Text: Stefanie Nickel, Fotos: Henning Steffen
Er ist einer der letzten seiner Art: Henner Haß ist Leuchtröhrenglasbläser – und erschafft in seiner Werkstatt in Hannover-Döhren Leuchtbuchstaben, die in Galerien, Museen und hippen Start-ups hängen.
In der Werkstatt in Hannover-Döhren stapeln sich Glasröhren in verschiedenen Farben und Formen, Kisten voller Zeichnungen und Plastikbehälter mit Leuchtstoffen. Henner Hass, dunkle Locken, Hornbrille, blaues Hemd, dreht ein Glasrohr in einer Flamme. Es biegt sich geschmeidig in seinen Händen, schlägt einen gleichmäßigen Bogen. Danach bläst er durch ein Mundstück in einen langen, schmalen Schlauch in die Glasröhre, setzt das G zusammen. Es ist ein Vorgang, den er schon tausende Male wiederholt hat – und der dennoch jedes Mal höchste Konzentration bedarf.
Seit 30 Jahren ist Henner Haß im Geschäft – und heute einer der letzten Leuchtröhrenglasbläser in Deutschland. Bundesweit gibt es Branchenschätzungen zufolge noch etwa 20 Personen, die diesen Beruf ausüben. Früher, als Haß anfing, waren es noch an die 300.
Haß legt das gebogene Glasrohr auf die Zeichnung mit dem G, die er für diese Arbeit angefertigt hat, die Rundung passt millimetergenau. Ein guter Leuchtröhrenglasbläser braucht viel Erfahrung. „Man lernt nicht Glasblasen, sondern man entwickelt ein Gefühl für das Glas, für die Temperatur, die Elastizität“, sagt er.
Neon-Zulieferer zur Lichtkunst-Netzwerker
Als sich die LED-Beleuchtung ab Anfang der Nuller Jahre flächendeckend durchsetzte, mussten viele Betriebe dicht machen. Auch für Henner Haß wurde es eng. Seine Firma arbeitete hauptsächlich als Zulieferer für die Lichtwerbeindustrie – befüllte Röhren für Blechbuchstaben mit Leuchtmitteln wie Neon oder Argon, baute Reklame wie „real Getränkemarkt“, „LBS“ oder „Volksbank Hannover“, regenerierte alte Anlagen. Die LED-Technik machte all das obsolet. Aber Haß fand eine Nische.
Er knüpfte an seine alte Leidenschaft, die Kunst, an, gab einen Neon-Workshop für Restauratoren und baute sich von da ein Netzwerk auf. „Vieles ging von Mund zu Mund“, erzählt er. Heute rufen ihn Kunstschaffende aus ganz Deutschland an, wenn sie an einer Lichtinstallation arbeiten. Henner Haß‘ Auftragsbücher sind gut gefüllt. Die Liste ist lang: Timm Ulrichs, Tobias Rehberger, Andrea Bowers, Via Lewandowsky, Christoph Rust, Franz Betz, Sylvie Fleury und viele mehr. Sie alle schätzen seine Präzision, Zuverlässigkeit und Unaufgeregtheit. „Bei mir gibt es kein großes Bohai“, sagt Haß. „Ich behandle jeden gleich. Das mögen viele.“ Dass Künstler seine Schriftzüge für ein Vielfaches weiterverkaufen, stört ihn nicht: „Die Idee und das Konzept kommt ja von den Künstlern, ich verkaufe in dem Fall nur das Neon.“
Haß‘ Neonwerke bezaubern Hannover und darüber hinaus
Haß‘ Buchstaben sind in Hannover präsent. So arbeitet er regelmäßig für die Kestnergesellschaft. Der Schriftzug „Words on the front of a building“ für die Front des Kunstvereins war eine Arbeit, die der 56-Jährige für das britische Künstlerduo John Wood und Paul Harrison angefertigt hat. Oder „Let it come, let it come“ von Tim Etchells, ebenfalls eine Arbeit für die Fassade der Kestnergesellschaft. Auch das Kunstmuseum Wolfsburg, zahlreiche Galerien in Berlin, die Galerie Drees in Hannover sowie der Kunstverein Braunschweig zeigen regelmäßig Arbeiten, die in der kleinen Werkstatt in Hannover-Döhren gefertigt wurden. Aber nicht nur Künstler geben bei Haß Arbeiten in Auftrag, auch viele Start-ups bestellen Schriftzüge, lustige Sinnsprüche für Konferenzräume („Wir haben Bock“ oder „oh yes!“), das Firmenlogo oder Deko. Ladenbauer haben sein Neon als Designelemente im Sortiment.
Und dann sind es auch immer wieder Privatleute, die sich etwas Besonderes wünschen. Auf der Werkbank liegt gerade ein Schriftzug für eine Hochzeit. Selina und Marcel. Dazwischen ein Herz. Der Bräutigam werde das Stück wohl mit einem Hubschrauber abholen, erzählt Haß, damit es rechtzeitig zu der Feier in der Schweiz ankomme.
Das Licht verblasst
Es sind auch kleine Geschichten wie diese, die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Auftraggeber, die Haß‘ Job besonders und abwechslungsreich machen.
Haß ist etabliert. Er bietet seinen Kunden das Besondere. Aber wie schätzt er die Zukunft seiner Zunft ein? Henner Haß ist pessimistisch. Seit sich die LED-Beleuchtung durchgesetzt hat, bildet er nicht mehr aus. Deutschlandweit kommt kaum Nachwuchs hinzu. An der Glasfachschule in Nordrhein-Westfalen etwa, wo man das Handwerk noch lernen kann, gibt es seit ein paar Jahren gar keine Auszubildenden mehr.
Früher hätten die Lehrlinge vor allem Buchstaben ausgewaschen und neu mit Leuchtstoffen befüllt. Nebenbei hätte man sie an das Glasblasen herangeführt. „Alles Üben am Glas geht im ersten Jahr in die Tonne“, sagt er. Ohne die einfachen Arbeiten sei dafür kein Raum.
Und so ist Haß einer der einer der letzten, die mit Licht zeichnen. „Die Art, wie wir hier in Deutschland Neonsysteme fertigen, wird es in einigen Jahren weltweit nicht mehr geben“, sagt er. Allein im letzten Monat hätten noch einmal zwei Neonglasbläsereien ihre Türen für immer geschlossen. „Mit meinem Renteneintritt in einigen Jahren geht hier in Hannover das (Neon-)Licht endgültig aus.“