Eine Choreographin macht Furore: Mónica García Vicente bereichert mit ihrem eigenwilligen Zugriff die hannoversche Tanzszene.
Text: Jörg Worat, Fotos: Peter Hoffman-Schönborn, Jörg Mannes, Dorit Schulze und Michele Seydoux
Ob Hannover eine Tanzstadt ist? Darüber braucht man nun wirklich nicht mehr zu diskutieren. Und es ist auch müßig, immer nur darauf hinzuweisen, dass 1886 mit Mary Wigman die Pionierin des Ausdruckstanzes hier geboren wurde – naheliegender ist doch ein Blick auf das, was sich in der Jetztzeit tut. Auch und gerade jenseits der großen Staatsballett-Bühne.
Choreographin war Mitglied des Staatsoper-Ensembles
Auf der hat allerdings Choreographin Mónica García Vicente durchaus Erfahrungen gesammelt und zwar reichlich: Von 2006 bis 2017 war sie Ensemblemitglied beim damaligen Ballettdirektor Jörg Mannes. „Ich hatte sogar das Angebot weiterzumachen“, sagt sie – für eine Tänzerin jenseits der 40 eine alles andere als selbstverständliche Offerte. Doch die gebürtige Spanierin entschloss sich, neue Wege zu gehen und dem Tanz gleichwohl treu zu bleiben: „Ich hatte schon ein paar eigene Arbeiten geschaffen, 2007 zum Beispiel für den Internationalen Choreographenwettbewerb, und gemerkt: Das macht Spaß.“ Soviel Spaß, das daraus der Lebensinhalt geworden ist, denn die Frau, die in diesem März ihren 50. Geburtstag feiert, hat mittlerweile das hannoversche Tanzhaus im Ahrbergviertel als Ausgangspunkt für ein ganzes Bündel von Aktivitäten gewählt.
Brücken zu anderen Ausdrucksformen
Darunter natürlich die eigenen Choreographien. Die bislang letzte hieß „Mary Frankenstein“, hatte ihre Uraufführung im Pavillon und zeigte einige typische Merkmale für die sehr spezielle Ästhetik von Mónica García Vicente. So wurde inmitten der Tanzsequenzen ein Text vorgetragen, zur Musikspur trug Maewen Forest eigens für das Stück geschriebene Kompositionen bei, und in Sachen Bühnenbild war mit Gerhard Merkin ein Mann aus dem Bereich der Bildenden Kunst mit an Bord: „Ich bin immer daran interessiert, Brücken zu anderen Ausdrucksformen zu schlagen“, betont die Choreographin.
Choreographin inszeniert Frankenstein
Interessant ist auch die Wahl des Stoffs, dessen Titel ja eine eigenartige Verquickung zwischen dem Namen der Autorin Mary Shelley und der Titelfigur ihres berühmtesten Romans „Frankenstein“ darstellt. Die wiederum ist zwar genau genommen der Schöpfer des künstlichen Monsters, wird aber oft mit diesem gleichgesetzt, und all diese Überschneidungen haben Mónica García Vicente fasziniert: „Ich frage mich, wer in dieser Geschichte eigentlich das Monster ist. Und halte den Roman auch für eine Autobiographie, denn Mary Shelley war für ihre Zeit selbst monströs.“ Wohl wahr: Im Erscheinungsjahr 1818 schickte es sich nach weit verbreiteter Ansicht für eine junge Dame nicht, mit einem solchen Buch in die Öffentlichkeit zu treten.
