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Kunstraum Friesenstraße

Kunstraum Friesenstraße – erfrischende Impulse

07. April 2021

Eine neue Adresse für die Kunst: Der „Kunstraum ­Friesenstraße“ setzt eigene Akzente in der ­hannoverschen Szene.

Text: Jörg Worat, Fotos: Birgit Streicher

Eine eigene Kunstsammlung ist eine schöne Sache. Aber ist es nicht noch schöner, wenn man sie auch zeigen kann? Dr. Gisela Sperling hat diese Frage jedenfalls mit „Ja“ beantwortet – Ende August 2019 eröffnete sie den „Kunstraum Friesenstraße“. Zunächst um Teile der eigenen Kollektion zu präsentieren, sehr bald aber auch unter Einbindung von Sonderausstellungen: „Die entstehen in unmittelbarer Absprache. Denn die Künstler sollen sich auf die jeweilige Hängung meiner eigenen Exponate und auf die Räumlichkeiten beziehen.“
Besagte Räumlichkeiten machen eine Menge her, nicht nur, weil sie zentral und somit strategisch günstig in Bahnhofsnähe gelegen sind. Auf 180 Quadratmetern und zwei Etagen findet sich hier, wo zuvor die Stoffabteilung des benachbarten Einrichtungshauses Hans G. Bock gewesen ist, eine höchst originelle Architektur, die bei entsprechender Planung eindrucksvolle Präsentationen ermöglicht.

Ein Raum, in dem sich Kunstbegeisterte begegnen können – auch das soll der „Kunstraum Friesenstraße“ sein.

Was natürlich damit zu tun hat, dass Gisela Sperlings Sammlung hochkarätig ist. Da finden sich große Namen wie Ewald Mataré, Donald Judd oder Robert Motherwell, und David Hockney war bis vor Kurzem sogar der teuerste lebende Künstler weltweit. Daneben gibt es aber auch weniger geläufige Positionen, etwa Christine Hiebert oder Serena Amrein: „Am Anfang ging es in allererster Linie um das Kriterium „gefällt/gefällt nicht‘“, erläutert die Besitzerin all dieser Kleinodien. „Mit der Zeit hat sich dann so etwas wie ein Schwerpunkt herausgebildet.“
Der wird nicht unbedingt ersichtlich, wenn man die Exponate getrennt voneinander betrachtet. So erschließt sich auf den ersten Blick kaum, was John Chamberlains farbstarke Stahl­skulptur „Whimblow“ und Leuchtkästen von Daniel Buren mit einem Silbergelatine-­Abzug von Bernhard Blume oder Arnulf Rainers reduzierter Zeichnung mit Ölkreide und Bleistift zu tun haben sollen. Das Gesamtbild aber zeigt, dass hier die Bandbreite zwischen Grafik und Skulptur, also zwischen Fläche und Raum, ausgelotet wird – Günther Ueckers Prägedruck etwa ist weder dem Zwei- noch dem Dreidimensionalen eindeutig zuzuordnen. „Für mich waren die Blätter von Sam Francis und Hans Hartung von besonderer Bedeutung“, sagt Gisela Sperling. „Da habe ich gemerkt, wie stark die Linie in den Raum vordringen kann.“

Einblick in die Sammlung von Gisela Sperling

Der etwas andere Weg zur Kunst

Die 69-Jährige hat sich die Materie selbst angeeignet. Ihr Berufsweg hat mit einer anderen Form von Kunstfertigkeit zu tun, nämlich derjenigen im Bereich der Pharmazie: Gisela Sperling trat 2000 in die traditionsreiche Marien-Apotheke ein, die sie später übernahm und 2018 schließlich verkaufte. Das Interesse für die bildende Kunst erwachte allerdings schon früh: „In der Schulzeit, schon damals weniger mit dem Impuls, selbst etwas zu gestalten. Mich interessierte vor allem der Umgang mit der Kunst.“ Und recht früh stand auch die erste Erwerbung ins Haus, wenngleich noch mit begrenzten Mitteln: Zur Konfirmation wünschte sich die gebürtige Pinnebergerin einen Kunstdruck von Emil Noldes Gemälde „Herbstgarten“.
So langsam nahm die Sache Fahrt auf, und zu den der ersten selbst erworbenen Originalen gehörten zwei Grafiken von Horst Janssen. Als prägend erwiesen sich zudem die 80er-Jahre, in denen Gisela Sperling als Apothekerin in Bremen tätig war: „Da betrieben Freunde von mir eine Galerie, das hat mein Interesse noch einmal verstärkt.“ Ein Interesse, das nach wie vor stets spürbar wird, wenn die Kunstfreundin engagiert und uneitel zugleich über ihre Aktivitäten spricht.

