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Sie rettet die Geschichte

31. August 2023

Mit Geduld und ganz viel Fingerspitzengefühl: Diplom-Restauratorin Barbara Helmrich stellt alte Dinge wieder her und kennt so manche historische Geschichte

Text: Heike Schmidt, Fotos: Tobi Wölki

Millimeter um Millimeter geht es voran. Vorsichtig setzt Barbara Helmrich das Skalpell an. Konzentriert blickt sie durch die Lupenbrille, die alles zwanzigfach vergrößert. Ein klarer Durchblick ist extrem wichtig für ihren Beruf. Zu dessen Ausübung benötigt sie durchaus Hilfsmittel, wie sie in der Chirurgie verwendet werden. Doch Barbara Helmrich rettet keine Leben. Sie rettet Kunstwerke.

Seit 27 Jahren ist die Dipl.-Restauratorin selbstständig. Ihre Werkstatt hat sie in Isernhagen. „Ich habe schon immer gerne manuell Sachen zusammengefügt und gebaut“, sagt Die Restauratorin: „Zudem zeichne und male ich sehr gerne.“ Das kam ihr im Beruf zugute. Wenn bei einem Gemälde beispielsweise ein Riss quer durch den Bart des Porträtierten geht, dann malt Barbara Helmrich jedes einzelne Barthaar in mühevoller Akribie nach. Von vorn würde man dann kaum mehr vermuten, dass es jemals eine Zerstörung gegeben hat. Wer das Bild dann allerdings herumdreht, wird sehen, dass eine Restauratorin am Werk war.

Hannover, 23.03.2023 : Nobilis zu Besuch bei der Restauratorin Barbara Helmrich in ihrem Isernhagener Atelier. Neben einem Arne Jacobsen Rundtisch aus den Herrenhäuser Gärten gibt es immer etwas zu tun. © Tobias Wölki | Hannover | Große Düwelstr. 47b | 30171 Hannover

Die Restauratorin

Doch eins ist Barbara Helmrich wichtig: „Restaurieren heißt nicht neu machen.“ Manche Spuren, die die Geschichte an einem Gegenstand hinterlassen hat, lässt sie nicht verschwinden. Denn es ist auch eine fast philosophische Frage nach dem Urzustand eines Objektes. Da Material früher wertvoll war und wenig Gegenstände weggeschmissen wurden, ließen sie ihre Besitzer öfter einmal modernisieren. Gegenstände wurden dem Geschmack der Besitzer angepasst. Das war damals ganz normal. Heute lässt sich daher der Urzustand gar nicht mehr rekonstruieren. Dann entscheidet im Zweifelsfall der Besitzer in Absprache mit der Restauratorin, welcher Zustand wieder hergestellt werden soll. „Heute arbeiten wir nach der Maxime weniger ist mehr“, betont Barbara Helmrich: „In den achtziger Jahren war das ganz anders. Da musste alles wie neu aussehen.“ Und das stellt die Restauratorin heute durchaus vor Herausforderungen.

Einen Großteil des Platzes in der Werkstatt nimmt derzeit ein Stück aus den Herrenhäuser Gärten in Anspruch: Es ist die runde Bar, die Arne Jacobsen für das nach ihm benannte Glasfoyer im Anschluss an das Galeriegebäude entworfen und gebaut hat. Als die Bar ankam, war sie mehrfach überlackiert. „Das war das, was man früher als „Restauration“ verstand“, erklärt Barbara Helmrich: „Einfach neuen Lack drauf und fertig.“ Oben auf die Bar wurde einfach eine neue Platte geschraubt. „Die gab es früher so nicht.“ Also musste nicht nur der alte Lack, sondern auch die Platte ab. Während es relativ einfach war, die Deckplatte abzunehmen, ist der Lack nur in mühevoller Kleinarbeit herunterzubekommen. Praktikantin Maja Gerbes sitzt seit Tagen an einer Tür und löst Zentimeter um Zentimeter die alte Schicht. Hervorkommt das ursprünglich nahezu rosafarbene Birnbaumholz, aus dem die Bar gefertigt wurde.

