Viele streben danach, ohne es jemals zu erreichen: Dabei ist das Glück
oft gar nicht so schwer zu finden: Gina Schöler vom Kunstprojekt
„Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ erklärt, was uns langfristig glücklich macht und welche Rolle die Corona-Krise dabei spielen könnte.
Text: Helene Kilb, Grafiken: Glücksatlas der Deutschen Post für das Jahr 2019
In der Dichtkunst wartet es in Form einer blauen Blume, Symbol für ein unentwegtes Sehnen und Wünschen. So schrieb einst Joseph von Eichendorff: „Ich suche die blaue Blume, ich suche und finde sie nie, mir träumt, dass in der Blume, mein gutes Glück mir blüh’.“ In der Wissenschaft: in Form von Untersuchungen, die bestimmte genetische Merkmale und das Zusammenspiel von Botenstoffen wie Dopamin und Serotonin analysieren. In der Psychologie: in Form von zahlreichen Studien, die untersuchen, welche Menschen in welchen Teilen der Erde wie glücklich sind und worin sie sich von weniger glücklichen Menschen unterscheiden.
Doch trotz all der Ansätze, die Dichter, Wissenschaftler, Psychologen und Forscher bieten, ist das Glück noch immer schwer zu fassen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es so viele Aspekte umfasst. Das Glück, das einen im Lotto gewinnen lässt, sei hier ausgenommen – vielmehr geht es um das Glück, das in einzelnen Momenten wartet, und die große, längerfristige Zufriedenheit, eine Art Lebensglück.
Wie definiert man Glück?
Was aber macht Menschen glücklich? „Vor allem sind es soziale Kontakte“, sagt Gina Schöler. Sie gehört zu einer Gruppe von ehemaligen Studenten, die im Jahr 2012 das sogenannte „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ gegründet haben, ein Projekt der Hochschule Mannheim, das mit Kampagnen und Mitmachaktionen für glücklichere Bürger sorgen will. Der „Glücksministerin“ Schöler zufolge ist das Wichtigste „ein gesundes, ehrliches Netzwerk aus zwischenmenschlichen Beziehungen, die einem kleine Glücksmomente im Alltag geben und die für einen da sind, wenn es hart auf hart kommt“ – also Familienmitglieder, Freunde, der eigene Partner. Darüber hinaus, sagt sie, mache es Menschen glücklich, eine Art von Sinn zu erleben, das Gefühl zu haben, Teil eines großen Ganzen zu sein, helfen zu können. Aber auch: „Wenn sie ihr Leben nach ihren Stärken, Interessen und Talenten gestalten und mit Leichtigkeit durchs Leben gehen können.“ Ebenfalls immer weit oben bei diversen Glücksstudien ist der Faktor Gesundheit. Geld macht dagegen nicht glücklich: Forscher haben herausgefunden, dass die Lebenszufriedenheit bis zu einem Jahreseinkommen von circa 70.000 Euro ansteigt und dann stagniert.
Die Corona-Krise als Chance zum Glück
Bei vielen Menschen sind Faktoren jetzt stark ins Wanken gekommen. Durch die Corona-Krise waren soziale Kontakte bis vor Kurzem auf ein Minimum beschränkt; wer in der Gastronomie, im Eventbereich oder in einem anderen betroffenen Bereich arbeitet, musste von einem Tag auf den anderen teilweise oder gar komplett damit aufhören. Ganz zu schweigen von der Gesundheit: „Natürlich ist es für viele Menschen eine Phase im Leben, die richtig hart und herausfordernd ist, gerade aus gesundheitlicher und wirtschaftlicher Sicht“, sagt Gina Schöler. Auf der anderen Seite erlebe sie in ihrem Amt gerade auch viel Positives: „Menschen, die dankbar, fast erleichtert sind aufgrund der Verschnaufpause, dieser von außen vorgegebenen Ruhe, um sich wieder klar zu werden, was wirklich zählt im Leben.“ Ebenfalls ein Nebeneffekt bei vielen: Sie wissen die kleinen Glücksmomente, die der Alltag bringt, mehr zu schätzen.
