Niedersachsen trägt nicht umsonst den Beinamen „das Pferdeland“: Denn hier sind Pferdesport, Zucht und zahlreiche Organisationen rund ums Pferd zu Hause. Doch was bedeuten die Tiere für unsere Landeshauptstadt? Ein Streifzug:
Text: Beate Rossbach Foto: Rainer Dröse
Was sehen Besucher der Stadt als Erstes, wenn sie den Bahnhof verlassen? Ein Denkmal mit einem König hoch zu Ross. Was steht vor der Universität, die früher das Welfenschloss war? Die Skulptur eines Pferdes. Wer heißt genauso wie die Einwohner dieser Stadt? Richtig – die Pferde, die Hannoveraner. Pferde springen auf Bierflaschen, Autoreifen und auf dem Briefpapier der Staatskanzlei. Das Land Niedersachsen hat das Pferd im Wappen.
Niedersachsen gibt es aber erst seit 1946, als die britische Militärregierung aus vier Ländern das neue Land Niedersachsen bildete. Sein Wappen, das Bezug auf die Welfen und die Vergangenheit nehmen sollte, beruht streng genommen auf einem Irrtum: Schließlich war der Löwe das Wappentier der Welfen. Wie kam nun das Pferd ins Wappen und auf die Flagge? Heinrich Prinz von Hannover, Verleger und Experte für die Geschichte der Welfen und des Hauses Hannover, sagt: „Die Frage, wann kam das Pferd ins Wappen der Welfen, kann nicht in wenigen Sätzen beantwortet werden.“ Er verweist auf den langjährigen Landeshistoriker Georg Schnath, der diese Frage wissenschaftlich genau untersuchte.
Vom Löwen zum Pferd
Schnath veröffentlichte seine Ergebnisse bereits Mitte des letzten Jahrhunderts. Für Laien beschreibt er sie in populärwissenschaftlicher Tonart wie folgt:
„Das Ross wurde 1361 durch den Welfenherzog Albrecht II. von Grubenhagen ins Welfensiegel eingeführt. Es erschien später im Wappenschild der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg, die bis dahin den Braunschweiger „Leoparden“ – einen zum Betrachter schauenden Löwen – und den Lüneburger Löwen als alleiniges Geschlechts- und Hoheitszeichen geführt hatten. Die Welfen griffen damit bewusst auf altsächsische Überlieferungen zurück. Anknüpfend an die Namen Hengist und Horsa, die legendären Führer der sächsischen Landnahme in Britannien, erblickte man in dem Pferd die Stammeszeichen der alten Sachsen, später auch des Sachsenherzogs Widukind. Mit dem Pferd im Schild wollten die Welfen als Nachfolger der sächsischen Stammesherzöge ihre führende Stellung im altsächsischen Raum betonen.
Seit dem Mittelalter symbolisiert das Sachsenross als Wappentier Anspruch und Macht der Welfen auf große Teile Norddeutschlands. Nach dem Untergang der Monarchie 1918 wurde das Ross zum einzigen offiziellen Wappen der preußischen Provinz Hannover und des Freistaates Braunschweig.
Heute gehört das weiße springende Pferd auf rotem Grund zum niedersächsischen Landeswappen und symbolisiert unser Bundesland Niedersachsen.“
Mit einem anderen Irrtum soll hier auch gleich aufgeräumt werden: Das sich aufbäumende Pferd vor der Universität ist keineswegs das Sachsenross des hannoverschen Wappens, sondern die Teilkopie eines größeren Berliner Standbilds. König Georg V. hatte sie für seinen Schlossbalkon in Auftrag gegeben. Ursprünglich wollte er die Skulptur auf der Pariser Weltausstellung 1867 ausstellen lassen. Durch die Unruhen des Deutschen Kriegs kam das Pferd dann jedoch weder auf den Balkon noch nach Paris.
Pferde als Privileg
Während Pferde heute ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Sport und in der Freizeitindustrie sind, dienten sie in früheren Zeiten vor allem der Mobilität. Damit alle Räder rollen konnten, war das Arbeitstier Pferd unentbehrlich. Pferde arbeiteten in der Stadt, auf dem Land, im Wald und unter Tage. Sie zogen Lasten, Droschken, Postwagen und Feuerwehrspritzen. Im Jahr 1852 begannen Pferdeomnibusse in Hannover zu verkehren, 20 Jahre später kamen von Pferden gezogene Straßenbahnen hinzu.