Zeichnung, Installation, Grafik? Werke der Serie „COLLA“ von Christian Schwarzwald. Foto: Christian Schwarzwald.

Spannende Zukunftspläne für den Kunstraum Friesenstraße

Die Präsentationen im „Kunstraum Friesenstraße“ beruhten von Anfang an auf der eigenen Sammlung, zunächst unter Mitwirkung von Dörte Behn und Jürgen Liefmann – inzwischen erhält die Betreiberin Unterstützung durch ein Beratertrio, das ungenannt bleiben möchte. Gisela Sperling ist auch als Mäzenin tätig, hat etwa dem Sprengel Museum ein Frühwerk von Gustav Metzger gestiftet, das dort zurzeit in der Ausstellung „How to survive“ gezeigt wird. Zudem fördert sie Initiativen der Musikhochschule, in deren Stiftungsrat sie inzwischen sitzt, und womöglich kommt es sogar zu Synergie­effekten: „Wir überlegen, irgendwann im Kunstraum bildende Kunst und Musik zusammenzubringen.“ Das Mäzenatentum hat Gisela Sperling als äußerst bereichernd erlebt: „Es gibt in diesem Bereich viel Austausch und neue Anregungen.“
Zwangsläufig kommt irgendwann die Frage nach der Finanzierung von alledem auf, zumal die Arbeiten aus der eigenen Sammlung nicht zum Verkauf stehen: „Der Kunstraum ist als gemeinnützige GmbH eingetragen und erhält Spenden. Und wenn die Künstler über unsere Sonderausstellungen Verkäufe und Einnahmen haben, sind sie zwar nicht verpflichtet, einen Anteil an den Kunstraum abzuführen, aber sie können es tun – und das ist auch schon geschehen.“

In der Sammlung von Gisela Sperling lässt sich unter anderem das Verhältnis zwischen Zeichnung und Skulptur ergründen.

Apropos Sonderausstellungen: Genaue Prognosen sind aktuell aus den bekannten Gründen schwierig, aber bis mindestens März wird die laufende Schau „COLLA – Intervention I“ des Österreichers Christian Schwarzwald aufgebaut bleiben. Und die setzt die Philosophie des Kunstraums geradezu vorbildlich um, zeigt sie doch faszinierende Verwirrspiele im Bereich zwischen Fläche und Raum. Immer wieder tauchen blauweiß gescheckte Rahmenmotive auf und scheinen dreidimensionale Wirkungen ins Spiel zu bringen – tatsächlich sind die Schatten jedoch mit Bleistift gezeichnet. Und wenn sich die Rahmen, die keine sind, dann auch noch vor üppig über die gesamte Wand wuchernden Strukturen in Rottönen befinden, driften die Wahrnehmungs­ebenen endgültig auseinander, und man erfährt eindringlich, was im wahrsten Sinne des Wortes spannende Kunst ist.
Die Folgeausstellung soll dann der Mülheimer Michael Cleff bestreiten, seines Zeichens Keramiker, aber natürlich einer der speziellen Art. Und speziell wird gewiss auch seine Ausstellung im „Kunstraum Friesenstraße“ ausfallen, deren Details sich, wie üblich, erst vor Ort herauskristallisieren: „Wir werden sehen“, sagt Gisela Sperling, „wie er mit diesen Räumen umgeht.“
Die wirken auf jeden Fall inspirierend – das gilt für Künstler und Publikum gleichermaßen.

Hier geht es zum Kunstraum

Kunstraum Friesenstraße, Friesenstraße 15
Tel. 0511 604 999 23
mail@kunstraum-friesenstrasse.de
www.kunstraum-friesenstrasse.de

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