Die Skulpturen, die Marina Gärtner herstellt, sind essbar – denn als Werkstoff dienen Früchte.
Text: Patricia Chadde Fotos: Lorena Kirste
Marina Gärtner fertigt kleine Skulpturen. Nach dem Motto: „Holz kann jeder“ arbeitet die 36-Jährige als Speisebildhauerin. Ihre Kunstwerke, meist im kleinen Format, lassen sich essen.
Die offensichtliche Lücke zwischen Garnieren mittels Buttermesser und arbeiten mit eine Feile und Hobel entdeckte die Sehnderin im Jahr 2012. Ihr meistgenutztes Werkzeug ist ein handelsübliches Küchenmesser. „Aber es muss wirklich scharf sein“, beschreibt Gärtner die wesentliche Anforderung. Der genutzte Werkstoff, von Apfel über Kürbis bis Zitrone, ist viel weicher als Holz. Sie weiß: „Mit formstabilem Fruchtfleisch lässt sich gut arbeiten. Auch der ringförmige Aufbau einer Zwiebel birgt Potenzial.“ Im Laufe der Jahre entwickelte sie einen völlig neuen Blickwinkel auf alltägliche Lebensmittel.
Neue Sorten inspirieren zu neuen Motiven
„Wenn ich über den Wochenmarkt schlendere, halte ich immer Ausschau nach neuen Sorten“, berichtet sie. Meist bleibt es nicht bei der Betrachtung. „Natürlich wird gekauft und ausprobiert, ob sich daraus eine originelle Figur arbeiten lässt“, schildert Ehemann Tony Gärtner den klassischen Ablauf eines Einkaufsbummels. Laden Frucht- und Gemüseimporteure zu Messen ein, um neue Sorten vorzustellen, macht sich das Ehepaar ebenfalls auf den Weg.
Paprika wird zur Tulpenblüte
Premiere war 2012. Da verwandelte die damals 27-Jährige eine gewöhnliche Paprikaschote in eine Tulpenblüte. Die Zucchini folgte: Mittels geschickt gesetzter Schnitte wurde das Gemüse zur Königin der Blumen, zur Rose. Selbst aus Chinakohl lässt sich eine Blüte gestalten. In den Händen von Marina Gärtner wird daraus eine aparte Chrysantheme. Das gestalterische Potenzial, welches jedem ganz gewöhnlichen Lebensmittel innewohnt, überraschte Gärtners Verwandte und Bekannte. Ihr Talent für originelle Dekorationen sprach sich herum, und da diese Form der Dekoration kein fester Bestandteil der aktuellen Kochausbildung ist, wurden Hotels und Caterer auf die Speisebildhauerei aufmerksam. „Seitdem betreibe ich meine Obst- und Gemüsegestaltung gewerblich“, berichtet Marina Gärtner von der Entwicklung. Heute ist sie mit ihrem Ehemann in der Gastronomie erfolgreich, obwohl sie mit ihrem Bachelor in Touristik ursprünglich einen Job in der Reisebranche anstrebte. „Der Erfolg machte mich experimentierfreudiger, die Objekte wurden komplexer“, blickt sie zurück. Der Begriff der Speisebildhauerin existiert nicht offiziell. Zur Fortbildung besuchte Gärtner 2014 Wochenkurse bei der Moskauer Akademie Carving. Alles andere hat sie sich mit Fingerfertigkeit und Geduld selbst beigebracht.
Ein Blick für Proportionen
„Man entwickelt einen Blick für Proportionen“, schildert Marina Gärtner einen weiteren Aspekt der steten Übung. Sie schnitzt Namen von Hochzeitspaaren und Geburtstagskindern, Logos von Firmen und Schriftzüge von Aktionen. So wünschte sich ein Sehnder Bauunternehmer die Abbildung seines geplanten Projektes, das Marina Gärtner aus einer Wassermelonenschale herausarbeitete. „Die grüne Wassermelone ist mein Lieblingsobst“, sagt sie. Ein Kürbis ist ähnlich gut geeignet. Allerdings geht es bei ihrer Bearbeitung nicht so tief ins Fruchtfleisch wie bei Laternen-Kürbis-Produzenten. Marina Gärtner entfernt nur Teile der festen, farbigen oberen Schicht. „Je kräftiger der Kontrast zwischen Schale und Fruchtfleisch ausfällt, umso plakativer kommt das Wunschmotiv zur Geltung“, empfiehlt sie dunkel gefärbte Kürbissorten. Obwohl: „Ton in Ton sieht auch chic aus“, fügt sie hinzu.
Selbst geschnitzt
Weil Wintertage lang werden können und die Beschäftigung mit Lebensmitteln gerade Trend ist, gibt Marina Gärtner gerne ein paar Tipps. „Wer einen Apfel in Spalten schneiden kann, dem gelingen auch andere Formen“, weckt sie Zuversicht. Um selbst eine Frucht zu verschönern, solle man zunächst den Umriss von Zahl, Buchstabe oder Motiv auf die Schale ritzen. Anschließend vorsichtig die Schale im Inneren des Umrisses abheben, damit das helle Fruchtfleisch sichtbar wird. Bei Sorten, deren Fruchtfleisch oxidiert, wie etwa einem Apfel, kann man mit ein paar Spritzern Zitronensaft den chemischen Prozess stoppen. „Man kann auch Vitamin C in der Apotheke kaufen und daraus eine wässrige Lösung herstellen und in eine Sprühflasche füllen“, rät Marina Gärtner. Möchte man bereits einige Stunden vor der Präsentation alles fertig haben, sollte das bearbeitete Obst oder Gemüse in Frischhaltefolie gewickelt und kühl gelagert werden.
Zum gesunden Naschen animieren
Die Kinder von Marina und Tony Gärtner, vier und sechs Jahre alt, freuen sich über außergewöhnliche Figuren und Formen auf ihren Tellern und in der Brotdose für Kindergarten und Schule. „Wählt man bunte Farben und schneidet mundgerechte Stücke, dann werden Obst- und Gemüse sehr gerne genascht“, empfiehlt Marina Gärtners allen Menschen, die andere und sich selbst für Gesundes begeistern wollen.