Rund 30 Kilometer südwestlich von Hannover liegt ein grünes Paradies, das zu
jeder Jahreszeit reizvoll ist. Malerische Waldwanderwege, frische Bergluft, tierische Bewohner, rustikale Gaststätten und schöne Cafés – der Deister bietet jede Menge Abwechslung.
Text: Uta Preuße Fotos: Lorena Kirste
Manchmal möchte ich einfach abhauen, nur einen Rucksack mit kleinem Gepäck dabei, und ein paar Tage in der Wildnis verbringen, dort, wo es keine Ampeln oder Wartemarken für Besucher gibt, keine Menschenschlangen und keine Parkplatzprobleme. Eines von diesen Mikroabenteuern erleben, von denen derzeit so viel die Rede ist. Dafür muss ich nicht mal lange fahren, denn nur wenige Kilometer südwestlich von Hannover liegt ein grünes Paradies, das zu jeder Jahreszeit reizvoll ist: Malerische Wanderwege, frische Waldluft und immer wieder Ausblicke auf das Calenberger Land und das Weserbergland: der Deister.
Da ich ausgesprochen gerne wandere und leidenschaftlich gerne Pilze sammle, die ich auf verschiedene Arten zubereite, habe ich den Höhenzug im Spätsommer besucht. Auf dem Weg Richtung Springe biege ich mit meinem Auto Richtung Völksen ab nach Eldagsen zum „Kleinen Deister“. Ich genieße die wundervolle Landschaft mit Laubbäumen, deren Blätter sich langsam in bunten Farben präsentieren. Ich kurbele die Scheiben runter und atme frische Waldluft, es riecht nach Holz und Freiheit. Es geht es immer höher, und schöne Nadelbäume säumen den Weg.
In vielen schmalen Kurven fahre ich über einen Schotterweg zur Sennhütte. Sie liegt einsam auf dem Berg, auf geschätzten 400 Höhenmetern, umgeben von Wiesen und Wald. Es sieht fast aus wie in den Alpen, nur im Miniaturformat. Doris und Andreas Stucki erwarten mich schon. Sie bewirtschaften ihre Sennhütte seit über 20 Jahren. Sie leben fast in der Wildnis, denn es gibt weder Strom noch fließend Wasser. Dafür sorgen ein Brunnen und Generatoren. „Wir mögen die Abgeschiedenheit, das Leben mitten in der Natur, auch wenn es einige Einschränkungen mit sich bringt“, erzählen sie. Daran könnte ich mich auch gewöhnen, obwohl: Wie es wohl im Winter ist, wenn kein Schnee geräumt wird, mag ich mir gar nicht vorstellen.
Wild & Pilze im Deister
Zeit für ein Mittagessen: Auf der Speisekarte steht Wild aus dem Deister, da kann ich nicht widerstehen. Als Auftakt bestelle ich eine Wildkraftbrühe, danach die hausgemachte Wildsülze. Dazu gibt es Waldpommes. „Das sind unsere Bratkartoffeln“, klärt mich Andreas Stucki auf. Das Wild zerlegt der Küchenchef übrigens selbst und lagert es in seiner Wildkammer. Auf meinem Rückweg, immer schön den Schotterweg wieder runter, halte ich an und fotografiere das Panorama, das sich vor meinen Augen erstreckt: Nadelwald, wohin das Auge blickt. Dann geht es weiter bis zur nächsten Weggabelung. „Das gibt‘s doch nicht“, denke ich: Plötzlich tauchen mehrere schottische Hochlandrinder aus dem Dickicht auf mit dicker Zottelmähne und kräftigen Hörnern. Ich parke mein Auto am Wegrand und Fotografin Lorena zückt ihre Kamera. Die Vierbeiner sind gar nicht schüchtern, sondern kommen ganz nah an den Zaun und lassen sich streicheln. Mit dabei sind einige Kälbchen. Fasziniert beobachtete ich die Tiere. Man muss also gar nicht in die schottischen Highlands reisen, um diese wunderschönen Tiere zu sehen.
