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Instrumente der Aufklärung

08. April 2022

Dietmar Geyer hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die NS-Zeit in Hannover zu informieren. Jetzt ist ein YouTube-Beitrag zur Geschichte des Maschsees erschienen.

Text: Jörg Worat Fotos: Historisches Museum Hannover

Der Maschsee gehört zu den beliebtesten Ausflugszielen in Hannover: Das ist keine sonderlich überraschende Feststellung. Die Umstände seiner Entstehung sind aber selbst vielen Einheimischen nur andeutungsweise bekannt – oft gehen entsprechende Äußerungen kaum über „Haben den nicht die Nazis gebaut?“ hinaus. Wer nun Näheres darüber wissen und vor allem den großen Zusammenhang erfahren will, in dem die besagten Ereignisse gestanden haben, sollte sich einen „YouTube“-Beitrag aus der Reihe „NS-Zeit-Hannover“ anschauen, der im Dezember 2021 ins Netz gestellt wurde und bei Redaktionsschluss dieser „nobilis“-Ausgabe schon knapp 10000 Aufrufe verzeichnen konnte. Der angenehm unprätentiös gehaltene Film bietet in gut zehn Minuten kompakte Informationen und Bildmaterial, das für einen Gutteil der Betrachter neu sein dürfte.

Pläne, die Aegidienmasch hinter dem Rathaus in einen See umzuwandeln, existierten schon lange; nicht zuletzt sollte damit das Hochwasserbett der Ihme eingedämmt werden. 1925 legte der Wasserbauingenieur Otto Franzius, später Rektor der Technischen Hochschule Hannover, einen entsprechenden Entwurf vor. Dessen Umsetzung scheiterte zunächst an fehlenden finanziellen Mitteln, bis die NSDAP das Projekt aufgriff, vor allem, um das Wahlkampfversprechen einzulösen, die Arbeitslosenzahlen zu reduzieren.
Der Film zeigt Bilder zum vorherigen Zustand, als die Hannoveraner die Masch im Sommer wie im Winter als Treffpunkt für allerlei Freizeit-Aktivitäten nutzten, und zu den Bauarbeiten selbst. Die fanden unter entwürdigenden Bedingungen statt: Anfangs 100, schließlich 1650 Menschen mussten zu einem Lohn, der kaum über der Arbeitslosenunterstützung lag, den See größtenteils in Handarbeit ausheben – ging dabei eine Schaufel kaputt, hatte der Arbeiter von eigenem Geld eine neue zu kaufen. Am Himmelfahrtstag 1936 fand schließlich die feierliche Eröffnung statt, vor Hunderttausenden von Besuchern inklusive prominenter NSDAP-Vertreter.

Monumentaler Größenwahn

Zusätzlich dokumentiert der „YouTube“-Beitrag viele Begleitumstände dieses Geschehens. Er zeigt die „Nur für Arier“-Schilder an den Bänken und geht auf die Kunst rund um den See ein: Die Löwen an der gleichnamigen Bastion stammen von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker, das Menschenpaar am Westufer hat Georg Kolbe geschaffen – es soll den perfekten arischen Typus darstellen, was durch den Tatbestand, dass die jüdischen Geschwister Hans und Renate Levi als Modelle dienten, endgültig absurd wird. Übrigens war Kolbe

ohnehin eine schillernde Persönlichkeit, stand einerseits auf der sogenannten „Gottbegnadeten-Liste“ der Nationalsozialisten und genoss dadurch mancherlei Privilegien, schuf andererseits expressive Werke, die nach der damals üblichen Klassifizierung recht eindeutig als „entartet“ hätten gelten müssen.