Hannover, 23.03.2023 : Nobilis zu Besuch bei der Restauratorin Barbara Helmrich in ihrem Isernhagener Atelier. Neben einem Arne Jacobsen Rundtisch aus den Herrenhäuser Gärten gibt es immer etwas zu tun. Tresen aus dem Arne Jacobsen Foyer: Stephan Meyer und Barbara Helmrich © Tobias Wölki | Hannover | Große Düwelstr. 47b | 30171 Hannover

Große Stücke

„Mir macht das Spaß. Das ist fast meditativ“, erklärt Maja. Eine wichtige Eigenschaft einer zukünftigen Restauratorin scheint sie mitzubringen: Geduld. „Wer als Kind am liebsten 1000er bis 5000er Puzzles zusammengesetzt hat, der ist in dem Beruf richtig“, sagt Barbara Helmrich lächelnd. Sie selbst hatte schon immer eine Schwäche für schöne Möbel. Nach einer Tischlerlehre und der Ausbildung zur Restauratorin – damals gab es den ersten Studiengang für Restauratoren in Köln – arbeitet sie zunächst in der Denkmalpflege, kümmerte sich um Gemälde und Skulpturen, um dann in Süddeutschland bei einem Unternehmen höfische Prunkmöbel wieder in Stand zu setzen.

„ich mag sehr gerne die Zeit des Barock“, sagt Helmrich: „Wenn wir da manchmal einen alten Schrank hatten, haben wir sogar alte Briefe gefunden.“ Natürlich hätte sie diese ungeöffnet an den Besitzer des Möbelstücks gegeben. „Die meisten wussten noch nicht einmal, dass ihr Erbstück Geheimfächer haben könnte“, erklärt die Restauratorin, die selbstverständlich um die Konstruktion dieser Möbel weiß. Manchmal treten dann nach Jahrhunderten Dinge zutage, von denen die heutigen Besitzer nichts wüssten. Natürlich spricht die Restauratorin nicht darüber. Geheimes bleibt geheim und Privates privat.

Hannover, 23.03.2023 : Nobilis zu Besuch bei der Restauratorin Barbara Helmrich in ihrem Isernhagener Atelier. Neben einem Arne Jacobsen Rundtisch aus den Herrenhäuser Gärten gibt es immer etwas zu tun. © Tobias Wölki | Hannover | Große Düwelstr. 47b | 30171 Hannover

Kleine Metallstückchen

Anders sieht es allerdings in den Gebäuden aus, die öffentlich sind – und auch davon hat Barbara Helmrich Einige restauriert. Wenn sich beispielsweise die Ratsherren in der Ratsstube des Rathauses treffen, dann sitzen sie inmitten einer Arbeit von Barbara Helmrich. Als ein Wasserschaden 2012 die Holzpaneele des Saales in Mitleidenschaft zog, war die Expertin gefragt. Und sie machte eine Entdeckung, die sogar mit ihrer eigenen Geschichte zu tun hatte.

„Als wir die Paneele untersuchten, fielen uns kleine Metallstückchen im Holz auf“, erinnert sich die Restauratorin. Zuerst hätten sie und ihr Team diese Dinge nicht richtig zuordnen können. Doch dann war es klar: Diese Splitter stammten aus Geschossen, die vermutlich im zweiten Weltkrieg abgefeuert wurden. Barbara Helmrich ließ die metallenen Zeitzeugen im Holz: „Sie gehören zur Geschichte dieses wunderschön ausgestatteten Saales.“ Und noch etwas stellte sie bei der Arbeit im Rathaus fest: „Mein Urgroßvater war Tischler. Er hat den Hodlersaal einst mit ausgestattet.“

Die Liebe zum Holz, zum Handwerk und zum Erhalten scheint sich durch die Familie zu ziehen. Und sie ist noch längst nicht zu Ende. Barbara Helmrichs Tochter Carla ist im Masterstudiengang in Bern. „Sie möchte auch in die Restaurierung“, erklärt die Mutter. Allerdings möchte sich die Tochter auf Gemälde und Skulpturen spezialisieren – und in dem Bereich auf die jüngere Moderne, die Sechziger Jahre. „Da geht es dann auch um die Frage: Wie konserviere ich Dinge aus PU-Schaum?“, sagt Barbara Helmrich.

