„Hallo Wald!“: Denica Utech vermittelt den Menschen einen achtsameren Blick auf den Wald und die Tiere, die in ihm leben.
Insgesamt 640 Hektar ist die Eilenriede groß. Sie ist der größte Stadtwald Europas. Waldführerin Denica Utech (47) kennt sich in der Eilenriede aus. Sie weiß nicht nur, welche Tiere im Wald leben oder welche Nahrungsmittel man kostenlos findet, sondern auch, welche Bäume im Sommer Schatten spenden und den Vögeln eine Behausung schenken. Das war nicht immer so.
Als Denica Utech während der Coronazeit in Kurzarbeit war, ließ sie sich zur Waldführerin ausbilden. Sie wollte neben ihrem Job bei der TUI etwas für die Umwelt tun. Seit April 2022 gibt Utech jetzt selbst Führungen für „Hallo Wald!“, vornehmlich durch die Eilenriede. Die öffentlichen Führungen sind im Internet buchbar. Exklusive Anfragen für Team-Events oder private Gruppen bis 20 Personen laufen über eine direkte Anfrage.
Wir treffen uns am Lister Turm. Von dort geht es querfeldein in den Wald. Utech ist es wichtig, dass ihre Teilnehmer einen achtsameren Blick auf den Wald und seinen Wert für unser Leben bekommen. Schließt man die Augen und atmet einmal tief ein, wird einem sofort bewusst, was gemeint ist. Man kann den Regen riechen, der sich noch Minuten zuvor über den Blätterwald ergossen hat und sich in kleinen Perlen auf den Blättern hält. Unterschiedliche Vogelstimmen scheinen sich in einem Reigen Harmonien aufzubauen. Musik liegt in der Luft der Eilenriede. Es gibt sogar ganz besondere Musikinstrumente.
„Wir nennen es Spechtflöte. Zwei bis vier Wochen braucht der Specht ungefähr für eine Höhle. Zunächst brütet er darin. Im Anschluss nutzen aber auch gerne andere Kollegen aus der Tierwelt wie Wildbienen, Käuze und Eichhörnchen diese. Wenn es mehrere Spechtlöcher untereinander gibt, heißt es Spechtflöte. Obwohl ich Specht-Mehr familienhaus eigentlich schöner finde“, sagt Utech lachend. Immer wieder liegt Totholz am Wegesrand. Es sei wichtig, dass dieses liegen bliebe, erklärt die Waldführerin. „Tausende von Bakterien, Insekten, Käfer und Pilze besiedeln das tote Holz und machen es so zu einem Habitat für ganz viele kleine Ökosysteme, die wir fast immer übersehen“, erklärt sie. Außerdem zersetze sich das Totholz mit der Zeit, riesele auf den Waldboden, bilde eine Humusschicht und in dieser bilde sich schneller wieder neues Leben, erklärt die Waldführerin. Deshalb sei es auch dramatisch, dass in vielen Wäldern das tote Holz abtransportiert werde. Selbst dieses würde für eine Beschattung sorgen. „Ohne das tote Holz erhitzt sich der Boden im Sommer enorm und erreicht eine Oberflächentemperatur bis zu 60 Grad Celsius“, führt sie aus. „Dadurch verbrennen die kleinen neuen Setzlinge auf solchen Flächen dann leider oft.“
Es geht weiter. Vorbei an Rotbuchen, die in den 90er-Jahren einen Möbeltrend wegen ihres rötlichen Holzes auslösten. „Viele denken, dass Rotbuchen rote Blätter haben, das ist aber falsch. Sie haben grüne. Blutbuchen haben rote Blätter. Sie sind eine Mutation. Und sie sind quasi das ganze Jahr auf Diät, weil sie aufgrund der roten Blätter weniger Blattgrün besitzen und so auch schlechter Fotosynthese betreiben können als die anderen Bäume“, erläutert Utech.
Am Wegesrand erstreckt sich auf einmal ein Meer von grünblättrigen Pflanzen. „Das alles ist Wunderlauch. Man kann ihn sehr gut essen.“ Utech nimmt ein Blatt, knickt es und reibt es leicht gegeneinander. „Riechen Sie gern einmal. Und? Riecht nach Knoblauch, oder?“ Der Wunderlauch wird auch „Berliner Knoblauch“ genannt und wie auch Bärlauch, sein breitblättriger Verwandter, lässt sich Wunderlauch vor allem in der „kalten Küche“ perfekt verwenden – zum Beispiel püriert mit Öl, Nüssen und Parmesan als Pesto. Wunderlauch ist allerdings eine invasive Pflanze und kommt eigentlich aus der Kaukasusregion. Sie wächst und gedeiht in Mitteleuropa prächtig und ist in der Eilenriede in Massen zu finden. „Den Wunderlauch gern abschneiden, mitnehmen und essen, er ist fast zu einer Plage geworden“, sagt die Waldführerin.
Passend zum Thema Kulinarik entdecken wir mehrere Weinbergschnecken. Durch den Regen haben sie sich herausgetraut. „Lust auf einen Waldheidelbeer-Schnaps?“, fragt Utech. „Ist auch ohne Alkohol.“ Während wir ihn trinken, fällt mir ein Baum auf, aus dessen „Augen“ ganz viele kleine Äste austreiben. „Das sind Angstäste“, erklärt die Waldführerin. So etwas mache ein Baum, wenn es ihm nicht gut ginge. „Wenn man nach oben in die Baumkrone schaut, dann wird man sehen, dass dieser Baum nicht gesund ist“, sagt sie: „Weil er merkt, dass etwas nicht stimmt, treibt er verzweifelt kleine Äste aus, um gegen sein Sterben anzugehen, leider oft ohne Erfolg.“
Utech holt eine Spiegelkachel aus ihrem Rucksack. Solche Experimente macht die Waldführerin gern mit ihren Teilnehmern. „Einfach mal die Perspektive wechseln.“ Wie selten schaut man auch hoch in die wunderschönen Baumkronen.
Viele Bäume sind von Efeu bewachsen. Dieser wächst ausschließlich gerade die Stämme hinauf. „Das ist sehr wichtig. Nur wenn er gerade wächst, ist er auch eine Art Schutz für den Baum, sonst würde er ihn würgen und das wäre nicht gut für ihn“, erklärt die Waldführerin. Der Efeu sei generell sehr wichtig. „Weil er im Herbst blüht und ab Januar Früchte trägt, ist er das erste Vogelfutter im Jahr.“
Utech führt das ganze Jahr über Gruppen durch den Wald. Dabei sollte man auf gutes Schuhwerk achten. Auf einer ihrer Touren lässt sich die Natur neu entdecken – und das mitten in der Eilenriede, mitten in der Stadt.