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Tänzer im fliegenden Popcorn

Bewegungsbooster Popcorn

14. Februar 2023

„Glaube – Liebe – Hoffnung“ – ein ungewöhnlicher Ballettabend an der Staatsoper Hannover
Text: Heike Schmidt, Fotos: Carlos Quezada

Tanzen ist Ausdruck ohne Sprache. Wenn Bewegung wie in der Inszenierung von Medhi Walerski zur Poesie wird, dann berührt sie mehr als tausend Worte. „Sway“ (Schwanken) heißt der Teil des Ballettabends „Glaube – Liebe – Hoffnung“, der für den ruhigen, aber umso kraftvolleren „Glauben“ steht. Gerade in den Momenten, in denen die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer so gespannt-langsam sind, ahnt man die Kraft und den Willen an die Leichtigkeit der Umsetzung. Die Compagnie in schlichten schwarzen Anzughosen schafft magische Augenblicke im Halbdunkeln der Bühne, indem sie Bilder kraftvoller Hoffnung in den Raum malen. Lizette van der Linden hat dafür ein wunderbares Lichtkonzept geschaffen. Die Musik dazu stammt von Adrien Cronet, der das Stück nach der Musik von Johann Sebastian Bach geschrieben hat.

Mutterliebe – von männlichen und weiblichen Tänzern

„Sway“ ist der ruhigste Teil des Abends, für den die drei Choreographen Guillaume Hulot, Medhi Walerski und Marco Goecke recht unterschiedliche Teile zusammengefügt haben. Der Abend beginnt mit „Milk“, eine Uraufführung von Guillaume Hulot. Sie steht für die Liebe, die Mutterliebe, wobei dabei keineswegs eine Mutter mit einer Frau gleichzusetzen ist. Zwar sind die Kostüme (Marvin M’toumo) von den sekundären Geschlechtsmerkmalen einer Frau geprägt – die Corsagen tragen mannigfache Brüste, die ausladenden rokoko-inspirierten Röcke betonen die Hüften -, doch sie werden von einer Tänzerin ebenso wie von einem männlichen Kollegen getragen. Mutterliebe ist in dieser Inszenierung an kein Geschlecht gebunden.

Vom harschen Schrei zu liebevollem Mozart

Die Musik dazu ist so unterschiedlich wie der Teil des Abends an sich: Sie reicht von Tanya Tagaq über Wolfgang Amadeus Mozart bis hin zu The Police. Die Aufführung beginnt mit einem Schrei von Tanya Tagaq. Es ist die Empörung, der nahezu jeder Säugling nach seiner Geburt Ausdruck verleiht. Es kann auch ein Schrei nach der (Mutter-)Liebe sein, einem Schrei nach Versorgung. Während der Mozart für das süße, leichte (auch auf Mütter) projizierte, ja, auch sentimentale Glück steht, wird dies immer wieder durch die eher harschen Stücke der Kehlkopfsängerin Tanya Tagaq relativiert.

Tänzer spielen zwischen Nähe und Distanz

„Love is an action, never a simple feeling“ – Liebe ist eine Handlung, niemals nur ein Gefühl – dieses Zitat der Autorin Bell Hooks verleiht Guillaume Hulot Ausdruck. Dabei wird beispielsweise auch thematisiert, wie man es schafft, liebevoll auf den Trotz des Nachwuchses beim Erwachsenwerden zu reagieren. Es geht um das Spiel zwischen Nähe und Distanz, zwischen unbedingter Liebe auch in Zeiten der Abnabelung vom Elternhaus.

Tänzer zwischen fliegendem Popcorn

Zum Ende des Ballettabends gibt es die Inszenierung „Hello Earth“ von Marco Goecke zu sehen, die 2014 in Den Haag uraufgeführt wurde. Goecke nimmt sich den Blick von außen auf die Welt vor. Er nähert sich vom Urknall, von der Geburt bis zum Tod. Die Bewegungen sind manchmal zur Gespanntheit flirrend, dann wieder spielerisch, wenn die Tänzerinnen und Tänzer durchs Popcorn wie Kinder durch frisch gefallenen Schnee streifen und springen. Während das Popcorn auf der Bühne zu Anfang in Form eines riesigen Herzens erscheint, verliert es an Form – je weiter das Spiel voranschreitet und je mehr die aufgeplatzten Maiskörner zum Bewegungsbooster geworden sind.

Das fliegende Popcorn verlängert die Bewegungen. Während es wie in Zeitlupe die Bewegung der Tänzer nachmalt, sind diese schon bei der nächsten. Sie sind immer voraus, während die Zuschauer oftmals noch an die schwebenden Popcorn-Bilder denken. Es ist manchmal wie im Kino: Das frische Popcorn ist im Zuschauerraum zu riechen. Es riecht nach Kino. Die Musik von Benjamin Britten ist bombastisch wie bei einem Blockbuster.

„Du darfst den Glauben an die Menschlichkeit nicht verlieren.“

Und manchmal überlegt man, was eigentlich wäre, wenn die Tänzer auf Miniaturformat schrumpften. Würden sie im leichten und flockigen Popcorn untergehen? Würde es über ihnen zusammenwogen? Würde dieses Symbol der leichten Unterhaltung am Ende einfach die Tänzerinnen und Tänzer verschlucken? Sie unsichtbar machen? Ihre Kunst unter der profanen Popcorn-Leichtigkeit verschwinden lassen? Doch auch dafür findet Marco Goecke eine Antwort. Im Programmheft des Abends wird sie zitiert: „You must not lose faith in humanity“, hat Mahatma Gandhi einmal gesagt: „Du darfst den Glauben an die Menschlichkeit nicht verlieren.“

„Glaube – Liebe – Hoffnung“ ist das, was für Hannovers Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz eine Maxime war: Die Einheit in Vielfalt. Er schrieb: „Die Menschen sind verschieden, doch die Wahrheit ist eine; und alle, die sie suchen, auf welchem Gebiet es sei, helfen einander.“

Am 17. und 18. Februar wird der Opernball gefeiert! Endlich nach über 2 Jahren Pause. Wir haben mit Marvin Ott gesprochen, der dafür zuständig ist, die Oper zu verwandeln. Lesen Sie oder hören Sie rein!
Der Ausstatter des Opernballs

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