Auf dem Weg zur anderen Seite des Deisters komme ich am Wisentgehege mit dem Saupark vorbei, auch ein lohnendes Ziel für Besucher, doch dafür reicht die Zeit heute leider nicht. Ich habe etwas anderes vor. Dafür brauche ich ein Messer und einen Stoffbeutel. Am Wegrand tausche ich meine Sneakers gegen solide Wanderschuhe, und los geht‘s in die Pilze. Ich liebe Pilze. Sie machen mich glücklich und lassen mich die Zeit vergessen. Angst, mich zu vergiften? Nein, ich gehe auf Nummer sicher und suche nur nach Steinpilzen und Maronen; es ist relativ einfach, sie zu bestimmen. Nach nur wenigen hundert Metern wartet der erste „Begrüßungpilz“ auf mich, eine perfekte Marone. Vorsichtig schneide ich sie mit meinem Pilzmesser ab und säubere sie gleich an Ort und Stelle. Ich gehe über moosigen Waldboden, das ist fast wie schweben, und lenke meinen Blick nur ab und zu von unten nach oben, wo die Sonne durch die Tannen hindurchblinzelt. Besser geht’s nicht. Ich bin mitten im Wald und genieße die Ruhe. Nach einer guten Stunde ist mein Beutel recht gut gefüllt mit einem guten Dutzend Maronen und einem kapitalen Steinpilz, den ich daheim blanchieren und ganz einfach als Carpaccio zubereiten werde – mit einem Zitronen-Öl-Dressing, Petersilie und Parmesan.
Kurzurlaub im Deister: Von Ziegen, Schweinen und eitlen Pfauen
Es ist so schön, dass ich am liebsten bleiben würde, doch ich habe noch etwas anderes vor. Ich fahre weiter Richtung Barsinghausen. Als ich nach einer guten halben Stunde ankomme, werde ich schon von Renate Lohmann erwartet. Sie betreibt das Café im Schafstall. Aber ich sehe keine Schafe. „Die meckern uns zu viel, da haben wir lieber Ziegen angeschafft“, klärt sie mich auf. Ansonsten gibt es noch Pferde, Rosie, das Wildschwein, Göttinger Landschweine, Hühner und nicht zu vergessen: Cesar und Sky, die beiden Pfauen. Sie lungern neugierig vor dem Eingang des Cafés herum, vielleicht fällt ja hier und da ein Krümel von den köstlichen Torten ab, oder sie schauen in den Spiegel, der draußen steht: Die Frisur sitzt. Haupterwerb der Familie ist die Landwirtschaft, der Anbau von Rüben, Getreide und Raps. Selbst Renate Lohmanns Enkel Fritz und Helene helfen schon ein wenig mit. Der Hof mit seinem alten Baumbestand ist eine beliebte Location für Hochzeiten und Familien mit Kindern, denn Abwechslung gibt es jede Menge. Wer länger bleiben möchte, kann in einem umgebauten Stall übernachten.
Weiter geht‘s zur Deisteralm, dem urigen Gasthaus der Familie Stiller, die auch das Stiller‘s (früher Marmite) in Barsinghausen betreibt. Sie bieten dort eine gehobene Küche mit den Aromen Italiens und Frankreichs an. In der Deisteralm gibt es dagegen deftige bayerische Spezialiäten und deutsche Hausmannskost, jetzt genau das Richtige für mich, denn frische Luft macht hungrig. Ich bestelle eine Schweinshaxe mit Sauerkraut und Semmelknödeln: Das passt. Gut gesättigt genieße ich den Blick von der Terrasse, blinzele in die Sonne und entspanne mich.
Auf meinem Rückweg halte ich bei der Kornbrennerei H. Warnecke. Seit 1826 werden in Bredenbeck edle Brände hergestellt. „Hast du Freude, hast du Zorn, trinke Bredenbecker Korn“, lautet eine Hofinschrift. „Das ist ein gutes Motto“, finde ich. Ich habe keinen Zorn, aber jede Menge Freude und probiere gleich mal ein Gläschen von dem Rhabarberlikör, das mir Johann Warnecke, der Inhaber der Schnapsfabrik, kredenzt. Seit mehr als 180 Jahren stellt Familie Warnecke in Bredenbeck edle Spirituosen her: im Eichenfass gereifte Kornbrände, Kirsch-, Pflaumen-, Holunderblüten-, Kräuter-, Eier- oder Adventslikör. Beliebt sind auch die verschiedenen Hoffeste, die in diesem Jahr leider ausfallen mussten.
Mit vielen Eindrücken im Gepäck mache ich mich auf den Rückweg, der mir fast ein wenig schwer fällt. Aber die Wildnis ruft, und deshalb beschließe ich, beim nächsten Mal im Schafstall zu übernachten, wenn auch nicht im Heu.
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