Die „Zirkusprinzessin“ von Emmerich Kálmán, die jetzt an der Staatsoper Hannover Premiere feierte, ist sowohl tiefgründig als auch kurzweilig.
Text: Heike Schmidt, Fotos: Sandra Then
Wenn eine Komödie zur Tragödie wird, klingt das nicht unbedingt nach einem entspannten Abend. Dass die Inszenierung der „Zirkusprinzessin“ von Emmerich Kálmán, die jetzt an der Staatsoper Hannover Premiere feierte, das dennoch hinbekommen hat, ist nicht zuletzt Felix Seiler, den Sängern und Musikern, den Bühnen- und Kostümbildnern zu verdanken.
Es geht zunächst harmlos und in Operettenmanier los: Die Welt des Zirkus ist zwar in eine leichte Schieflage geraten. Immer wieder müssen die Künstler die Schräge hinauflaufen, um ihren großen Auftritt im Zirkuszelt zu haben. Doch es gibt noch einen Star, der die Besucher ins Zelt zieht und die Existenz sichert: Mister X (Marius Pallesen). Was niemand weiß: Mister X stammt eigentlich aus der Welt des Adels, wurde aber verstoßen, weil er der zukünftigen Frau seines Onkels schöne Augen machte. Ausgerechnet diese Frau besucht die Zirkusvorstellung.
Photo by Sandra Then/ www.then-fotografie.de
Wanderer zwischen Welten
Es kommt, wie es kommen muss: Die inzwischen verwitwete Fürstin Fedora Palinska (Mercedes Arcuri) und Mister X verlieben sich. Das ist Prinz Sergius Wladimir (Daniel Eggert) ein Dorn im Auge. Ihn hat die Fürstin immer wieder abgewiesen. Also ersinnt er einen Racheplan: Die Fürstin und Mister X sollen heiraten. Doch dafür muss Mister X in die geschlossene Welt des Adels eintreten. Der verliebte Mister X spielt mit, denn als Prinz Fedja scheint er der richtige Gatte für die verwitwete Fürstin zu sein. Die beiden heiraten. Dann lässt der echte Prinz Sergius Wladimir den Schwindel bewusst auffliegen. Die Fürstin ist jetzt eine verheiratete Zirkusprinzessin! Der von ihr dauerhaft verschmähte Sergius Wladimir hat seine Rache, die Fürstin sucht Hilfe bei der (Adels-)Gesellschaft, die sie kennt, und Mister X als Wanderer zwischen Welten stürzt sich in den Tod.
Aus Amüsement wird bitterer Ernst
Was zunächst als Amüsement und für alle als Spiel begann – für die Zirkusleute auf der einen und der Adelsgesellschaft auf der anderen Seite – ist bitterer Ernst geworden. Niemand bewegt sich gerne außerhalb seiner fest definierten Grenzen. Ja, man amüsiert sich gerne und schmettert die Schlager wie „Zwei Märchenaugen“ oder „Die kleinen Mäderl im Trikot“ hier wie da gerne mit, doch jeder auf seine Weise. Seien es die Husaren, die aussehen wie Zinnsoldaten aus dem Nussknacker, die Adelsgesellschaft mit ihren Harlekin-Krägen oder Fürstin Fedora, für deren Kleid der Softeis-gestrudelte Tüll eigentlich nur in eine andere Form als die Tütüs der Zirkustänzerinnen gebracht wurde (wunderbare Kostüme von Timo Dentler, Okarina Peter) – die Welten scheinen sich näher als gedacht. Und doch sind beide unendlich voneinander entfernt.
Photo by Sandra Then/ www.then-fotografie.de
Ist es möglich, zwischen Welten zu wandern?
Die Fragen, die Seiler aufwirft, sind nicht einfach zu beantworten: Kann man wirklich zwei gesellschaftlichen Welten angehören? Ist es möglich, zwischen diesen Welten zu vermitteln, oder fühlen sich doch die Menschen innerhalb ihres Standes am sichersten, so dass sie einmal Ausgestoßene nicht wieder zurückhaben wollen? Normalerweise sind dies nicht unbedingt Fragen, die eine Operette aufwirft, geht es doch auf den ersten Blick um leichtes, angesüßtes Amüsement und Kurzweil. Das ist bei der Inszenierung der „Zirkusprinzessin nicht anders. Doch Felix Seiler schafft es, der Operette von Tiefgang zu verleihen, der sich erst im Laufe des Stückes immer mehr entwickelt.
Ein Prinz, der sich das Spiel leisten kann
Wie nah sich die Welten sind, zeigt sich auch am Bühnenbild: In der Zirkusmanege bringt der Kronleuchter drumherum gespannte Stoffe von Innen zum Leuchten, so dass die Aufführung zum Schattenspiel wird; fehlt der Stoff ist man im opulent beleuchteten Salon der Adeligen. Doch wer in welcher Gesellschaft eine Rolle spielen darf, ist dem Prinzen Sergius Wladimir geschuldet. Er hat Macht, Einfluss und Geld, um sich das Spiel leisten zu können. Er selbst kommentiert auch immer wieder gerne das Geschehen, das er inszeniert hat. Normalerweise endet die Operette mit dem Libretto von Julius Brammer und Alfred Grünwald trotzdem mit einem Happy End. Da Regisseur Felix Seiler ihm aber den letzten Akt gestrichen hat, fehlt ihr auch die Zuckerwatten-Süße. In der Staatsoper endet sie mit dem Tod von Mister X.
Gassenhauer und Herrenwitze
Doch bis dahin ist diese Inszenierung nicht nur wegen der komödiantischen Einlage von Carmen Fuggis als Carla und Philipp Kapeller als Toni Schumberger unbedingt sehenswert. Die zwei Stunden 50 Minuten dauernde Aufführung kommt in Operetten-Manier kurzweilig daher. Dass dazu Herrenwitz-Gassenhauer wie „Madels im Trikot“ gehören, bei dem sich fesch auf Spitzenwäsch reimt, könnte man als unpassend, altbacken und unzeitgemäß abtun. Doch dann sollte man sich auch fragen, inwiefern sich diese Lieder aus der „Zirkusprinzessin“ von 1926 von „Layla“ aus dem Jahr 2022 wirklich unterscheiden.
Fazit: Auch wer eigentlich keine Operetten mag, sollte sich die Zirkusprinzessin ansehen. Sie ist tiefgründiger als gedacht und kurzweiliger als erwartet.
Photo by Sandra Then/ www.then-fotografie.de