Das Connection Dance Center hat wieder begonnen
Schließlich verdient die Zusammensetzung des „Frankenstein“-Ensembles Aufmerksamkeit: Zu zwei hauptberuflichen Tänzern gesellen sich vier Frauen aus dem semiprofessionellen Bereich, was übrigens bei der Betrachtung keineswegs zu einem sichtbaren Bruch führt. Für solche Formen der Vermittlung ist Mónica García Vicente ohnehin zu haben, wie sich gerade brandaktuell wieder zeigt: Am 1. März startet die zweite Ausgabe des dreimonatigen „Connection Dance Centers“. Aus vorangegangenen Workshops hat die Choreographin zwölf Amateur-Tänzerinnen im Alter zwischen 19 und 25 Jahren ausgewählt, die nicht nur ein wöchentliches Training bei ihr absolvieren werden, sondern auch professionellen Unterricht in anderen Performance-Sparten vom Schauspiel über die Musik bis zur Beleuchtung erhalten und zudem bei Institutionen wie dem Staatsballett hospitieren können. Gemeinsam werden bei alledem Mikro-Performances erarbeitet, die im Opernhaus, der Eisfabrik und im eigenen Tanzhaus zur Aufführung kommen sollen.
Tanzsprache der Choreographin
Wie kann man die Tanzsprache von Mónica García Vicente beschreiben? Auffällig ist, dass es da zu hochexplosiven Momenten kommen kann, die Choreographin aber auch ruhig-behutsamen Passagen viel Raum lässt. Wer einen Eindruck davon gewinnen will, mag sich im Netz die Stücke „Immobilitá“ und „Industrial Movements“ anschauen; die letztgenannte Produktion kommt als ausgeprägt expressiver Tanzfilm daher, der im Kesselhaus Linden entstanden ist und diese Umgebung unmittelbar ins Geschehen einbindet.
Giselle Unchained – Frauenbild wird angekratzt
Im Gespräch wirkt Mónica García Vicente temperamentvoll und wie eine Frau, die sehr genau weiß, was sie will. Daraus ist aber keineswegs zu schließen, dass sie ihren Tänzerinnen und Tänzern alles bis ins Kleinste vorgibt: „Ich versuche, ihnen eine Idee zu vermitteln, in welche Richtung die Choreographie gehen soll. Die genauen Bewegungen entwickeln sie dann aber stark aus sich selbst heraus.“ Das wird wohl auch wieder die Arbeitsweise beim neuen, rein weiblich besetzten Stück „Giselle Unchained“ der Fall sein, das Ende des Jahres Uraufführung haben soll und in dem die Choreographin einen Ballett-Klassiker durch die Mangel drehen wird: „Ich will an der Fassade dieses romantischen Frauenbilds kratzen.“
Lebenslauf
Mónica García Vicente wurde im spanischen Salamanca geboren und wusste in zartem Alter, wohin ihr Lebensweg führen sollte, obwohl es keine entsprechende familiäre Prägung gab: „Ich habe schon mit vier Jahren getanzt.“ Sie studierte in Madrid und Lausanne, war dann Mitglied in renommierten Ensembles wie der Company Victor Ullate und dem italienischen Aterballetto, wo sie ihren späteren Ehemann Loris Zambon kennenlernte. Beide arbeiteten anschließend am Landestheater Linz erstmals unter Ballettdirektor Jörg Mannes und wechselten gemeinsam mit ihm nach Hannover.
Zukünftige Künstler in der Familie
Dort bekam das Paar das erste Kind, wobei Nachwuchs in Ballettensembles aufgrund der speziellen Berufsbedingungen eher unüblich ist: „In vielen Städten wäre das gar nicht möglich“, sagt Mónica García Vicente dann auch. „Hannover hat mir die Möglichkeit gegeben, und dafür bin ich sehr dankbar.“ Sohn Leonardo ist inzwischen 15 und – nomen est omen – malerisch begabt: „Er hat schon das erste Bild verkauft“, sagt die stolze Mutter. „Für 80 Euro.“ Allerdings zieht es ihn weniger auf die Bühne, doch vielleicht schafft diesbezüglich die dreijährige Schwester Eleonor Abhilfe: „Sie ist eine richtige Diva“, meint Mónica García Vicente. Wenn sich also die Familientradition der frühen Berufsentscheidung fortsetzt, könnte bald feststehen, ob hier schon die nächste Tänzerin in den Startlöchern steht.