Wussten Sie, dass die heutige Freie Waldorfschule am Maschsee ursprünglich die erste, Paul von Hindenburg gewidmete Jugendherberge Hannovers war? Der Film zeigt, wie Reichsjugendführer Baldur von Schirach zur Eröffnung am 20. Oktober 1935 die Elite der Hitlerjugend auf ihre künftige Aufgabe einschwor.
Doch damit noch lange nicht genug, Hitler hatte weit Größeres mit der Gauhauptstadt Hannover vor: Am Maschsee sollte ein Parteiforum samt „Halle des Volkes“ mit 30000 Plätzen entstehen, dazu ein Stadion für die doppelte Anzahl an Besuchern und vor allem ein Aufmarschplatz mit Tribünen, die für 200000 Zuschauer ausgelegt waren. Ein Foto aus dem Jahr 1941 zeigt vor entsprechenden Modellen Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, Stadtbaurat Karl Elkart und Hartmann Lauterbacher, Gauleiter Süd-Hannover-Braunschweig.
Umgesetzt wurde von alledem durch die Entwicklungen im 2. Weltkrieg so gut wie nichts. Auf den Grundmauern der Aufmarschplatz-Tribünen entstanden Bunker für den Gaubefehlsstand, von denen aus zwangsverpflichtete Hitlerjungen per Telefon und Radio vor feindlichen Angriffsformationen warnten. Hier verlas Lauterbacher auch am 4. April 1945 seinen Durchhalteaufruf „Lieber tot als Sklav“ und proklamierte unter anderem „Dieser Krieg wird nur dann ein unübersehbares und schreckliches Ende finden, wenn wir kapitulieren“ – um unmittelbar darauf selbst die Flucht anzutreten. Beispielhaft für das jämmerliche Ende eines größenwahnsinnigen Plans.

„Warum weiß ich davon nichts?“

Der YouTube-Kanal „NS-Zeit-Hannover“ hat noch weitere Beiträge zu bieten. Mal geht es um die verbotene „Swing-Jugend“, mal um die Hitlerjugend, mal um den „Bund deutscher Mädel“, immer in Bezug auf Hannover. Es gibt zudem die Webseite www.ns-zeit-hannover.de, und hinter all diesen Instrumenten der Aufklärung über eine dunkle Zeit steht derselbe Mann: Dietmar Geyer. Mit dem Maschsee-Film schließt sich aktuell gleichsam ein Kreis, denn ebendort fand die Initialzündung für Geyers Aktivitäten statt: „Das war 2018. Ich ging dort mit meinen fast erwachsenen Enkeln spazieren, wir kamen an der Fackelträger-Säule mit dem nach dem Krieg herausgeschlagenen Hakenkreuz vorbei, und ich las die Inschrift ‚Gestiftet von Senator Fritz Beindorff‘. Also vom Leiter der Firma Pelikan, wo ich fast 40 Jahre lang tätig gewesen war, zuletzt als Marketingleiter in der Abteilung Schreibgeräte. Und ich dachte: Wie jetzt? Warum weiß ich davon nichts?“ Als sich zusätzlich herausstellte, dass den Enkeln sogar noch weniger über die Vergangenheit des Sees bekannt war, erwachte in Geyer der Wunsch, mehr über die NS-Zeit in Hannover zu erfahren und auch bekannt zu machen.

„Ich habe inzwischen ermittelt, dass 40 Prozent der Jugendlichen kaum etwas über den Holocaust wissen“, sagt der heute 75-Jährige, der angetreten ist, eben das zu ändern. Er hat sich viel in Archiven umgetan und mit Wissenschaftlern gesprochen, wurde so mit der Zeit nach eigener Aussage zum „Hobby-Historiker“. Geyer geht mit einigem Erfolg auch direkt in die Schulen: „Für viele junge Menschen ist die NS-Zeit so weit weg wie der 30-jährige Krieg und Hitler so fern wie Karl der Große. Es ist für sie aber besonders wichtig, Hintergründe zu aktuellen Ereignissen wie den ultrarechten Demonstrationen oder den Anschlag in Halle zu erfahren. Denn die jungen Menschen sind unsere Zukunft, und sie sollen frühzeitig die Gefahren kennenlernen, die von politischen Verführern ausgehen.“

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