Gleichzeitig waren Pferde eine Art Statussymbol. Heinrich Prinz von Hannover sagt: „Pferde zu besitzen und zu nutzen war ein herrschaftliches Privileg. Das Pferd war für die Fortbewegung von größter Wichtigkeit. Noch im 19. Jahrhundert war genau geregelt, wer wie viele Pferde haben durfte und wer wie viele Pferde vor eine Kutsche anspannen durfte.“
Pferde waren jedoch nicht nur Verkehrsmittel und Nutztiere für die Landwirtschaft – sondern auch für den Krieg. Noch im zweiten Weltkrieg kamen die Kavallerie und berittene Artillerie zum Einsatz.
Auch heute sieht man in der Stadt noch Pferde, die arbeiten. Es sind die wiehernden Beamten der Polizei-Reiterstaffel, deren Geschichte bis zur Zeit des Wiener Kongresses zurückreicht. Gerade wurden die historischen Stallungen am Welfenplatz gründlich saniert – die Bewohner sollen es dort gut haben.
Pferdezucht in Celle
Die vielen Einsatzmöglichkeiten der Pferde erklären, dass Herrscher von jeher darauf bedacht waren, genügend Pferdestärken zur Verfügung zu haben und die bäuerliche Zucht im Land zu stärken.
In Preußen gründete der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. im Jahr 1732 das Gestüt Trakehnen. Sein Schwager Georg II., Kurfürst von Hannover und König von Großbritannien, zog nach und gründete im Jahr 1735 das Celler Landgestüt. In der Gründungsurkunde, deren Original im Staatsarchiv in Hannover liegt, steht: „…zum Besten unserer Unterthanen und zur Erhaltung einer guten Pferdezucht in Unseren Teutschen Landen…“.
Und so begann die Geschichte der vierbeinigen Hannoveraner, heute eine der bedeutendsten Pferderassen weltweit. Der erste Gestütsleiter in Celle war Georg Roger Brown, ein sachverständiger Pferdemann englischer Herkunft und Oberjäger der Königlichen Parforce-Jagd. Als König Georg II. im Jahr 1745 die Hengste seines zehn Jahre zuvor gegründeten Landgestüts zu sehen wünschte, reiste Brown mit 41 Hengsten nach Hannover und präsentierte dem Monarchen die edlen Beschäler. Heute fahren die zweibeinigen Hannoveraner gern nach Celle, um auf dem historischen Gelände des Landgestüts die berühmten Hengstparaden zu erleben.
Von Heilkunde und Tierschutz
Wer Pferde hat, der kennt das leidige Thema: Tierärzte gehen im Stall regelmäßig ein und aus. Schon im 18. Jahrhundert waren Fachkräfte gefragt – so wurde 1778 die Königliche Roß- und Vieh-Arzney-Schule gegründet. Sie war zuerst am Clevertor ansässig, seit Ende des 19. Jahrhunderts auf einem Gelände am Bischofsholer Damm. Heute arbeiten die Veterinäre der Tierärztlichen Hochschule Hannover in Neubauten rund um den zweiten Standort der Hochschule, den Westfalenhof, am Bünteweg in Kirchrode. Die TiHo, so das Kürzel dieser wissenschaftlichen Institution von nationaler und internationaler Bedeutung, ist nicht nur die erste Adresse für kranke Pferde, sondern für alles, was kreucht und fleucht. Sie gilt in Deutschland als die begehrteste Adresse für einen Studienplatz im Fach Tiermedizin.
Wer einen Blick in die Vergangenheit der Veterinärwissenschaften werfen möchte, kann dies im Museum und Archiv der Stiftung Tierärztliche Hochschule am Bischofsholer Damm tun.
Das Veterinärmedizinhistorische Museum ist das einzige der Öffentlichkeit zugängliche Fachmuseum dieser Art in Deutschland. In einer permanenten Ausstellung bieten mehr als 650 Exponate Einblick in die Geschichte der Hochschule und die Entwicklung der Tiermedizin und tierärztlichen Tätigkeit. Im Jahr 1995 wurde das Museum um eine militärgeschichtliche Abteilung mit rund 300 Exponaten erweitert.
Doch nicht nur Tierheilkunde, sondern auch Tierschutz war in Hannover schon früh ein Thema: 1906 äußerte sich eine britische Besucherin lobend darüber, dass in Hannover an allen Hauptstraßen Trinkbrunnen aufgestellt waren, an denen die hart arbeitenden Pferde ihren Durst stillen konnten.
