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Peter Stettner

Kinohauptstadt Hannover – Interview mit Peter Stettner

28. Februar 2023

Geführt von Vanessa Erstmann mit dem Leiter des Filminstituts Hannover, Peter Stettner, an der Hochschule Hannover

Text: Vanessa Erstmann, Foto: Filminstitut Hannover

Das hannoversche Filminstitut, dessen Leiter Sie bis Ende 2022 waren, widmet sich der Sicherung der „bewegten Geschichte“ Niedersachsens und Hannovers. Welche Schätze bewahren Sie für die Zukunft?

Angefangen haben wir mit umfangreichen filmgeschichtlichen Nachlässen, die unter anderem Drehbücher, Schriftwechsel, Rechnungen und Plakate zu den Filmproduktionen enthalten. Daneben gibt es Sammlungen, die wir selbst angelegt haben, etwa zu Filmplakaten, Kinofotos oder zu Pressekritiken. Bekannt geworden sind wir aber vor allem über unser hannoversches Filmarchiv, das im Rahmen eines Projekts entstanden ist. Seit 2003 archivieren, sichten und dokumentieren wir historische Filmaufnahmen über Hannover, und zwar nicht nur, um diese für die Nachwelt zu erhalten, sondern auch, um die Filmschätze nutzbar zu machen. Deshalb haben wir auch die DVD-Edition herausgegeben, die mittlerweile 24 DVDs umfasst.

Das Filminstitut hat sich auch an der aktuell laufenden Ausstellung „Premierenfieber“ beteiligt, die noch bis zum Herbst im Historischen Museum Hannover zu sehen ist. Welche Ausstellungsstücke haben Sie zur Verfügung gestellt?

Wir haben Filmplakate, Szenenfotos, Verleihprospekte, Pressekritiken und teilweise auch die Vorlagen zu den dort gezeigten Filmausschnitten beigesteuert. Außerdem haben wir die sogenannten „Premierenbücher“ aus unserer Sammlung zur Verfügung gestellt, die von den Kinobesitzern anlässlich der Premieren angefertigt wurden. Die Kinobetreiber haben sich in den 1950er Jahren aus eigener Initiative heraus unheimlich ins Zeug gelegt, um die damaligen Stars zu den Premierenfeiern nach Hannover zu locken. Vor allem die Familie Billerbeck, die mit dem Gloria-Palast und den Weltspielen zwei der großen Premierentheater betrieb, trug mit einem riesigen Werbeaufwand dazu bei, dass die Filmstars nach Hannover kamen. Diese perfekte Vermarktung war einer der Gründe, warum Hannover damals auch innerhalb der Starszene den Ruf einer Premierenstadt etablieren konnte.

Wie kam es, das damals ausgerechnet in Niedersachsen so viele Kinofilme produziert wurden, die dann in der Landeshauptstadt uraufgeführt wurden?

Das ist einerseits ein Zufall, der sich auf die Ideen und das Engagement einzelner Akteure zurückführen lässt, die in Göttingen und Bendestorf mit geringen Mitteln ihre Filmstudios gründen konnten. Andererseits gibt es natürlich eine Grundvoraussetzung für diese Entwicklung, nämlich den Neuanfang nach 1945. Zu jener Zeit lagen 80 bis 90 Prozent der Produktionsstudios in der Ostzone, was die Neugründung von Filmstudios in den westlichen Zonen notwendig machte. Die britischen Besatzungsoffiziere zeigten sich besonders liberal und ebneten dadurch den Weg für die niedersächsischen Filmproduktionen.

Gab es noch weitere Voraussetzungen, die dazu führten, dass Hannover den Ruf einer Filmmetropole erlangte?

In der Nachkriegszeit kamen mehrere Faktoren zusammen, die den Kino-Hype in Hannover möglich machten. Das hat mit gemeinsamen Idealen innerhalb der Bevölkerung während der Wirtschaftswunderzeit, aber auch mit der Realitätsflucht aus der Nachkriegssituation zu tun. Wenn man sich die Fotos von den Menschenmassen bei den Filmpremieren jener Jahre ansieht, fällt auf, dass hier Alt und Jung zusammen die Stars bejubeln. Neben diesem Starkult als verbindendem Element gab es eine breite gesellschaftliche Wunschvorstellung von dem, was man im Kino sehen will. Denken Sie etwa an die Filmtraumpaare der 1950er Jahre und die zeitlos schönen Heidelandschaften, die in den Filmproduktionen beschworen wurden. Das war eine historisch einmalige Situation.

Könnte Hannover heutzutage also nicht an die einstige Bedeutung als Filmmetropole anknüpfen?

Das würde ich schon allein aufgrund der Mentalitätsverschiebung innerhalb der Bevölkerung ausschließen. Bereits in den 1960er Jahren gingen die kulturellen Interessen der Altersgruppen stark auseinander. Heute haben sich die kulturellen Vorlieben in den Bereichen Musik und Film noch weiter diversifiziert und sind nicht mit der Mehrheitskultur der 1950er Jahre zu vergleichen. Außerdem hat das Thema Film heute eine andere Bedeutung als damals, was wir auch am Konsumentenverhalten und dem Erfolg der Streaming-Anbieter sehen. Womit ich nicht sagen möchte, dass wir heute eine schlechte Kinoszene in Hannover haben. Im Gegenteil, wir haben vom Sprengel-Kino bis zum Astor eine große Breite unterschiedlicher Kinos zu bieten. Nur richten sich die Kinos heute eben mit ihrem jeweiligen Angebot an verschiedene Besuchergruppen mit unterschiedlichen Geschmäckern.

Apropos Geschmack: Welche regionale Filmproduktion aus den 1950er Jahren hat Sie als Experten besonders überzeugt?

Die Tragik-Komödie „Mamitschka“ über eine Flüchtlingsfamilie, die 1955 in Göttingen von der Filmaufbau GmbH produziert wurde, ist ein Highlight. Dieser Film hebt sich für mich in angenehmer Weise von den typischen Schmonzetten der 1950er Jahre ab.

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