Diese Achtsamkeit kann langfristig für mehr Zufriedenheit im Leben sorgen. Und sie lässt sich trainieren, genau wie verschiedene andere Tätigkeiten – etwa: „öfter mal zur Ruhe zu kommen, Auszeiten zu schaffen, sich selbst und seine Bedürfnisse besser kennenzulernen“, sagt Glücksministerin Gina Schöler, „oder aus der Komfortzone herauszugehen, Dinge auszuprobieren und Neues kennenzulernen“ – kurz: alle Dingezu tun, die einen selbst glücklich machen.
Wo das Glück zu Hause ist
Insgesamt scheinen viele Menschen hierzulande aber zu wissen, wie das geht mit dem Glück: Denn die allgemeine Lebenszufriedenheit in Deutschland steigt seit einiger Zeit. Das zeigt der sogenannte Glücksatlas, den die Deutsche Post jedes Jahr in Auftrag gibt. Bei der Untersuchung bewerten die Befragten ihre Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 0 bis 10; 2019 lag der durchschnittliche Glücksindex bei 7,14 und damit auf dem höchsten Wert seit 1989. Die Region Hannover liegt dabei mit einem Index von 7,19 sogar etwas über dem Durchschnitt.
Ob dabei auch die Geografie eine Rolle spielt? Ähnlich wie der eingangs erwähnte Joseph von Eichendorff hat auch sein Dichterkollege Adelbert von Chamisso nach der blauen Blume gesucht – und das Symbol des langfristigen Glücks schließlich nahe Hannover gefunden: nämlich im Harz.
Expertenwissen aus Hannover: Drei Fragen an Dr. Günther Vedder
Dr. Günther Vedder arbeitet am Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover und beschäftigt sich unter anderem mit den Themen Glück und Arbeitszufriedenheit.
1. Warum sind manche Menschen glücklicher als andere?
Jeder Mensch verfügt über einen durchschnittlichen Glücksrichtwert, der je nach genetischer Ausstattung, Familien- und Umwelteinflüssen ganz unterschiedlich ausfallen kann. Er wird bei freudigen Ereignissen überschritten, bei traurigen Erlebnissen unterschritten, aber wir pendeln uns doch immer wieder auf ihn ein. Es wird noch darüber gestritten, ob 50 Prozent oder gar 80 Prozent des Glücksempfindens mehr oder weniger durch die Gene bestimmt werden.
2. Kann man das Glücklichsein lernen?
Ein Stück weit ja, denn es bleiben ja noch 20 Prozent bis 50 Prozent unseres Glücksempfindens, die nicht genetisch bestimmt sind. Erstens: Wir können lernen, achtsamer zu sein und uns an jenen kleinen Glücksmomenten zu erfreuen, die wir tagtäglich erleben. Das kann ein Kinderlachen, ein freier Parkplatz, ein sonniges Wochenende, ein gutes Essen oder ein überraschendes Treffen mit Freunden sein. Zweitens: Wir können uns an dem erfreuen, was wir haben und unsere unerreichbaren Erwartungen an das Leben ad acta legen. Genau das geschieht oft bei den über 50-Jährigen, deren Zufriedenheitswerte auch deshalb steigen, weil sie zum Beispiel keine weiteren Karriereschritte mehr anstreben. Drittens: Wir können uns von der Glücksoptimierung verabschieden, weil die permanente Suche nach dem vollkommenen Glück viel Energie raubt und letztendlich unglücklich macht.
3. Meinen Sie, dass die Menschen nach der Corona-Krise glücklicher sind, weil sie die kleinen Dinge des Lebens mehr zu schätzen wissen?
Es besteht zumindest die Chance dazu. Wer länger krank war und zum ersten Mal wieder spazieren gehen kann, ist glücklich. Wer arbeitslos war und endlich einen neuen Job angeboten bekommt, ist glücklich. Wer lange alleine war und jemanden gefunden hat, ist glücklich. Warum soll dieser Mechanismus nicht auch bei jenen Dingen funktionieren, die wir in Corona-Zeiten länger vermisst haben? Auf unsere Einstellung kommt es dabei an.