Zum Inhalt springen

Interview mit Dr. Volker Müller

23. April 2021

Seit fünf Monaten befinden sich Teilbereiche der niedersächsischen Wirtschaft im Dorn­röschenschlaf. nobilis sprach mit Hauptgeschäftsführer Dr. Volker Müller von den Unternehmerverbänden Niedersachsen (UVN) über die Auswirkungen und welche Lösungsansätze er sieht.
Interview: Marleen Gaida

Herr Dr. Müller, Sie fordern, es solle sieben Tage die Woche 24 Stunden geimpft werden. Warum tut sich das Land aus Ihrer Sicht so schwer mit zügigem Impfen, und wie könnten niedersächsische Unternehmen hier helfen?
Dr. Volker Müller: Wir haben dem Land schon länger unsere Unterstützung angeboten. Aber noch fehlt der Impfstoff in ausreichender Menge. Die niedersächsische Wirtschaft kann auf die Erfahrung bei der Impfung von Beschäftigten über Betriebsärztinnen und Betriebsärzte aufbauen, zum Beispiel gegen Grippe. Da wird kostbare Zeit verschwendet, wenn das Potenzial nicht genutzt wird. Nur wenn wir schneller werden, haben wir eine Chance auf eine Rückkehr zu einem halbwegs normalen Leben.
Sie kritisieren die derzeitige Teststrategie des Landes in Betrieben, da diese Produktionsabläufe teilweise lahmlegen würde. Was schlagen Sie alternativ vor?
Dr. Volker Müller: Die Unternehmen haben in großem Maßstab in Hygienemaßnahmen und Unternehmensinfrastruktur investiert, um ihre Belegschaften zu schützen, mobiles Arbeiten zu ermöglichen und das wirtschaftliche Leben und damit den sozialen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten. Die Teststrategien sollten bis zum Ende durchdacht sein. Bisher gibt es keine großen Infektionen in den Betrieben. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Wir müssen jetzt vorbereiten, dass wir sieben Tage die Woche 24 Stunden impfen können. Jeder Tag, an dem wir nicht mit Hochdruck impfen, ist ein verlorener Tag!
Sie vertreten mit Ihrem Verband die Interessen von über 150.000 Unternehmen aus den Bereichen Industrie, Handel, Dienstleistungen, Handwerk, Gesundheitswirtschaft und Landwirtschaft. Der Handel befindet sich derzeit in der wohl schwierigsten Situation. Wie kann und muss diesem Wirtschaftszweig über die Hilfen hinaus jetzt geholfen werden? Sind die Hilfen wie Kredite etc. überhaupt sinnvoll, oder verlagern sie lediglich das Problem?
Dr. Volker Müller: Mit Ausnahme der Geschäfte des täglichen Bedarfs ist der gesamte Handel stark von der Pandemie betroffen. Das betrifft Innenstädte, vor allem die inhabergeführten Einzel­unternehmen, aber auch bestimmte Branchen mit Saisonware, die nur online verkauft werden konnte. Die Hilfen und Kredite sollen Liquidität und das Überleben der Geschäfte sichern. Der Handel will und muss so schnell wie möglich wieder Umsatz machen. Da werden nach der Pandemie Konzepte gefragt sein, die uns lebenswerte Innenstädte sichern!

Auch das Dienstleistungsgewerbe wie Massagen und Kosmetik schwächelt derzeit und wird durch die Einführung von Schnelltest-Nachweisen noch mehr belastet. Sind das überhaupt wirtschaftsfördernde Praktiken, oder verhindern diese nicht eher ein Vorankommen dieses Zweiges?
Dr. Volker Müller: Es sind Versuche, wieder mehr zu ermöglichen, ohne weiter steigende Infektionszahlen zu provozieren. So aufwendig das für die Dienstleistungsunternehmen ist: Lieber Infektionen bei der Kundschaft und sich selbst verhindern, dann steigt das Vertrauen, und das Geschäft geht weiter. Hier muss die Politik stützen, wo die Umsätze nicht ausreichen. Doch pauschale Verpflichtungen sind Unsinn – da, wo es sinnvoll ist, machen es viele Unternehmen schon. Es ergibt nach der Impfung der ersten Risiko­gruppen keinen Sinn mehr, nur anhand von Inzidenzwerten zu entscheiden, ob das öffentliche Leben weiterhin so eingeschränkt wird.
Ministerpräsident Stephan Weil hat Ende Februar gesagt, das Land befinde sich in der schwersten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Gilt das auch vollumfänglich für die niedersächsische Wirtschaft? Welche Bereiche leiden derzeit eher nicht?
Dr. Volker Müller: Auch für die niedersächsische Wirtschaft gilt das in der Gesamtheit. Aber Sie haben recht, es gibt Branchen, denen ihre Geschäftsgrundlage komplett oder zum größten Teil entzogen wurde wie Veranstaltungen, Reisen und Gastronomie etc. Und es gibt Branchen, die sogar Zuwächse verzeichnen können wie Lebensmitteleinzelhandel oder die Baubranche. Wichtig für Niedersachsen war und ist, dass die Industrieproduktion weiter­laufen kann. Betriebsschließungen oder Unterbrechungen der Lieferketten wären extrem schädlich, für Arbeitsplätze und Wohlstand.
Herr Dr. Müller, planen Sie derzeit Ihren Sommerurlaub? Oder bevorzugen Sie Balkonien statt Toskana?
Dr. Volker Müller: Ich bin mit einer Tirolerin verheiratet. Wir würden unseren Familienurlaub daher gerne in Österreich verbringen und gleich auch meine Schwiegereltern besuchen, die in Italien leben. Unseren eigenen Garten mag ich zwar sehr, aber es geht mir wie vielen anderen Menschen. Ich sehne mich nach einem Tapetenwechsel. Da könnten auch die Regelungen am Flughafen besser werden. Es gibt tatsächlich Menschen, die aus Regionen mit niedrigerer Inzidenz als hier zurückkehren und in Quarantäne geschickt werden. Aber wenn wir etwas in den vergangenen Monaten lernen musste, dann, dass sich die Bedingungen schnell verändern können. Deshalb bin ich mit meiner persönlichen Urlaubsplanung derzeit sehr, sehr vorsichtig.

ÄHNLICHE ARTIKEL