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Musik als Mahnung: Schostakowitschs „Leningrader“ in Hannover

18. Mai 2025

Am 17. Mai 2025 wurde der Kuppelsaal Hannover zum Klangraum gegen das Vergessen. Die NDR Radiophilharmonie gedachte mit Dmitri Schostakowitschs 7. Sinfonie dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren und zugleich der Gegenwart. Die Aufführung geriet zu einem bewegenden Plädoyer gegen Krieg, Gewalt und Totalitarismus. Die bedrückende Aktualität: Während in der Ukraine Städte zerbombt werden, erklingt ein Werk, das einst im belagerten Leningrad zum Symbol des Überlebens wurde.

Die „Leningrader“: Klang gewordener Widerstand

Schon das Vorgespräch mit Musikwissenschaftler Prof. Dr. Friedrich Geiger und Politologe Dr. Félix Krawatzek unterstrich, wie politisch diese Sinfonie damals wie heute ist. Geiger betonte: „Dieses Stück war von Anfang an eine Antwort auf Terror, komponiert unter unmenschlichen Bedingungen, aber mit dem Ziel, Widerstandskraft zu stiften.“

Im Konzert selbst wurde dies spürbar. Dirigent Stanislav Kochanovsky und die NDR Radiophilharmonie formten einen Klangkörper, der zwischen Schockstarre und Aufbegehren changierte. Besonders das „Invasionsthema“ im ersten Satz ließ das Publikum den Schrecken körperlich spüren. Die stille Intensität des Adagios, das Leid, das in die Musik geschrieben ist – all das spiegelte sich in der gespannten Ruhe des Saals.

Im Vorgespräch diskutierten Prof. Dr. Friedrich Geiger, Dr. Félix Krawatzek und Dr. Ulrich Kühn die politische Brisanz der „Leningrader“.

Musik zwischen Erinnerung und politischer Vereinnahmung

Wie brisant die „Leningrader“ heute ist, machte Krawatzek im Gespräch deutlich: Russland nutzt die Sinfonie mittlerweile zur Legitimierung des Angriffskriegs, indem es sie in sein staatliches Heldennarrativ einbettet. Musik als Propagandawaffe. Umso wichtiger sei es, so Geiger, „diese Werke zurückzuholen – als das, was sie sind: Mahnmale gegen Gewalt.“

Den Konzertrahmen spannte Ernest Blochs „Schelomo“. Eine klagende Rhapsodie, in der das Violoncello von Alexey Stadler zur verzweifelten Stimme Salomos wurde. Ein starker Auftakt, der die emotionale Tiefe des Abends vorbereitete.

Fazit:
Schostakowitschs Siebte ist mehr als ein historisches Werk. Sie ist ein klingender Aufschrei gegen jede Form von Unterdrückung. Die NDR Radiophilharmonie hat dieser Musik eine Bühne gegeben, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet. Und uns alle daran erinnert: Nie wieder darf Schweigen lauter sein als Musik.

75 Jahre NDR Radiophilharmonie: Blick in die Zukunft

Die Aufführung stand auch im Zeichen eines besonderen Jubiläums: 75 Jahre NDR Radiophilharmonie. In ihrer neuen Saison (2025/26) steht das Motto „Feiern“ im Zentrum. Sie beginnt am 12. September mit einer Uraufführung von Johannes Schachtner sowie Beethovens Neunter Sinfonie – ein weiterer musikalischer Appell an die Menschlichkeit.

Höhepunkte der Spielzeit sind u.a. ein Schumann-Tschaikowsky-Festival, ein Crossover-Konzert mit Joris und eine Residenz des Baritons Matthias Goerne. Dabei bleibt das Orchester seinem Anspruch treu: gesellschaftlich relevant, musikalisch exzellent und offen für alle Generationen.

Text: Roksana Leonetti
Fotos: NDR/Peer Bothmer, Roksana Leonetti