Hotelgäste sehen den Eingang kaum. Rechts neben der Rezeption liegt versteckt eine Tür, die in das Reich von Nicolas Görner und seinem Team führt. Wer durch diese Tür tritt, dem eröffnet sich eine unterirdische kleine Stadt, die man in diesem Ausmaß in der Innenstadt Hannovers kaum erwartet hätte. Hier wird geschnitten, gekocht, gebacken – kurz gesagt: Alle feinen Speisen werden zubereitet, die ein Hotelgast von einem Fünf-Sterne-Superior-Haus nahezu rund um die Uhr erwarten kann.
Wir sind in der Küche des einzigen Hauses dieser Art in Hannover: Kastens Hotel Luisenhof. Hier kümmert sich ein Team von 30 Mitarbeitern um das leibliche Wohl der Gäste – vom Clubsandwich nachts um vier Uhr bis hin zum exquisiten Vier-Gänge-Menü zum Dinner im hoteleigenen Restaurant „Mary’s“, das in diesem Jahr zehnjähriges Bestehen feiern kann. Dort steht auch „Zweierlei Steinbutt, gebraten und konfiert in Zitronenöl und Hartweizen, Zitronenmelisse, gegrillte Zucchini, Kapuzinerkresse und Mango-Risotto“ auf der Karte. Das werden wir heute nachkochen.
Steinbutt – groß wie ein Rad
Nicolas Görner, der das Küchenteam führt, wartet schon auf uns – und mit ihm ein grandioser Steinbutt auf Eis. Mehr als fünf Kilogramm bringt der Plattfisch aufs Blech, das er komplett ausfüllt. 1000 Euro kann so ein großer Steinbutt schon einmal kosten. Doch: nur das Beste für den Gast. „Höchstens zehn Filets bekomme ich aus solch einem schönen Fisch“, erklärt Görner. Denn wer meint, im Luisenhof‘schen Gourmetrestaurant bekäme man nur Mini-Portionen, ist falsch gewickelt: Später auf dem Teller wird man sehen: Es werden zwei große, schöne Stücke Fisch serviert.
Zunächst wird das eine Filet scharf von der Filetseite anbraten und dann drei bis fünf Minuten im Ofen bei 160 Grad garen. Das andere Stück kommt mit Zitronenöl, einem Stückchen Zitronenzeste und einem Zweig Thymian in einen Beutel, der verschweißt wird. 13 bis 15 Minuten wird er im Wasser bei 55 Grad gegart. Für die kunstvoll geflochtene Zucchini werden zuallererst eine grüne und eine gelbe Frucht längs in 0,3 Zentimeter feine Scheiben geschnitten. Eine Aufschnittmaschine erleichtert diesen Vorgang.
Anschließend die Scheiben in einer heißen Grillpfanne eine Minute von jeder Seite angrillen, herausnehmen, mit mildem Olivenöl, Salz und Thymian marinieren und nur die äußeren Seiten abschneiden. „Das Innere verwerten wir weiter“, erklärt Görner. Weggeworfen wird in dieser Küche nahezu nichts. Diese feinen Streifen werden dann geflochten, sodass eine Korbstruktur entsteht. Das fertige Mosaik kommt dann für fünf Minuten bei trockener Hitze in den Ofen.
Mango mit Doppelrolle
Auch die Mango hat in diesem Gericht eine Doppelrolle: Zum einen kommt sie als kleine Perlen ausgestochen in das Fregula-Risotto, zum anderen kurz gegrillt als Scheibe später an den Fisch. Die Mango schälen und mit einer Parisienne Perlen und mit einem Förmchen zwei Scheiben ausstechen. Die Scheiben kurz angrillen. Den Rest der Mango zu einem Püree mixen. Er kommt zum Fregula, der zwar im Nachgang Risotto heißt, aber streng genommen gar keines ist. Fregula ist eine Nudelart aus Hartweizengrieß. Der Küchenchef behandelt die Nudeln aber fast wie ein Risotto, das heißt, er gibt sie zusammen mit Olivenöl, Butter und dem Mangopüree in leicht siedendes, gesalzenes Wasser, lässt alles etwa zehn Minuten köcheln und danach noch fünf Minuten ziehen.
Doch was wäre ein solches Gericht ohne Sauce? Für die Zitronenmelissen-Sauce werden walnussgroße Sellerieund Zwiebelstücke in Butter farblos angeschwitzt und anschließend mit Weißwein abgelöscht. Danach kommen Sahne, Milch, Butter, Wacholder, weiße Pfefferkörner und Piment hinzu. Für 45 Minuten darf diese Mischung dann sieden, bevor sie durch ein Spitzsieb in einen neuen Topf passiert wird. Dort wird sie noch einmal aufgekocht und mit ein wenig in Wasser aufgelöster Stärke gebunden. Mit Salz, Pfeffer, Zucker und Zitronensaft abschmecken und kurz vor dem Anrichten noch einmal mit zwei Stückchen Butter aufschäumen.
Sauce aus dem Siphon
Zu Hause wäre das Gericht dann fertig. Für das Mary’s darf es aber etwas mehr sein. Für die Gäste dort kommt die Sauce in einen Siphon, den die Großmütter gerne für Sahne an der Kaffeetafel nahmen. Ganz zum Schluss wird die Sauce wie Sahne an das Gericht gegeben. Der Siphon macht die Sauce fluffig. Doch dieser Zustand ist begrenzt haltbar. „Jetzt haben wir exakt zwei Minuten, um das Gericht beim Gast am Tisch zu haben“, weiß der Küchenchef. Dank des eingespielten Teams in der Küche ist das kein Problem.
Es geht die Treppe hinauf, durch den gefliesten Gang, an dessen Seiten Geschirr steht. „Hast Du eine Serviette?“, fragt Görner im Vorbeigehen. Selbstverständlich erhält er sofort von einer helfenden Hand das Gewünschte. Ein kleiner Ölfleck sitzt auf dem Teller, wo er nicht hingehört. Weg ist der Fleck. Die automatische Tür zum Restaurant öffnet sich. Das Gericht ist am Tisch. Die Cloche hebt sich. Zweierlei Steinbutt ist bereit zum Genuss.
Text: Heike Schmidt
Fotos: Frank Wilde