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Theatergeschichte zum Anfassen

05. Januar 2021

Mit Objekten unterschiedlichster Art unternimmt das Theatermuseum einen faszinierenden Streifzug durch die hannoversche Bühnenhistorie.
Text: Jörg Worat  Fotos: Michael Wallmüller

Es sind Notizbücher, neun an der Zahl und auf den ersten Blick recht unscheinbar. Doch bergen sie einen ganz besonderen Schatz, die Dokumentation einer großen Liebe. Nämlich der Liebe zum Theater: Säuberlichst hat hier ein Ehepaar seine Besuche bei hannoverschen Bühnen eingetragen. Der erste war am 31. Januar 1949, der letzte fand am 4. Oktober 2004 statt, und insgesamt kamen 2230 Vorstellungen zusammen. „Das sind wohl die persönlichsten Stücke in unserer Ausstellung“, sagt Dr. Carsten Niemann, Leiter des Theatermuseums Hannover, und die Schau, von der er spricht, heißt „Spurensuche. Vom Befragen der Dinge“.

Sie bietet mit über 100 Exponaten einen faszinierenden Einblick in die hannoversche Theatergeschichte, und der vieldeutige Titel erweist sich als treffend: Der Streifzug durch mehrere Jahrhunderte ist eine höchst sinnliche Angelegenheit, und auch eher unspektakuläre Objekte können einen hochinteressanten Hintergrund haben. „Die aktuelle Krise ist eine Zeit des Innehaltens“, beschreibt Niemann das Zustandekommen seiner Ausstellung, „und bot die Möglichkeit, einmal genau durchzuschauen, was wir alles in unseren Archiven haben.“

Ein Telegramm aus dem Jahr 1959 etwa stammt vom Peter Zadek und ist an Hans Peter Doll gerichtet, damals Chefdramaturg am hannoverschen Landestheater: Darin bittet der Mann, der im folgenden Jahrzehnt zum vielbeachteten Starregisseur aufsteigen sollte, um „junge, lebendige Schauspieler für dieses Stück – lieber jung als zu alt“. Besagtes Stück war „Die Gerechten“ von Albert Camus, und weitere Recherchen haben ergeben, dass zu den Darstellern schließlich Heinz Bennent und Eberhard Fechner gehörten, die später als Schauspieler beziehungsweise Regisseur groß Karriere machten.

Vor und hinter den Kulissen

Wenn wir schon bei Episteln und großen Namen sind: Ein Geburtstagsgruß an die bedeutende Ausdruckstänzerin und Choreographin Yvonne Georgi aus dem Jahr 1963 stammt von keinem Geringerem als Carl Zuckmayer, Autor von Stücken wie „Der Hauptmann von Köpenick“ oder „Des Teufels General“. Elegant umschifft der Schriftsteller alle möglichen Altersfragen, denn: „Deine Person und Deine Kunst werden immer ‚neu‘ und ‚jung‘ bleiben!“ Am Ende des Rundgangs durch die Ausstellung gehören Kostüme der Georgi zu den prachtvollsten Exponaten.

Die sich nicht immer vergleichbar schnell erschließen, zumal sie bewusst nicht chronologisch angeordnet wurden und auch keine direkte Beschriftung tragen – nähere Informationen kann man einem ausliegenden Textheft entnehmen, das fast schon ein kleines Buch ist. Und durch diese Informationen bekommt mancherlei das angemessene Gewicht: Der erst einmal nicht sonderlich aufregende Lorbeerkranz in Vitrine III gehörte beispielsweise einst Ludwig Barnay, dem Direktor des Königlichen Hoftheaters in Hannover, und er bekam ihn 1911 von Lokalgrößen wie Fritz Behrens und Heinrich Tramm überreicht – anlässlich eines Gastspiels von Enrico Caruso.

„Wir haben auch einen Blick hinter die Kulissen geworfen“, sagt Carsten Niemann, der somit deutlich macht, dass ein Theater letztlich eben auch ein Betrieb ist. So enthält ein Besoldungsbuch des „Königlichen Theater Hannover“ Einträge von 1909 bis 1943 und umfasst den Intendanten ebenso wie die Garderobiere. Zu sehen ist ferner die Personalakte von Joseph Joachim, dem berühmten Geigenvirtuosen, der zwischen 1853 und 1866 als Konzertmeister und Konzertdirektor in Hannover wirkte und nach dem heute der hochdotierte „Internationale Violinwettbewerb“ in der Landeshauptstadt benannt ist.

Zuweilen driftet die Ausstellung sanft in die Gefilde der Kuriositäten ab. Ein „Dampfkessel-Revisionsbuch für die Intendantur der Königlichen Schauspieler in Hannover“ verweist unter anderem auf die „nach Maßgabe der Nr. 6 der Anweisung zur Ausführung der Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1869 oder der früheren entsprechenden Bestimmungen ertheilte Abnahme-Bescheinigung“. Und eine Dienst-Anweisung von 1902 regelt das Verhalten der Musikanten: „§ 3. Die Orchestermitglieder haben einen in jeder Hinsicht moralisch guten Lebenswandel zu führen, sich stets gefällig und verträglich gegen die Collegen zu bezeigen und alles zu thun, was einem Mitglied des Königlichen Orchesters wohl ansteht und gebührt …“

Schätze aus dem Sperrmüll

Dankenswerterweise hat Niemann heikle Zeitabschnitte nicht ausgeklammert. So gibt es eine Preisübersicht der verschiedenen Abonnements für die Spielzeit 1938/39, als es hieß: „Wer kann Mitglied der Jugendbühne werden? Jeder Jugendliche – arischer Abstammung – bis zum 21. Lebensjahr und Studenten.“ Und eine Büste stellt den Schauspieler Max Gaede dar, einen hannoverschen Publikumsliebling, der am 10. April 1938 im „Hannoverschen Anzeiger“ ein Gedicht mit der Schlusszeile „Dem Führer nur ein Ja! Ja! Ja!“ veröffentlichte. Gaede blieb übrigens auch nach dem Krieg äußerst populär.

Das im Ausstellungstitel angegebene Befragen der Dinge kann zu neuen Antworten führen. Ein Freund des Hauses hat etwa Exponate aus einer ungewöhnlichen Quelle mit folgender Notiz beigesteuert: „Ein Konvolut Fotos und weitere persönliche Dinge, die vermutlich aus dem Nachlass der Tänzerin Karin Saul stammen. Ich fand die Sachen am 27. April 2006 vor dem Hause Lemförder Straße 10 im Sperrmüll. Vielleicht sind verwertbare Dinge für das Theatermuseum dabei.“ Inzwischen hat eine Ausstellungsbesucherin mit detaillierteren Informationen aufgewartet und wusste unter anderem zu berichten, dass Karin Saul nach ihrer Tanzkarriere unter dem Namen Antunovic als Maskenbildnerin im hannoverschen Opernhaus tätig war.

Bei einem Ausstellungsbesuch sollte man Zeit mitbringen. Denn zusätzlich ist eine Hörbox mit historischen Gesangseinspielungen aufgebaut, ausführliche Schrifttafeln bieten einen „Spaziergang durch Hannovers Theatergeschichte“, und es gibt mehrere Filme, darunter „Das Gesicht einer Stadt“ von 1932 mit bemerkenswerten Einblicken in Vorkriegszeiten. „Zu manchen Exponaten“, sagt Carsten Niemann, „könnte man eine eigene Ausstellung machen.“ Das lässt für die Zukunft ja noch einiges hoffen.

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