Aufatmen in der Zwangspause: „Echo 72“ ist nichts für schwache Nerven! Das neue Stück in der Oper erzählt die erschütternde Geschichte des Terroranschlags bei den Münchner Olympischen Spielen 1972. Die Inszenierung von Lydia Steiner lässt die Zuschauer in ein fieberhaftes Albtraum-Szenario eintauchen, das die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen lässt. Doch dann versagt die Technik – und eine unvorhergesehene Pause bringt Erleichterung.
Für manchen ist es eine willkommene Auszeit. Aufatmen. Denn das, was da auf der Bühne des Opernhauses gezeigt wird, ist harter Tobak. „Echo 72“ ist nicht für jeden gemacht. Doch nach 80 statt nach den geplanten 140 Minuten ohne Pause fällt der eiserne Vorhang. Eine Mitarbeiterin der Oper informiert das Publikum: Die Technik habe versagt. Daher gebe es eine unvorhergesehene Pause. Manch einem im Publikum ist sie mehr als willkommen.
Terroranschlag in München
„Echo 72. Israel in München“ heißt das Stück, das in der Oper jetzt uraufgeführt wurde. Es stammt von Michael Wertmüller; das Libretto hat Roland Schimmelpfennig geschrieben. Es geht um das Attentat 1972 während der olympischen Spiele in München. Damals töteten Terroristen elf israelische Sportler. Es sollten Spiele des Friedens werden. Es wurden Spiele des Entsetzens und einer geschwätzigen Sprachlosigkeit, dessen lärmendes Echo bis heute nachhallt. Damals hieß es wie sonst nur auf dem Theater „the games must go on“. Die olympischen Spiele wurden nicht abgebrochen. Die Zuschauer füllten das Stadion. Die Kameras klickten.
Szenen im Museum
Regisseurin Lydia Steiner verlegt diesen Nachhall ins Museum. Die israelischen Sportler von einst haben eigene Vitrinen erhalten. Fechter, Gewichtheber, Ringer. Sie bewegen sich in ihren Vitrinen. Sie haben keine Gesichter. Besucher strömen in den Raum, beschauen die Sportler, machen Selfies vor Vitrinen, während eine Museumsführerin (Idunnu Münch) die Situation 1972 schildert.
Die Klage ist Todesengel und Showgirl
Im Programmheft wird ihre Rolle als „die Klage“ beschrieben. Doch sie ist mehr als das. Im Verlauf des Stückes wird sie die Kostüme (Andy Besuch) wechseln und in weitere Rollen schlüpfen. Mal moderiert sie als Todesengel in schwarz-goldenen Abendkleid den Tod der Sportler. In einer anderen Szene geht sie in Strapsen und Zylinder wie ein Showgirl zwischen den Vitrinen umher und verdeutlicht damit nochmals „the show/the games must go on“.
Zwei Seiten einer Medaille
Wenn die Bühne sich dreht, kann man auch hinter die Kulissen des Museums schauen und eintauchen in die private Welt eines Polizeibeamten genauso wie in die eines Sportlers aus Israel. Man sieht ihn in einer Szene mit seiner schwangeren Frau. Er wird sie verlassen. Er wird nicht zurückkehren.
Privater und öffentlicher Raum
Und so dreht sich die Bühne wie ein Uhrwerk. Mal sind wir im Museum und erleben die Geschichte. Mal sind wir direkt im Leben der damalig Beteiligten. Es ist ein Wechsel von privatem und öffentlichem Raum. Das ist geschickt gemacht (Bühne: Flurin Borg Madsen) und nicht ohne Doppeldeutigkeit: Die Geschichte hört nie auf. Sie kehrt immer wieder. Doch dann setzt die Technik aus. Die Bühne steht. Der Vorhang fällt.
Aufatmen in der Zwangspause
Manch einer atmet durch. Denn die Musik von Michael Wertmüller, die bis dahin zu hören war, ist so komplex, dass sie nicht nur Solisten und Chor herausfordert. Wie eine Reminiszenz an die Siebziger Jahre ist eine Hammondorgel mit dabei. Einen einheitlichen Klangteppich gibt es nur sehr, sehr selten. Wilde Gegensätzlichkeit wird nicht aufgehoben. Im Gegenteil. Wie in einem fieberhaften Albtraum wird sie verstärkt. Man möchte aufwachen, sich schütteln und sagen: War doch nur ein Traum. Ist es aber nicht.
Der Albtraum geht weiter
Der Albtraum geht weiter. Er geht sogar so weit, dass die Sportler in ihren Vitrinen zum zweiten Mal sterben werden. Wie aus einer Dusche wird von oben Blut auf sie hinab strömen bis sie tot am Boden liegen. Die Anspielung auf die Ermordung von Juden in den Konzentrationslagern von einst ist offensichtlich.
Und dann? Dann kommen die Tatortreiniger, säubern die Vitrinen, putzen sie blank, um wieder neue Sportler in ihnen auszustellen. The games must go on. Was haben wir aus der Geschichte gelernt? Nichts. Wahrscheinlich haben wir – wie der Chor auf der Bühne – nur ein Selfie aus dem Museum mitgenommen, das nach 24 Stunden in der Insta-Story verschwunden sein wird.
Text: Heike Schmidt
Fotos: Sandra Then/Oper