Bodo Busse über seine neue Aufgabe, die Kraft der Musik und Glücksmomente im Alltag
Ein sonniger Nachmittag in Hannover. In der Staatsoper herrscht gespannte Vorfreude: Einen Tag vor der Pressekonferenz zur Vorstellung der Spielzeit 2025/26 nimmt sich Bodo Busse Zeit für ein ausführliches Gespräch mit uns. Der neue Intendant spricht über seine ersten Eindrücke vom Haus, seine Faszination für Musik, die Bedeutung von Teilhabe – und über Glücksmomente, die sich nicht planen lassen.
Herr Busse, wie würden Sie sich selbst als Mensch beschreiben?
Ich würde sagen: Lebenslustig, genussfreudig, positiv und zugewandt. Ich gehe mit einer grundsätzlichen Offenheit durchs Leben und genieße die Begegnungen, die sich ergeben.
Wie sieht für Sie ein idealer freier Abend aus?
Gut essen gehen oder für Freunde kochen. Oder einfach zu Hause auf der Terrasse sitzen, ein Glas Weißwein trinken, in den Garten schauen, den Vögeln zuhören. Ich liebe die Natur. Und manchmal ist es auch banal-schön: Tagesschau, Heute-Show, eine Netflix-Serie. Ich bin ein großer Netflix-Fan – „The Crown“, „Emily in Paris“ … das gibt nochmal einen anderen Blick auf die Welt.
Haben Sie eine persönliche Weißwein-Empfehlung?
Aber ja! „Alte Rebe“ vom Weingut Meierer an der Mosel.
Was bedeutet Genuss für Sie?
Mit sich, dem Moment und der Welt im Einklang zu sein. Diese unplanbaren Augenblicke, die wie eine Offenbarung wirken – das sind für mich wahre Genussmomente. Ich denke da oft an Marcel Proust: Als er Tee mit Madeleine kombiniert, entfaltet sich eine Welle an Erinnerungen. Solche „mémoire involontaire“, diese plötzlichen Glücksmomente, entstehen aus Sinneseindrücken, Erinnerungen, Atmosphäre.
Wo begegnen Ihnen solche Momente im Alltag?
Überall: in der Probe, im Büro, beim Spazierengehen. Ich habe meine „Geheimrunde“, die ich gern laufe. Oder beim Hören von Musik, im Theater. Ich achte sehr darauf, dass ich Opern und Konzerte noch privat genießen kann, ohne rein professionellen Blick. Wenn ich das verliere, muss ich über mich nachdenken.
Wie hat Sie Ihre schwäbische Herkunft geprägt?
Uns Schwaben wird oft nachgesagt, dass wir sparsam seien. Das stimmt wohl ein bisschen. Als Intendant braucht man ein Gespür für Einnahmen und Ausgaben. Aber Schwaben können auch Genießer sein! Der Unterschied zum Franzosen? Der Schwabe genießt still.
Welche Rolle spielte Musik in Ihrer Kindheit?
Eine zentrale. Meine Mutter hat mir die klassische Musik nähergebracht. Ich bekam eine Schallplatte geschenkt: die „Brandenburgischen Konzerte“ mit dem Stuttgarter Kammerorchester unter der Leitung von Karl Münchinger. Das war der Anfang. Dann kam „Rusalka“ in der Staatsoper Stuttgart. Ich war völlig verzaubert. Mein Großvater war Solo-Flötist. Ich selbst habe mit acht Querflöte angefangen. Die städtische Musikschule in Filderstadt hat mein Leben geprägt.
Welche Musik hören Sie privat?
Hauptsächlich klassische Musik. Fauré zum Beispiel. Aber auch Barbra Streisand, Michel Legrand, viele französische Chansons. Es gibt einen großen Mix.
Warum haben Sie sich gegen ein Musikstudium entschieden?
Meine Flötenlehrerin hat mir mit viel Einfühlungsvermögen geholfen, meinen Weg zu finden. Ich war jeden Tag in der Musikschule, habe an „Jugend musiziert“ teilgenommen, Gesangsunterricht genommen. Aber irgendwann hat sie mir gezeigt: Vielleicht gibt es auch noch etwas anderes. Und so kam ich über mein Interesse für Theater, Sprache und Musik zur Dramaturgie.
Was haben Sie von Persönlichkeiten wie Ruth Berghaus oder John Dew gelernt?
Ruth Berghaus hat mir gezeigt, dass Theater auch Rätsel ist. Ihre Inszenierungen forderten eine intellektuelle Auseinandersetzung, das Deuten von Symbolen. Sie sagte: „Unordnung im Kopf ist Unordnung auf der Bühne.“ John Dew dagegen war sinnlich, offen, hatte Humor und Lust an großer Form. Zwischen diesen Polen bewege ich mich bis heute.
