„Paula Rego. There and Back Again“
Es ist ein höchst bewegtes Kunstwerk – wie sollte es auch anders sein bei einem Gemälde, das „The Dance“ heißt. Es ist mit den Maßen 213,3 mal 274,3 Zentimeter außerdem ein sehr großes und ein zentrales Werk in einer bemerkenswerten Ausstellung, die noch bis zum 29. Januar in der Kestner Gesellschaft läuft: Das in Acryl auf Papier auf Leinwand ausgeführte Querformat aus dem Jahr 1988 gehört zur Schau „Paula Rego. There and Back Again“.
Text: Jörg Worat, Fotos: Henning Scheffen
Das Kunstwerk zeigt mondbeschienene Strandszene
Die in Lissabon geborene Künstlerin, die 1975 nach London übersiedelte, ist im Juni 2022 87-jährig gestorben. „The Dance“ zeigt eine mondbeschienene Strandszenerie. Auf der linken Seite ist eine einzelne, im Verhältnis übergroße Frauengestalt zu sehen. Zu ihr gesellen sich ein Trio-Reigen aus drei weiblichen Figuren, die Großmutter, Mutter und Enkelin zu symbolisieren scheinen, sowie zwei tanzende Paare – die beiden einzigen Männer auf dem Gemälde weisen eine unübersehbare Ähnlichkeit auf.
Familiengeschichte
„Das Bild erzählt eine Familiengeschichte, wirkt aber auch darüber hinaus“, erläutert Adam Budak, Direktor der Kestner Gesellschaft, die keine hauseigene Sammlung hat. „Paula Rego hat ,The Dance‘ kurz nach dem Tod ihres Ehemanns Victor Willing gemalt. Die große Frauenfigur darin ist ein Selbstporträt, der linke Paartänzer Victor. Der eigene Sohn Nick stand Modell für diese Darstellung und taucht selbst auf der rechten Seite auf.“ Auch den Hintergrund hat die Künstlerin nicht beliebig gewählt: „Das düstere Gebäude
im Hintergrund ist das Fort Caxias bei Lissabon. Gerade hatte ich bei einer Führung wieder einen Besucher, der es auf den ersten Blick erkannt hat.“ Caxias diente in der Zeit des portugiesischen Diktators António de Oliveira Salazar als Gefängnis.
Interpretation des Kunstwerks
Paula Regos Bilder künden ebenso von erlittenem Leid wie von einem ausgeprägten Drang zur Selbstbehauptung: „Die Ausstellung zeigt überwiegend Frauenfiguren“, sagt Budak, „und zwar starke, die häufig auch eine maskuline Ausstrahlung haben können.“ Ohne dass dadurch Erstarrung entstehen würde: „Schon im Faltenwurf der Kleidung steckt oft extrem viel Bewegung.“
Assoziationen
In seinem liebsten Kunstwerk „The Dance“ sieht Budak zugleich eine Menge Power und eine gewisse Melancholie: „Die findet sich ja verbreitet in der portugiesischen Kultur, in der Fado-Musik zum Beispiel.“ Einen Oberbegriff für Paula Regos Stil zu finden, fällt beim Rundgang durch die Ausstellung nicht ganz leicht: „The Dance“ und andere Bilder haben einen Touch vom magischen Realismus, dem Besucher mögen aber auch Einflüsse durch den Barockmaler Diego Velázquez oder Francisco de Goya in den Sinn kommen.
Einfluss auf Gesetzgebungen mit ihren Kunstwerken
Wer gerade beim letztgenannten Namen argwöhnt, dass hier nicht nur heitere Themen verhandelt werden, liegt richtig: Die Darstellungen können höchst grotesk werden und auch knüppelhart. Vor allem in ihrer nicht zuletzt durch eigene Erfahrungen geprägten Serie mit Motiven illegaler Abtreibungen präsentierte sich Paula Rego alles andere als zimperlich: „Gerade dadurch hat sie aber Einfluss auf Veränderungen in der Gesetzgebung gehabt“, betont Budak.
Kunstwerk geliehen aus der Tate Modern in London
Mit seiner zweiten Ausstellung nach eigener Planung setzt der Kestner-Direktor ein Ausrufezeichen, allein schon durch die Architektur der Schau, die wie eine Opernaufführung in Vorspiel, verschiedene Akte und ein Finale gegliedert ist – sie enthält außerdem einen Nachbau von Paula Regos Atelier, mit ihren bizarren Figuren gleichsam eine surrealistische Traumwelt. Und einige Leihgaben stammen aus ganz großen Häusern, „The Dance“ etwa aus der Tate Modern in London: So macht sich die Kestner Gesellschaft auch auf internationalem Parkett nachhaltig bemerkbar.