Hannover, 23.03.2023 : Nobilis zu Besuch bei der Restauratorin Barbara Helmrich in ihrem Isernhagener Atelier. Neben einem Arne Jacobsen Rundtisch aus den Herrenhäuser Gärten gibt es immer etwas zu tun. © Tobias Wölki | Hannover | Große Düwelstr. 47b | 30171 Hannover

Die Restauratorin und Außergewöhnliche Gegenstände

In ihrer Werkstatt ist der jüngste Gegenstand derzeit das Stück von Arne Jacobsen. Ein Leuchter, der von der Decke hängt und den Stephan Meyer gerade mit Gold zu neuem Glanz verhilft, stammt aus dem Historismus. Das Gemälde, das Restauratorin Barbara Helmrich gerade reinigt, ist von 1830. Und das Lackkabinett aus Frankreich ist aus dem frühen 19. Jahrhundert. Auch die Gebäude, in denen die Restauratorin tätig war, sind älteren Datums: Sei es Schloss Derneburg, das Gästehaus der Niedersächsischen Landesvertretung oder die Villa Seligmann. Auch hier waren beispielsweise die Wandpaneelen durch eine dicke Lackschicht „geschützt“.

Zu Beginn der Arbeiten habe sie sich gewundert, warum man das Holz nicht richtig reinigen konnte. „Bis ich dann unter UV-Licht die dicken Lackschichten gesehen habe“, erklärt Barbara Helmrich: „Die einzelnen Pinselstreifen und Lacknasen vom Streichen waren sogar zu erkennen.“ Also musste erst einmal der Lack ab. „Und dann kam erst einmal der Dreck zum Vorschein.“ Staub und Schmutz von Jahren, der einfach überlackiert worden war. Was sich aber nicht so schön anhört, war ein Glück: „Alles darunter war erhalten.“ Heute erstrahlt die Villa Seligmann wieder in einstigem Glanz.

Doch nicht nur dieses Stück hannoverscher Geschichte hat Barbara Helmrich wieder gegenwartstauglich gemacht: Zur Ausstellung „G. L. F. Laves – ein Hofarchitekt entwirft Möbel“ im Museum August Kestner hat sie Stücke restauriert. Mit dabei waren zwei Bücherschränke und eine große Bodenstanduhr.

Hannover, 23.03.2023 : Nobilis zu Besuch bei der Restauratorin Barbara Helmrich in ihrem Isernhagener Atelier. Neben einem Arne Jacobsen Rundtisch aus den Herrenhäuser Gärten gibt es immer etwas zu tun. Stephan Meyer beim vergolden einer Holzlampe © Tobias Wölki | Hannover | Große Düwelstr. 47b | 30171 Hannover

Die Geschichte und ihre Möbel

Immer erzählen die Möbelstücke aber auch ein wenig Alltagsgeschichte. „Heute würde man solche Lehnen nicht mehr fertigen“, ist sich Barbara Helmrich sicher. Zu Laves Zeit hatten sie einen Neigungswinkel nach hinten, dass man sich kaum anlehnen konnte. „Aber das brauchte man ja auch nicht, weil man es schlicht nicht tat“, erklärt die Restauratorin. Die Menschen saßen gerade auf den Sitzmöbeln – und das war wiederum der Kleidung mit Korsett und Bund geschuldet.

Es gibt viele Geschichten aus der Geschichte, die Barbara Helmrich erzählen kann. So wie auch die über das Lackkabinett, das sie gerade bearbeitet. Der goldfarbene Phönix, der als Halbrelief hervortritt, gilt als Glücks- und Segensbringer. Wenn die Restauratorin mit ihrer Arbeit fertig sein wird, wird er sich auf lackschwarzem Grund erheben. Die kleinen Goldplättchen werden erkennbar und Risse gekittet sein. Barbara Helmrich setzt die Lupenbrille auf und nimmt das Skalpell zu Hand. Nein, Leben rettet sie nicht. Aber immer auch ein Stückchen Geschichte.

Hannover, 23.03.2023 : Nobilis zu Besuch bei der Restauratorin Barbara Helmrich in ihrem Isernhagener Atelier. Neben einem Arne Jacobsen Rundtisch aus den Herrenhäuser Gärten gibt es immer etwas zu tun. © Tobias Wölki | Hannover | Große Düwelstr. 47b | 30171 Hannover

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