Pferde als Freizeit- und Sportpartner
Mit dem Übergang zur Motorisierung erlangte das Pferd eine neue Rolle als Sportsfreund. Nicht nur für Adlige, auch für großbürgerliche Damen war Reiten eine durchaus standesgemäße Freizeitbeschäftigung. Vorschriftsmäßig in ein schickes Reitkostüm gekleidet, ritten sie im Damensattel durch die Eilenriede oder sprangen sehr passioniert über die Jagdhindernisse in Isernhagen, gemeinsam mit den Kavallerie-Offizieren des Militärreit-Instituts Hannover, das ab 1919 zur Kavallerieschule Hannover wurde.
Das Jagdreiten und die Kavallerie standen in enger Verbindung zueinander. Nachdem Hannover 1866 preußisch geworden war, wurde das Königlich Preußische Militär-Reit-Institut von Schwedt an der Oder nach Hannover verlegt.
Das Zentrum der militärischen Reit- und Reitlehrerausbildung im Deutschen Kaiserreich war von Friedrich dem Großen gegründet worden, um seine Kavallerie besser auszubilden. Das Militärreit-Institut Hannover wurde zuerst am Marstall untergebracht. Zehn Jahre später bezog es eine neue Kaserne in Vahrenwald. Dort, in der Eliteschule der Reiterei, wo die talentiertesten Offiziere ausgebildet wurden, werden heute in den noch erhaltenen Gebäuden an der Dragonerstraße beliebte Partys gefeiert.
Zur Reitausbildung gehörten auch Schlepp- und Wildjagden hinter den Hunden der eigenen Meute. Trainiert und gejagt wurde vor den Toren der Stadt, im Gelände von Isernhagen und Langenhagen, wo heute noch Schleppjagden hinter der Niedersachsen-Meute stattfinden und wo der Hannoversche Rennverein jetzt zu Hause ist.
Die Offiziere des Militärreit-Instituts waren vielseitige Könner im Sattel. Sie waren ausgezeichnete Spring- und Jagdreiter. Sie spielten auf ihren Pferden enthusiastisch Polo im 1904 gegründeten Polo Club Hannover. Das Polofeld lag auf dem Gelände des Hannoverschen Rennvereins auf der Bult, wo die Herren Offiziere auch sehr gern Rennen veranstalteten.
Vereint fürs Pferd
Vor 155 Jahren, am 8. Juli 1867, wurde der Ursprung des Rennvereins von führenden Verwaltungskräften, Gutsbesitzern und einem Bankier gegründet, als „Verein zur Förderung der hannoverschen Landes-Pferdezucht“. Der junge Verein wuchs rasch und war gut vernetzt. „In seinem Leitungsgremium waren die sogenannten besseren Kreise in ihrer Breite repräsentiert“, heißt es im Jubiläumsbuch, das der Rennverein anlässlich des 150. Geburtstags herausgibt. Auch die Rennbahnbesucher waren sehr prominent. Kaiser Wilhelm II. war mehrmals auf der Bult zu Gast. Reichspräsident Hindenburg gehörte zu den VIP-Gästen der Weimarer Zeit.
Die Geschichte des Hannoverschen Rennvereins ist wechselhaft – voller Siege und voller Niederlagen. Dass er heute noch existiert und ein attraktiver Publikumsmagnet ist, verdankt er seinem Präsidenten, dem pferdebegeisterten Unternehmer Gregor Baum.
Der erzählt, woher seine Verbindung zum Vollblutsport stammt: „Mein Vater war aktiv im Rennverein und hat mich schon als Kind oft mitgenommen, wenn er Gestüte besuchte. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht, sodass ich mir zum Abitur statt eines Autos ein Pferd gewünscht habe, meine erste Zuchtstute.“ Seit 2004 leitet er den Verein, hat so manche Rettungsaktion und viele kluge Konzepte realisiert, mit persönlichem Engagement und großer Begeisterung für den Vollblutsport. Die teilt er mit seiner Frau Julia, einer erfahrenen Pferdeexpertin und Vollblutzüchterin, die das Gestüt der Familie leitet.
Beide sind fasziniert vom Pferderennsport: „Er ist natürlich und wird noch genauso betrieben wie vor 200 Jahren. Kein Rennen ist vorhersehbar, und daher ist es immer sehr spannend.“
Renntage in Hannover sind für Aktive und Besucher gleichermaßen aufregend. Aber bei Weitem nicht die einzige Attraktion: In diesem Sommer feiert Hannover wieder sein traditionelles Schützenfest – inklusive Schützenausmarsch. Dabei jubeln Zuschauer Reitern und Pferdekutschen zu, besonders den Jagdreitern. Und im Herbst findet nach der Corona-Zwangspause wieder die beliebte Ausstellung Pferd & Jagd auf dem Messegelände statt, ein weiterer Höhepunkt für die pferdebegeisterten Hannoveraner, die ihre Rösser von ganzem Herzen lieben.