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Das Erbe der Avantgarde

25. Juni 2021

Fachwerk, Barock und Bauhaus – Celle ist eine Stadt der architektonischen Schätze. Die Gebäude im Bauhaus-Stil wurden von dem einst international bekannten Architekten Otto Haesler (1880–1962) errichtet, den Bauhaus-Fans weit über Celle hinaus jetzt wieder neu entdecken.
Text: Beate Rossbach Fotos: Ulrich Loeper
Otto Haesler arbeitete von 1906 bis 1933 in Celle. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er zu einem bedeutenden Vertreter des avantgardistischen „Neuen Bauen“ in der Weimarer Republik. Walter Gropius reiste nach Celle, um ihn und seine Arbeiten kennenzulernen und wollte Haesler nach Dessau holen. Der aber blieb in Celle und beschäftigte selbst Bauhaus-Absolventen in seinem Architekturbüro.
Otto Haesler revolutionierte vor allem den Wohnungsbau. Seine Siedlungen und Bauwerke im Bauhaus-Stil, die in den Jahren von 1924 bis 1930 entstanden, prägen bis heute das Celler Stadtbild. Sie sind überwiegend im Originalzustand erhalten und werden fast alle in ihrer ursprünglichen Funktion genutzt, wie die Siedlung Italienischer Garten und die Altstädter Schule.
Im Jahr 2019 hat Celle das Jubiläum „100 Jahre Bauhaus“ gebührend gefeiert. Die Celle Tourismus und Marketing GmbH informiert über das Wirken von Otto Haesler, unter anderem mit Führungen zu seinen Bauwerken in der Stadt. In diesem Jahr wurde die Celler Bauhaus-Website aktualisiert. Interaktive Elemente wie 360-Grad-Bilder, 3D-Animationen und Drohnenflugvideos sorgen für Abwechslung, Unterhaltung und eine ansprechende und moderne Aufbereitung des Themas.

Klaus Lohmann, Geschäftsführer der Celle Tourismus und Marketing GmbH, sagt: „Das Thema Bauhaus ist für uns ein Dauerbrenner und Teil unserer DNA. Die Aktualisierung der Website www.neuesbauen-celle.de ist unser Beitrag, das Erbe von Otto Haesler zu bewahren und sowohl modern als auch animiert darzustellen. Sie soll Lust auf mehr und auf einen Besuch in Celle machen! Celle spielt mit seinem Motto ‚Barock trifft Bauhaus‘ im bundesweiten Kontext neben Weimar und Dessau eine ganz besondere Rolle.“

Dem Neuen Bauhaus ganz nah

Auch wenn ein Haesler-Gebäude im Privatbesitz, eine ehemalige Fabrik, unlängst abgerissen wurde, können in Celle noch sieben seiner Bauwerke im Stil des Neuen Bauens besichtigt werden. Regelmäßig gibt es Neues zu berichten.
So wurde im Herbst letzten Jahres das 1928 erbaute Rektorenwohnhaus neben der Altstädter Schule zu einem Ausstellungsort mit neuer Strahlkraft. Unter dem Begriff „bauhausSchauhaus“ soll die Villa bürgerliches Wohnen in der Bauhauszeit in Celle zeigen. Drei Räume des Erdgeschosses wurden bereits mit Originalen der Bauhauszeit möbliert und dokumentieren das Neue Wohnen der gehobenen sozialen Schicht.
Ein anderes Ausflugsziel führt an den Stadtrand von Celle, etwas abseits der touristischen Pfade, aber dank guter Ausschilderung leicht zu finden. Hier steht die 1930/31 erbaute Wohnsiedlung Blumläger Feld, Otto Haeslers letztes Bauprojekt in Celle. Kleinstwohnungen sollten für Arbeiter und Angehörige finanzschwacher Schichten menschenwürdigen Wohnraum ermöglichen, ein Anliegen, das dem Architekten, der selbst aus einfacheren Verhältnissen stammte, stets sehr am Herzen lag.

Die Siedlung gilt als ein einmaliges Zeugnis für rationales Bauen und kostengünstige Wohnungen für Menschen am Exis­tenzminimum in der Weimarer Republik. Die Wohnungen hatten Zentralheizungen, Toiletten und gut durchdachte Möbel­einbauten, und allen Mietern standen ein Keller und ein kleiner Garten zur Verfügung. Da es noch keine Möglichkeiten gab, Krankheiten wie Tuberkulose wirksam zu bekämpfen, errichtete Haesler in der Siedlung einen „Lungenflügel“, einen Bauabschnitt mit zweigeschossigen Wohnungen mit Südbalkonen und Terrassen, um betroffenen Familien ein Leben mit Licht, Luft und Sonne zu ermöglichen. Nach der Fertigstellung wurde die Siedlung weltweit bekannt und gelobt.

