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Spezialagentin für den Tanz

26. Januar 2024

Aktuell findet das neue internationale Festival Real Dance statt – der mit Spannung erwartete Nachfolger des Festivals Tanztheater International. Die künstlerische Leiterin Melanie Zimmermann kommt über Berlin, Paris, Frankfurt und Hamburg nach Hannover.

Melanie Zimmermann pendelt seit Monaten von Hamburg nach Hannover, doch sie sagt: „Im Kopf bin ich eigentlich ständig hier.“ Seit 2010 lebt sie in Hamburg, wo sie im international renommierten Kulturzentrum Kampnagel als Tanzdramaturgin und Kuratorin gearbeitet hat. Zuletzt war sie Dramaturgin für „Special Projects“. Und zu der Anmerkung, das klinge ja verwegen wie „Special Agent“, meint sie lachend: „Ja, das ist auch so gedacht!“ Beim neuen hannoverschen Tanzfestival „Real Dance“ übernimmt die 42-Jährige nun erstmals eine künstlerische Gesamtleitung. Sie bringt einschlägige Erfahrungen mit: So war sie in Hamburg zum Beispiel mitverantwortlich für die Tanzplattform 2014 und die Biennale Tanzausbildung 2020, seit 2014 kuratierte sie verschiedene Tanzfestivals im Kampnagel-Programm – Spezialgebiete: Hip-Hop und Inklusion.

Bei Forsythe in Frankfurt

Geboren und aufgewachsen in West-Berlin, wollte Melanie Zimmermann ursprünglich zum Fernsehen. Sie studierte Kulturwissenschaften in Frankfurt an der Oder, machte ein Praktikum bei Arte in Straßburg und ging für ein Auslandsjahr nach Paris. Wenn sie von dieser Zeit erzählt, lässt sie in mitreißender Gestik und Mimik ihre damalige Begeisterung wieder aufleben: „Paris ist die schönste Stadt der Welt! Dort habe ich angefangen, mich auf den Tanz zu fokussieren.“ Sie war 22 Jahre jung, ging jeden Abend ins Theater und entdeckte die Tanzwissenschaften für sich. Mit dem Fokus auf Tanz studierte sie dann weiter in Brüssel und in Frankfurt am Main, wo sie als Presse-Assistentin der Forsythe Company arbeitete. „In Frankfurt habe ich gerne gelebt“, erinnert sie sich. „Es ist eine sehr kosmopolitische Stadt und William Forsythe war damals der berühmteste Choreograf der Welt!“ Als freie Tanz- und Theaterdramaturgin arbeitete sie später auch für Wanda Golonka, Peeping Tom und Laurent Chétouane.

Statt der großen Namen betont sie selbst jedoch vor allem ihre vielfältige Erfahrung als Netzwerkerin und Stifterin von neuen Kollaborationen. Schon bei Forsythe in Frankfurt habe sie mit Vorliebe Workshops organisiert und Brücken geschlagen. Darin sieht sie auch einen Schwerpunkt ihrer neuen Arbeit in Hannover. Mit dem Real Dance Festival tritt sie die Nachfolge des Festivals Tanztheater International an, das 38 Jahre lang das Kulturleben in Hannover prägte. „Ich finde es fantastisch, was Christiane Winter hier etabliert hat“, sagt Melanie Zimmermann über dessen künstlerische Leiterin. Und sie kündigt an: „Ich will vom Tanztheater zu einem noch umfassenderen Begriff von Tanz kommen.“ Sie möchte die regionale Tanzszene stärker einbinden und vor Ort mit internationalen Tanzschaffenden zusammenbringen. Und sie will eine möglichst große Bandbreite an Tanzstilen zeigen, aus Hoch- und Subkulturen der ganzen Welt.

Große Show und zartes Duett

Mit einer großen Show soll das am Eröffnungsabend im Schauspielhaus zu erleben sein: Der französische Tänzer und Choreograf Saïdo Lehlouh, ein Star auf internationalen Festivals, hat sein erfolgreiches Stück „Apaches“ exklusiv für Hannover neu aufgelegt. Dafür wurden 15 deutsche Tänzer*innen aus über 180 Bewerbungen ausgewählt, die verschiedene Stile der Black Dance Culture choreografisch verknüpfen.

Ein anderes Highlight ist der „Cosmic Nights Kiki Ball“, mit dem Parisa Madani und Maurice Werner die hannoversche Voguing-Szene auf die Theaterbühne im Ballhof Eins holen. Es ist eine glamouröse Hommage an die Ballroom-Kultur, mit der im New York der 1960er Jahre die Schwarzen und lateinamerikanischen Transfrauen ihre Emanzipation feierten.

Daneben gibt es auch intime Performances, etwa das Duett „Lounge“ von Marga Alfeirão über lesbische Sinnlichkeit. Der indische Tänzer und Choreograf Mandeep Raikhy erweckt in „Hallucinations of an Artifact“ eine 4.500 Jahre alte Bronzeskulptur zum Leben. Und im neuen Förderprogramm „For Real“ haben der zeitgenössische Choreograf Tiago Manquinho aus Braunschweig und die Hip-Hop-Choreografin Manuela Bolegue aus Hannover vier Wochen in einem Proberaum verbracht. Sie kannten sich vorher nicht und präsentieren nun einen experimentellen Tanzabend im Kunstverein.

Ausweitung erwünscht

Dies ist nur ein kleiner Einblick ins Programm des ersten Real Dance Festivals vom 24. bis 28. Januar. Melanie Zimmermann arbeitet daran, es in den kommenden Jahren auszuweiten. Vorerst bleibt sie in Hamburg wohnen, denn ihre beiden Söhne gehen dort zur Schule. Die alleinerziehende Mutter lobt ihre neuen Arbeitgeber in Hannover sehr dafür, dass sie als Festivalleiterin so flexibel arbeiten kann. Aber: „Carework ist ein leidiges Thema, weil es viel Zeit, Geld und Organisation verlangt. Es ist eine eigene Leitungsstelle in sich“, findet sie. „Wenn das Festival einmal über mehr als fünf Tage geht, würde ich nach Hannover ziehen.“

Programm: siehe www.realdance.de

Text: Karen Roske, Fotos: Laurent Philippe, Mayra Walraff, Florian Sonntag, Maximilian Pramat

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