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Geschenkt! Günter Haese im Sprengel Museum

19. März 2024

Wer bei „Skulptur“ an groß und wuchtig denkt, liegt in diesem Fall falsch: Die Skulpturen des Ausnahmekünstlers Günter Haese sind filigran und passen in einen größeren Schuhkarton. Vier dieser Werke sind jetzt als Schenkung ans Sprengel Museum gekommen. Günter Haeses Nachfahren, Günter Haese jr. und dessen Sohn Magnus, haben sie im Museum persönlich aufgebaut.

Der Ausnahmekünstler Günter Haese wäre am 18. Februar 2024 einhundert Jahre alt geworden. Zum runden Geburtstag des 2016 verstorbenen Künstlers machten dessen Nachfahren dem Sprengel Museum Hannover ein ganz besonderes Geschenk: Vier filigrane Skulpturen aus dem Nachlass Haeses gehen als Schenkung in die Sammlung des Museums über. Die Kunstwerke sind Teil einer feinen, kleinen Ausstellung, die am 15. März im Beisein von Hannovers neuer Kulturdezernentin Eva Bender und der Familie des Künstlers eröffnet wurde. Die Kunstobjekte sind ab sofort in einem eigenen Raum der Sammlungspräsentation „Abenteuer Abstraktion“ des Sprengel Museums zu sehen.

Wie ein Besuch im Juweliergeschäft

Der kleine Ausstellungsraum im Erdgeschoss des Sprengel Museums erinnert auf den ersten Blick an ein Juweliergeschäft. Zwar sehen die Betrachter keine Schmuckstücke im eigentlichen Sinn, dafür aber wahre Kunstschätze, die aus den Vitrinen zaghaft hervorblinken. Einzelne Lichtspots setzen die zarten Messingdraht-Konstruktionen auf ihren weißen Sockeln in Szene. Beim Betrachten der schwerelos wirkenden Kunstwerke wird schnell deutlich, mit welcher Akribie der Künstler Günter Haese seine Skulpturen angefertigt haben muss.

Das Innenleben einer Schwarzwälder Kuckucksuhr als Baumaterial

Sein künstlerisches Ausdrucksmittel fand der 1924 in Kiel geborene Künstler erst im Alter von 40 Jahren nach seinem Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf. Beim Studieren des Innenlebens einer Schwarzwälder Kuckucksuhr entdeckte er allerhand Spiralfedern, Schrauben, Federn, Metallplättchen und Zahnrädchen. Daraus formte er unter Zuhilfenahme von hauchdünnem, biegsamen Messingdraht geradezu poetisch anmutende Skulpturen. Was dann folgte, war nach Ansicht von Museumsdirektor Dr. Reinhard Spieler eine „raketenhafte Künstlerkarriere“, die in dieser Form kein anderer Künstler vollzog. Auf die erste Einzelausstellung im Ulmer Museum im Jahr 1964 folgte noch im selben Jahr eine Einladung zur documenta III und die Einzelausstellung im Museum of Modern Art in New York.

Ein Rundum-Sorglos-Familienservice

Die schwerelos wirkenden Kunstobjekte, die damals wie heute großes Staunen hervorrufen, bringen Restaurateure allerdings schnell ins Schwitzen. Wer möchte schon die Verantwortung beim Auf- und Abbau der zarten Kunstwerke übernehmen? Glücklicherweise bieten die Nachfahren des Künstlers diesen Service gleich mit an. Günter Haese jr. und dessen Sohn Magnus bringen die nötigen Erfahrungswerte im Umgang mit der (groß)väterlichen Kunst und obendrein viel Ingenieurskunst und Feingefühl mit. Die beiden sind nach einer gemeinsamen Ausstellungstour vor zwei Jahren ein eingespieltes Team und übernahmen auch im Sprengel Museum selbst den Aufbau der Ausstellung. Im Beisein des Museumsteams wurden die Objekte behutsam aus ihren Holzkisten gehoben und platziert. Für kleine Ausbesserungsarbeiten lag der Lötkolben bereits parat. Den aufmerksamen Beobachtern berichtete Günter Haese jr., dass er als kleiner Junge häufig im Atelier seines Vaters gewesen sei und diesem bei seinen Arbeiten hin und wieder zur Hand gehen durfte.

Sende- und empfangsbereite Kunst

Bis zu seinem Lebensende arbeitete der Künstler in seinem Atelier am liebsten unbehelligt von der Außenwelt. Künstlersohn Günther Haese jr. konnte im Rahmen der Ausstellungseröffnung zahlreiche Anekdoten aus dem künstlerischen Leben seines Vaters erzählen. Sie handeln davon, wie der Künstler und dessen Frau selbst lukrative Angebote der Unternehmerfamilie Rockefeller vehement ablehnten, da sich Günter Haese nicht von seinen Werken trennen wollte.

Die Bescheidenheit des Künstlers passte nach Ansicht von Dr. Reinhard Spieler zum Zeitgeist und „zum guten Ton der Nachkriegswirklichkeit“. Aber auch in den Kunstwerken selbst erblickt der Direktor des Sprengel Museums ein Zeugnis der Geschichte. Die erschaffenen Formen Haeses würden Radarschüsseln und Sendeanlagen ähneln, die Signale aussenden und empfangen, „als ob sie die deutsche Gesellschaft nach der Isolation im Nationalsozialismus wieder mit der Welt verbinden wollten.“

Noch heute scheinen die filigranen Skulpturen mit ihren Betrachtern zu kommunizieren. Die Raumplastiken von Günter Haese sind auch 100 Jahre nach dessen Geburt weiterhin sende- und empfangsbereit. Davon können sich die Besucher des Sprengel Museums nun selbst überzeugen. Die Ausstellung „Günter Haese. Zum 100. Geburtstag“ ist dort noch bis mindestens Ende Juli 2024 zu sehen.

Text: Dr. Vanessa Erstmann, Fotos: Frank Wilde

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