Alte Gebäude neu genutzt

Einige Häuser sind begehrte Mietobjekte und bewohnt. Andere Gebäudeflügel im Blumläger Feld stehen leer und warten darauf, saniert zu werden.
Für die Besucher ist ein besonderes Kleinod zugänglich. Das Otto-Haesler-Museum, in der Verantwortung der Otto Haesler Stiftung Celle, ist im ehemaligen Zentralgebäude der Siedlung Blumläger Feld untergebracht, das früher als Wasch- und Badehaus genutzt wurde. Es wurde mit einem aktuellen Konzept neu eingerichtet.
Rudolf Becker, Baudirektor im Ruhestand und ehrenamtlicher Geschäftsführer der Stiftung, lädt hier zu einer Zeitreise ein. Zu sehen sind neu gestaltete Schautafeln mit ausführlichen Informationen zu Haesler, seiner Vita, seiner Arbeit und seiner Zeit. Dazu wurde im Obergeschoss sogar die Küche aus Haeslers Celler Privat-Wohnhaus wieder aufgestellt. Besonders spannend sind die Einblicke in das Leben der Bewohner durch Exponate, historische Fotos und Filme.

Ein Bade- und Waschhaus als moderne Errungenschaft

Vor hundert Jahren gab es in den Wohnungen der sozial schwachen Schichten keine eigenen Bäder. Man besuchte öffentliche Einrichtungen, um für ein paar Pfennige in das warme Wasser der Wanne zu tauchen – meist sogar alle Familienmitglieder nacheinander. In der Siedlung dagegen genossen die Bewohner mit einem eigenen Haus für Dusch- und Wannenbäder daher einen besonderen Komfort.
Das Badehaus diente zudem als Gemeinschafts-Wasch­küche mit modernster technischer Ausstattung für die Hausfrauen der Siedlung. Neben Waschtrögen mit fließendem Wasser, Rubbelbrettern, kraftvollen Mangeln und praktischen Aufhängevorrichtungen für große Wäschestücke stand hier auch eine hochmoderne Miele-Waschmaschine von 1930 zur Verfügung. Laut zeitgenössischem Prospekt „ist diese gediegene Trommelwaschmaschine für jeden Haushalt eine besondere Zierde“ – zum Preis von 1.700 Reichsmark ein echter Luxusartikel. Zum Vergleich: Die Wohnungen kosteten je nach Größe zwischen 20 und 25 Reichsmark im Monat, damals die günstigsten Wohnungen im Deutschen Reich.
Den Frauen traute man nicht zu, diese wertvollen und komplizierten Geräte selbst zu bedienen, erzählt Rudolf Becker. Dafür war ein Hausmeister zuständig, der zudem die im Gebäude installierte Heizzentrale für die Fernwärmeversorgung der Wohneinheiten überwachte. Das Waschhaus dürfte ein gut besuchter Treffpunkt gewesen sein. An der Wand hängt noch ein Kaffeeautomat mit Münz­einwurf und Handkurbelbetrieb, perfekt für eine kleine Pause mit den Nachbarn.
Es ist nicht das einzige charmante Exponat, das in diesem Museum entdeckt werden kann. Die älteren Semester unter den Besuchern werden sich vielleicht noch an die Haushaltskittel der Mütter erinnern, an Weidenkörbe, hölzerne Wäscheklammern und aus Rohr geflochtene Teppichklopfer. „Es sind alles Original-Exponate hier aus der Siedlung“, versichert Rudolf Becker, „nichts, was wir auf Flohmärkten gesammelt haben.“

Bitte eintreten in eine vergangene Zeit!

Dann bittet er zum „Hausbesuch“ in das Nachbargebäude, denn zum Museum gehören auch zwei voll eingerichtete Wohnungen. Im Untergeschoss wird auf 46 Quadratmetern das Leben einer Arbeiterfamilie mit Kindern gezeigt, so, als wären die Bewohner kurz einmal ausgegangen. Anhand des unveränderten Mobiliars sowie originalbelassener Fenster, Türen und Holzfußböden wird dokumentiert, worin der Nutzen und die Ästhetik dieser damals neuartigen Wohnungen bestanden. Ein Stockwerk höher dann die Wandlung des Lebensstils durch die Trends und Technik der 50er-Jahre.
„Wir haben die neue Einrichtung und Ergänzung des Museums jetzt abgeschlossen. Je nach den offiziellen Vorgaben im Rahmen der Pandemie planen wir, ab Samstag, 19. Juni, wieder zu öffnen“, hofft Rudolf Becker und betont: „Ein Eintritt wird nicht erhoben, aber wir bitten um eine Spende.“

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