Die Hannöversche Aids-Hilfe wird 40! Die Geschichte eines besonderen Vereins, der es geschafft hat, eine von Stigmas belegte Krankheit in die Mitte
der Stadtgesellschaft zu holen – und bis heute wichtige Aufklärungsarbeit leistet.
Die Hannöversche Aids-Hilfe wird 40 Jahre. Um ihre Arbeit zu verstehen und wie sie es geschafft hat, die Hilfe für eine stigmatisierte Gruppe zum Teil der Stadtgesellschaft zu machen, die Krankheit aus dem Schatten ins Licht zu holen, muss man auch ein wenig eintauchen in die Geschichte von Bernd Weste. Der Netzwerker Weste, der die großen Feste in der Staatsoper, im Theater an Aegi und im NDR Funkhaus organisierte, der Stars nach Hannover holte und damit Geld sammelte für die Arbeit gegen eine furchtbare Krankheit und die Ausgrenzung, unter der die Erkrankten oft bis heute leiden.
„Mein Verhalten hat mich später beschämt“
Weste wuchs in einem Waisenhaus in Berlin auf und kam mit elf Jahren zu Adoptiveltern, die einen Bauernhof bei Wolfenbüttel betrieben. Doch die Landwirtschaft war seine Sache nicht, er hatte andere, eigene Pläne, das wussten die Eltern auch schon, bevor er ihnen mit 18 Jahren erzählte, dass er homosexuell sei. „Meine Adoptiveltern haben mich sehr unterstützt“, sagt Weste. Er ging in die nahe Großstadt, baute sich in Hannover schnell ein Netzwerk auf – das er später für die vielen Veranstaltungen nutzte. Zur Aids-Hilfe kam er zunächst als Hilfesuchender. Ein Freund hatte Weste zu sich gerufen, er sei todkrank. „Ich habe ihn in den Arm genommen, getröstet – da sagte er mir: Es ist HIV.“ Weste eilt ins Badezimmer des Freundes, wäscht sich ausgiebig die Hände. „Ich hatte Angst, war hysterisch“, sagt Weste. „Mein Verhalten hat mich später seht beschämt.“ Bei der Aids-Hilfe beruhigt man ihn, klärt ihn auf – und einen Aids-Test macht er dort auch. Damals ist der Verein gerade ein paar Monate alt, war 1984 von Werner Noelle, Karl-Heinz Stiebritz und weiteren Freunden in der Johannssenstraße gegründet wurden. Die etwas versteckte Lage zwischen Schiffgraben und Lavesstraße passte damals gut. Auf der „Schwulenseuche“, wie HIV damals oft genannt wurde, lag ein Stigma. „Die Anonymität war wichtig“, sagt Weste. Niemand wollte geoutet werden. Vieles hat sich seitdem geändert: Heute hat die Aids-Hilfe ihren Sitz mitten in der Stadt in der Langen Laube.
Der Netzwerker
Bernd Weste liebt das Netzwerken, das Zusammenkommen in der Stadtgesellschaft. Zu seinem Abschied als Vorsitzender hatte Weste vor fünf Jahren noch einmal alles gegeben und eine große Benefizgala mit mehreren Hundert Gästen im Opernhaus veranstaltet. Immer wieder waren Promis zu Gast, darunter Westes langjährige, gute Freundin, die Schauspielerin Judy Winter oder auch Suzanne von Borsody, Dominique Horwitz, Lilo Wanders, Mousse T. und Kim Fisher. Doch auch als Ehrenvorsitzender bringt er sich weiter ein. Die Galas mit den Spendeneinnahmen unterstützen seit jeher den Verein.
Sichtbar werden
Vor fünf Jahren hat Karsten Pilz den Vorsitz der Aids-Hilfe übernommen – gemeinsam mit Norbert Schlote und Luca Wolff. Karsten Pilz ist Finanzbeamter, Jurist und Referatsleiter in der Landtagsverwaltung und war lange auch für die Aids-Hilfe Niedersachsen ehrenamtlich aktiv. Aids, die Krankheit, die durch das HIV-Virus ausgelöst wird, galt in den 1980er Jahren noch als sicheres Todesurteil, heute gibt es viele Behandlungsmöglichkeiten. Die Viruslast könne sogar soweit reduziert werden, dass sie nicht mehr nachweisbar und in diesem Fall auch nicht übertragbar ist, erklärt Pilz: „Das sind irrsinnige Fortschritte.“ Aber Stigmatisierung gibt es immer noch. Und dagegen will Markus Pilz mit seinem Vorstandsteam vorgehen. „Wir wollen das Thema weiter sichtbar machen“, sagt er.
„Wir gehen direkt zu den Zielgruppen“, sagt Pilz. Die Tests und Informationen der Hannöverschen Aids-Hilfe schließen heute auch andere sexuell übertragbaren Infektionen mit ein, erklärt der heutige Vorsitzende Pilz. „Wer seine Medikamente nimmt, ist chronisch krank, kann durchaus viele Beschwerden haben, hat aber eine normale Lebenserwartung“, sagt Pilz.
Gegen Diskriminierung
Die Stigmatisierung ist nicht verschwunden. Deswegen hat Pilz mit seinem Team eine Kampagne gegen Diskriminierung auf den Weg gebracht, der Checkpoint untenrum am Weißekreuzplatz ist eine wichtige Anlaufstelle für vulnerable Gruppen wie homosexuelle und queere Menschen geworden. Hier gibt es die Möglichkeit zum Austausch, offene Begegnungsabende, Workshops mit Ärzten und Pflegern. Der besondere Fokus der Arbeit liegt auf migrantischen Gruppen aus dem arabischen Raum, Geflüchteten aus der Ukraine, aber auch auf bisexuellen Männern, die sich in einschlägigen Parks aufhalten und Angst haben ihre Ehefrauen anzustecken, berichtet Pilz. Ziel ist es, das Wissen um die Infektion und um mögliche Therapien zu verbreiten. „Aids ist eine schwere Krankheit – die man heute gut behandeln kann. So sollte man es auch mit den Betroffenen halten“, sagt Pilz.
Text: Dr. Heike Schmidt