Die Mischung macht’s: Hannovers Schützenfest steht für Tradition, Geselligkeit und Niveau. In diesem Jahr startet die zehntägige, muntere Verbindung aus klassischem Brauchtum und fröhlichem Volksfest am Freitag, 28. Juni. Bis zum 7. Juli geht es rund. Damit das größte Schützenfest der Welt seinem legendären Ruf gerecht wird, hat Festleiter Bernd Rödel gut zu tun.
„Nach dem Fest ist vor dem Fest“, lautet sein Motto. Dabei erinnert sich der 63-jährige Misburger „wie heute“, an seinen ersten Besuch. „Ich war Schulkind und durfte mit meinem Vater Achterbahn fahren. Das war eine unglaubliche Mutprobe“, blickt er zurück. „Vielleicht war es aber nur die „Wilde Maus“, sagt er und lächelt. Die Tradition des Achterbahnfahrens pflegt Rödel also seit Grundschulzeiten. Bis heute testet er die Fahrgeschäfte persönlich. „Man will ja wissen, worüber man verhandelt und spricht“, sagt er.
Ein Fest für alle
Die Maxime des Festleiters lautet: „Hannovers Schützenfest ist ein Volksfest, also für alle. Steigende Energiepreisen wirken sich trotzdem auf das Angebot des hannoverschen Schützenfestes aus. „Wenn ein wirklich großes Fahrgeschäft mit mehreren Tiefladern aus Süddeutschland anreisen muss, dann sind die Kraftstoffkosten inzwischen so hoch – das spielen sie nicht wieder rein und sagen ab – trotz eines Vorvertrages“, berichtet er. Aber an der Leine regiert Einfallsreichtum, man entwickelt eine attraktive Alternative. So betrachtet hat die Organisation dieses traditionsreichen Schützenfestes auch etwas von Achterbahnfahren.
Die Gäste sind etwas Besonderes
In jedem Fall sind die Festbesuchenden erlebnishungrig und verfügen über beinahe unerschöpfliche Energien, lassen sich als Festessen Haxe mit krosser Kruste, Tortilla Chips oder vegane Leckereien schmecken und kippen formvollendet Lüttje Lage. So entwickelte sich ganz sachte eine Feier-Verschiebung vom Süden Deutschlands Richtung Hannover. Große Firmen schätzen die unaufgeregte Bandbreite und laden sehr gerne aufs hannoversche Schützenfest ein. Wer ein dafür geeignetes großes Zelt mit 3500 Plätzen füllen und zeitgleich 1000 Gäste mit Speisen glücklich machen kann, der braucht schon eine besondere Volksfestliebe, neben Nervenstärke und logistischem Talent. Frederick Schäfer vom Alt Hanovera ist so ein Typ. „Mancher Mitarbeitende nimmt sich Urlaub, um bei uns auf dem Schützenfest zu arbeiten“, berichtet er. Denn die Gäste sind, wie das Schützenfest selbst, etwas Besonderes.
„Mit beinahe 500 Jahren Schützenfesterfahrung gönnt man sich die inspirierenden, belebenden, schönen Seiten des Volksfestes, hält aber das Gleichgewicht“, schildert Bernd Rödel die etwas verkannten, typisch hannöverschen Eigenschaften.
Ein feines Gespür und Feinmotorik sind an der Leine in jedem Fall gefragt, um das Kultgetränk Lüttje Lage elegant vom Glas in den Gast zu befördern. In Kleidungsfragen ist man dagegen lockerer geworden.
Internationaler Ruf
Rödels Eltern warfen sich zum Festessen noch in die große Abendrobe. Nach dem Dessert kümmerte sie sich sofort um die Karten für das folgende Jahr“, erinnert sich der Festleiter an die Fixpunkte im Jahreskalender. Eines Tages möchte er die ganzen Super Acht-Filme, die Fotos und Broschüren in Ruhe archivieren. Aber jetzt steht das kommende Schützenfest vor der Tür und da sind schnelle Entscheidungen und klare Ansagen gefragt.
Apropos archivieren. Von welchem Schützenfest gibt es Postkarten, die bis nach Amerika versandt wurden? Der außergewöhnliche Ruf des Hannoverschen Schützenfestes ist beständig und international. Bernd Rödel ist selber gerne unterwegs, um sich gute Ideen abzugucken. Sein Fazit fällt dann wieder norddeutsch zurückhaltend aus: „Wir bieten eine angenehme, vielleicht auch unaufgeregte Mischung aus Tradition und Moderne“. Seine Beispiele: Bruchmeisterinnen? Haben wir in Hannover schon seit Jahren! Einen Rosa Montag wie in Düsseldorf? Auf Hannovers Festwiese kein Thema. Da bietet das Gay-Zelt von der ersten bis zur letzten Schützenfestminute Unterhaltung und Feierspaß auf hohem Niveau. „Das Kulturprogramm ist wirklich großartig“, findet Bernd Rödel. Das Volksfest schlägt Brücken zwischen Menschen, die sich im Alltag eher nicht begegnen. Etwas Geheimsprache gibt es trotzdem. Die Schützenfest-Originale kehren nämlich garantiert im Bähre-Zelt auf einen Tutschi ein – anderorts Weinbrand-Cola genannt.
Durchhaltewillen gefragt
Durchhaltewillen plus Einsatzfreude sind das erfolgreiche Volksfest-Rezept. Die einen bauen auf, von Entenangeln bis Geisterbahn – die anderen marschieren beim traditionellen Umzug mit, musizieren im Fanfarenzug und genießen die ausgelassene Atmosphäre, das Wiedersehen, die Geselligkeit und die Begegnung mit etwas Neuem, Ungewöhnlichen, welches sanft und erfolgreich integriert wird.
Zu Beginn von Hannovers Schützenfestgeschichte soll noch mittels Armbrust auf einen Holzpapagei geschossen worden sein. Im zurückliegenden Jahr marschierte zum ersten Mal die Blasrohrdisziplin mit. Wer nicht mit einer Feuerwaffe trainieren möchte, kann nämlich auch mit Puste, Augenmaß und koordinativen Fähigkeiten ins Schwarze treffen. Eine Begabung, welches man ganz ungefährlich in seinem Schützenverein verfeinern kann, als sportliche Vorbereitung auf das nächste hannoversche Schützenfest.
Text: Patricia Chadde
Fotos: Tobias Wölki