Für was möchten Sie andere inspirieren?
Für Freude am Genuss, aber auch für Nachdenken, Mitfühlen. Theater muss etwas auslösen: Empathie, Ambivalenz, Menschlichkeit. Wenn das gelingt, haben wir viel erreicht.
Wann mussten Sie besonders mutig sein?
Beim Deutsch-Abi! Ich hatte nur zwei von drei Themen vorbereitet, es kam natürlich das dritte. Nach dem ersten Schock habe ich einfach losgelegt. Solche Stresssituationen zeigen einem, was geht. Auch das Durchfallen bei der ersten Fahrprüfung war lehrreich – das Leben hat eben Widerstände. Und man wächst daran.
Wie haben Sie Ihre bisherigen Theaterstationen erlebt?
Jede war besonders. In Stuttgart war ich Praktikant und stolz, erstmals im Programmheft zu stehen. In Zürich war ich Regieassistent und hatte Kontakt mit weltberühmten Regisseuren und Sängern. In Mainz hatte ich dann als Dramaturg mehr Verantwortung. Coburg war meine erste Intendanz. In Wiesbaden habe ich Ensemblearbeit gelernt. Jeder Ort hat Spuren hinterlassen.
Was macht ein modernes Opernhaus für Sie aus?
Ein moderner Kulturbetrieb produziert nicht nur Opern, sondern wirkt in die Gesellschaft: als Bildungsort, Diskursraum, Begegnungsstätte. Ein Opernhaus muss mehr sein als eine Spielstätte. Ein dritter Ort, ein Zuhause für Kultur, ein echter Resonanzraum.
Wie wollen Sie in Hannover Tradition und Innovation verbinden?
Ich trete die Nachfolge von Laura Berman mit großer Wertschätzung an. Hier gibt es ein starkes Repertoire, ein Ensemble mit Geschichte, ästhetisch vielfältige Produktionen. Das will ich weiterführen und mit neuen Impulsen, Uraufführungen, Formaten ergänzen. Oper wird nicht neu erfunden, aber weitergedacht.
Welche Rolle spielt kulturelle Bildung für Sie?
Eine sehr zentrale. Jede Inszenierung ist ein Bildungsangebot. Aber auch die Arbeit mit Schulen, Community-Projekte, Vermittlung – das gehört für mich unbedingt dazu. Ich möchte Menschen einladen, Teil des Opernhauses zu werden.
Was wünschen Sie sich, dass das Publikum nach einem Opernabend mit nach Hause nimmt?
Ein Glücksgefühl. Auch wenn das Stück schwer war. Theater hat die Kraft zu berühren, zu öffnen, Hoffnung zu geben. Wenn wir das erreichen, haben wir unseren Auftrag erfüllt.
Wie führen Sie ein so großes Haus?
Mit Gesprächen, Wertschätzung, Teamgeist. Ich glaube an kollektive Prozesse, aber ich stehe auch für eine künstlerische Linie. Verantwortung ist für mich mehrdimensional: finanziell, menschlich, strukturell, künstlerisch.
Was hat Sie gereizt, nach Hannover zu kommen?
Die Staatsoper Hannover ist eines der wenigen großen Einsparten-Opernhäuser mit großem Ensemble, Chor und Orchester. Ich freue mich, mich ganz auf Musiktheater, Ballett und Konzertwesen konzentrieren zu können. Und ich liebe die Atmosphäre in dieser Stadt.
Wo werden Sie in Hannover wohnen?
Wahrscheinlich in der Nähe der Eilenriede – List oder Nordstadt. Ich brauche Natur und Cafés. Das wäre schön.
Wie wollen Sie das Haus in die Stadtgesellschaft hineinöffnen?
Mit mobilen Kinderopern, Konzerten in Kirchen oder Jazzclubs, Überraschungsaktionen im Foyer. Wir wollen ein Ort zum Verweilen sein. Begegnung schaffen, wo man sie nicht erwartet.
Was lesen Sie aktuell?
Ein Buch über Maria Callas, das den Mythos entzaubert. Und eine große soziologische Studie von Hartmut Rosa. Ich mag Bücher, die mich zum Nachdenken bringen.
Letzte Frage: Welche Träume haben Sie?
Die Staatsoper in eine gute Zukunft zu führen. Ein Haus, das Glück und Nachhall stiftet. Und selbst glücklich dabei zu bleiben.
Wir wünschen Bodo Busse auf diesem Weg viel Erfolg, inspirierende Begegnungen und ein Publikum, das sich von vielen besonderen Aufführungen in Hannover berühren lässt.
TEXT: Roksana Leonetti
FOTOS: Henning Scheffen