEMANZ Shavleg Armasi 

PARSIFAL Marco Jentzsch 

KLINGSOR Michael Kupfer-Radecky 

KUNDRY Irene Roberts 

1. GRALSRITTER Philipp Kapeller 

2. GRALSRITTER Markus Suihkonen / Jakub Szmidt 

1. KNAPPE Ketevan Chuntishvili 

2. KNAPPE Freya Müller 

3. KNAPPE Marco Lee 

4. KNAPPE Pawel Brozek 

1. BLUMENMÄDCHEN Ketevan Chuntishvili 

2. BLUMENMÄDCHEN Meredith Wohlgemuth 

3. BLUMENMÄDCHEN Marta Wryk 

4. BLUMENMÄDCHEN Mercedes Arcuri 

5. BLUMENMÄDCHEN Dahye Kang 

6. BLUMENMÄDCHEN Freya Müller 

TÄNZERIN Eleanor Freeman 

Chor der Staatsoper Hannover, 

 Extrachor der Staatsoper Hannover, 

 Kinderchor der Staatsoper Hannover, 

Statisterie der Staatsoper Hannover, 

Bewegungschor der Staatsoper Hannover, 

  

Niedersächsisches Staatsorchester Hannover 

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