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Shige Fujishiro

Shige Fujishiro: Einheit der Gegensätze

26. März 2021

Glasperlenspiele der etwas anderen Art: Shige Fujishiro kreiert in Hannover einzigartige Kunst.
Text: Jörg Worat, Titelbild: Edin Bajric

Ich habe gerade eine Hängematte fertig gemacht“, sagt Shige Fujishiro. „Es hat zwei Monate gedauert.“ Ist das nicht ungewöhnlich lang? Kommt auf die Herstellungsweise an. Und die ist hier sehr speziell, wie deutlich wird, wenn man sich im Lindener Atelier des japanischen Künstlers umschaut, wo sich die unterschiedlichsten Objekte befinden: unter anderem Einkaufstüten, ein Absperrseil samt Ständer, kleine Schmetterlinge und ein großer Korb, der zu einem Fesselballon zu gehören scheint. Erst bei näherer Prüfung erschließt sich, dass all das aus unzähligen Glasperlen zusammengesetzt ist, die auf Sicherheitsnadeln aufgezogen wurden. Auch die neu geschaffene Hängematte ist ein solches Glasperlenspiel.

Kunst von Shige Fujishiro
Foto: Künstler

Klarer Fall, hier hat jemand sein Material gefunden – und ein Alleinstellungsmerkmal, denn diese Kunst ist nicht vergleichbar. Sie ist auch nur bedingt erklärbar, weil sie nicht den im Westen üblichen Gesetzen der Logik folgt. Gleichwohl kann von Beliebigkeit keine Rede sein, denn es gibt bei diesem Werk so etwas wie ein durchgehendes Thema: die absolut selbstverständliche Verbindung von Gegensätzen.
Shige Fujishiro, der mit vollem Namen Dr. Shigenobu Fujishiro heißt, stammt aus Hannovers Partnerstadt Hiroshima und kam erstmals zur Jahrtausendwende in die niedersächsische Metropole, wo er zwischenzeitlich bei seinem Landsmann Makoto Fujiwara und bei Peter Redeker studierte.
Seit 2014 hat der Künstler ein festes hannoversches Atelier, reist aber, sofern die Umstände das zulassen, immer noch regelmäßig nach Hiroshima.

Das richtige Material für außergewöhnliche Kunst

Auf die Perlen stieß er erstmals 2000: „Ich kannte sie als Schmuckelement in der Mode. Dann bin ich auf die Idee gekommen, die Kleider selbst daraus herzustellen.“ So entstand eine entsprechende Serie, und es entwickelte sich eine Technik, die schon formal Gegensätze aufweist. Denn mögen auch die Sicherheitsnadeln als Inbegriff des Alltäglichen daherkommen, die Perlen sind es nicht: Es handelt sich um japanische Toho-Perlen, die ihren Preis haben und in etlichen Varianten vorliegen. Shige Fujishiro zeigt einen umfangreichen Kasten: „Das ist nur eine kleine Auswahl. Manche Firmen lassen sich sogar Perlen nach eigenen Wünschen herstellen.“ Es gilt außerdem zu bedenken, dass Sicherheitsnadeln zwar aus gutem Grund so heißen, bei fahrlässigem Gebrauch aber gefährlich werden können. Ein Blick auf die Hände des Künstlers enthüllt allerdings keinerlei Stichspuren, dafür eine ausgeprägte Hornhaut, auch eine Folge des Umgangs mit Draht, der punktuell zur Stabilisierung der Objekte zum Einsatz kommt.

Kunstwerk von Shige Fujishiro
Foto: Edin Bajric/Collection
Kunstsammlungen der Veste Coburg

Die ungemein aufwendige Arbeitsweise könnte nahelegen, dass Shige Fujishiro sich vor allem edle Motive vornimmt, und zuweilen ist das zweifellos der Fall – so gibt es die üppige Tischdekoration „Egoist“ von 2003, komplett mit Teller, Besteck, Sektkühler, Früchten, Konfektschale und was sonst noch so dazugehört. Auf der anderen Seite sind da als wohl bekannteste Werkgruppe des Künstlers die eingangs erwähnten Einkaufsbeutel, die täuschend echt anmuten und teils Luxusmarken wie Chanel oder Hermès repräsentieren, teils Aldi oder Rewe. Das Exklusive und das Alltägliche vermengt Shige Fujishiro auch auf den inszenierten Fotos, die oft integraler Bestandteil der Beutelkunst sind – auf einem solchen Bild landet schon mal eine der edlen Glasperlen-­Chanel-Tüten im Altpapier.
Spielgeräte tauchen gleich mehrfach in der Perlenkunst auf und zeichnen sich dadurch aus, dass man mit ihnen nicht spielen kann: Die Autoreifen-Schaukel ist ebenso wenig benutzbar wie das mit einer netzartigen Struktur verbundene Tennisschläger-Paar, und der übermäßig verlängerte Basketballkorb geht in eine Art Wasserfall über – hier wird die Verfremdung noch dadurch gesteigert, dass daneben ein Pfau steht.
Denn seit einiger Zeit baut Shige Fujishiro zuweilen echte ausgestopfte Tiere in seine Szenarien ein. Eine ebenso rätselhafte wie beeindruckende Arbeit zeigt einen Pavian, der gerade aus einem Perlenkäfig ausgebrochen zu sein scheint – Pflanzenschmuck auf dem Haupt und in der Hand lassen ihn entweder wie eine Braut erscheinen oder wie eine Prinzessin mit Krone und Zepter. Der mysteriöse Primat gehört zu einem Installationsprojekt namens „Where is my paradise?“. Ein interessanter Titel, den der Künstler folgendermaßen erläutert: „Manchmal sitze ich während der Arbeit am Fenster, sehe auf der Straße die Leute beim Einkaufen oder die Kinder beim Spielen und denke, das Paradies ist draußen. Aber vielleicht habe ich es doch eher in meinem Atelier und bei dem, was ich tue.“

Und was kommt nach dem Paradies?

„After the paradise“ ist jedenfalls der Arbeits­titel einer Ausstellung, die vom 11. April bis zum 23. Mai im „imago“-Kunstverein Wedemark laufen und in der dann auch die legendäre Hängematte zu sehen sein soll: „The party ist over“, beschreibt Shige Fujishiro diesen Ansatz.Dass der Künstler nunmehr in zwei Kulturen zu Hause ist, spiegelt sich ebenfalls in seinem Werk: Eine Arbeit verbindet echte Hirschkopf-Trophäen mit Kirschblüten aus Perlen: „Das ist für mich die Verbindung von Deutschem und Japanischem“, sagt der Künstler, der hier zugleich den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen aufgreift. Auch Hannover findet unmittelbar Niederschlag in diesem facettenreichen Schaffen. Es gibt nämlich Perlen-Fanschals, die Hannover 96 untrennbar mit je einem anderen Verein verbinden, etwa Borussia Dortmund oder Bayern München. Sollte Shige Fujishiro eines Tages nun Hannover 96 und Eintracht Braunschweig auf diese Weise zusammenführen, wäre das eine Art Meisterstück – eine größere Überwindung von Gegensätzen scheint hier jedenfalls nicht denkbar.
www.shige-fujishiro.blogspot.com

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