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Emanzipation von der anderen Seite 

03. Mai 2025

Neues Theater zeigt Komödie „Hilfe, mein Mann wird Mutter“ bis 5. Juli 2025 

Die Premiere der Komödie „Hilfe, mein Mann wird Mutter!“ am Neuen Theater Hannover war ein fulminanter Auftakt. Im gemütlichen Saal mit nostalgischem Kino-Flair drängten sich erwartungsvolle Besucher – eine familiäre Atmosphäre lag in der Luft. Regisseur Markus Bölling gestand im Gespräch mit nobilis augenzwinkernd, dass er vor jeder Premiere aufgeregt sei und sich an diesem Abend zur Beruhigung einen Prosecco gönne, bevor er hinter der Bühne verschwinde. Entsprechend gelöst und voller Vorfreude war die Stimmung, als sich der Vorhang hob und den Rollentausch der besonderen Art enthüllte.

Klischees mit köstlicher Leichtigkeit auf den Kopf gestellt 

Gleich zu Beginn stehen die Zeichen auf Sturm: Wolfgang und Ulli, ein homosexuelles Paar in „anderen Umständen“, erwarten in Kürze Nachwuchs – per Adoption zwar, aber das hindert Ulli nicht daran, sich voll und ganz wie eine werdende Mutter aufzuführen. Was folgt, ist eine spritzige Verwechslungskomödie, die genüsslich altbekannte Klischees über Schwangerschaft, Ehe und Homosexualität aufgreift und charmant ad absurdum führt. Ulli stürzt sich mit überschäumender Begeisterung in jede „Schwangerschaftserscheinung“, die er ergattern kann: morgendliche Übelkeit, plötzliche Heißhungerattacken (Gewürzgurken mit Sahne inklusive – „die Frauen werden mich verstehen“), Umstandsmode und launische Gefühlsausbrüche. Sein Partner Wolfgang hingegen ringt sichtlich um Geduld und Verständnis für den geliebten Nervensägen-Anwärter. Kein Klischee wird ausgelassen – und doch wirkt nichts daran beleidigend, weil alles mit einem liebenswerten Augenzwinkern präsentiert wird.

Jens Knospe (stehend) und Kristof Stößel (auf dem Gymnastikball) bringen die emotionale Verwandlung mit viel Gefühl auf die Bühne.

Für Situationskomik ist gesorgt, als Wolfgangs erwachsene Tochter Nina unerwartet aus dem Ausland heimkehrt – und das hochschwanger! Da Wolfgang ihr seine Beziehung bisher verschwiegen hat, hält Nina den dickbäuchig im Morgenmantel auftretenden Ulli prompt für die neue Lebensgefährtin ihres Vaters. Das daraus resultierende Lügenkonstrukt treibt das Trio in herrlich absurde Szenen: So muss Ulli plötzlich die „Mutterrolle“ nicht nur gegenüber Wolfgang, sondern auch gegenüber Nina spielen. Als Nina unschuldig nach dem „Mutterpass“ fragt, gerät Ulli ins Schwitzen – wie soll er der erstaunten Tochter erklären, dass die werdende „Mama“ ausgerechnet keinen Mutterpass vorweisen kann? Solche köstlichen Momente des Missverständnisses brachten das Premierenpublikum zum Lachen. In einem wunderbar absurden Dialog versuchen sich Wolfgang und Ulli aus der Affäre zu ziehen, während Nina immer skeptischer wird. Gerade dieser spielerische Umgang mit allen Erwartungen macht den Reiz des Abends aus: Man lacht über Klischees, ohne sich je über die Figuren lustig zu machen. 

Auch sprachlich gelingt die Gratwanderung zwischen Witz und Wärme. Viel Gelächter und zustimmendes Nicken erntete Wolfgang mit seiner direkten Ansprache an das Publikum, als er die männlichen Zuschauer verschmitzt fragte: „Meine Herren, kennen Sie das Gefühl, zu Hause nichts mehr zu sagen zu haben?“. Und angesichts von Ullis schwangerschaftsbedingtem Aktionismus trocken resümiert: „Sie hat sie nicht alle!“. Ulli wiederum spannt Wolfgang konsequent ein: „Dafür bist du zuständig, ich muss mich schonen!“, tönt er mit theatralischem Augenaufschlag, sobald etwas Anstrengendes ansteht. Die Aufführung spielt virtuos mit solchen Rollenmustern – die üblichen Gepflogenheiten werden auf den Kopf gestellt und gerade dadurch entlarvt. Am Ende klären sich natürlich alle Verwechslungen auf und der ersehnte Familienzuwachs kommt. In der Schlussszene voll herzlichem Humor beugen sich Wolfgang und Ulli über das Baby und begrüßen es gemeinsam mit den Worten: „Herzlich willkommen bei deinen völlig verrückten Eltern. Spätestens an dieser Stelle dürfte sich niemand im Saal mehr ein glückliches Lächeln verkneifen können.

Das Ensemble gibt – auch körperlich – alles in dieser Komödie voller absurder Wendungen.

 

Drei Darsteller in Höchstform

Die schauspielerischen Leistungen an diesem Abend sind bemerkenswert vielseitig. Kristof Stößel als werdende „Mama“ Ulli ist ein wahres komödiantisches Kraftpaket: Mit hinreißender Übertreibung zelebriert er Ullis Schwangerschafts-Marotten, ohne je die sympathische Menschlichkeit der Figur zu verlieren. Mit Bäuchlein unterm geblümten Umstandskleid, Turban-Handtuch auf dem Kopf und seliger Miene beim imaginären Streicheln des Babybachs spielt Stößel den Ulli pointiert und doch liebenswert. Er hechelt, stöhnt und strahlt vor Glück – ein überdrehter „Mutter in spe“, den man einfach mögen muss. In den absurdesten Momenten (etwa wenn Ulli nach einer Bachblüten-Tee-Session begeistert verkündet, er habe endlich das ersehnte Schwangerschafts-Yoga-Gefühl) blitzt bei Stößel immer wieder eine feine ironische Selbstironie auf. Diese Balance zwischen komödiantischer Ekstase und glaubwürdigem Kern macht seinen Auftritt so beeindruckend. 

Jens Knospe spielt den geplagten Partner Wolfgang wunderbar nuanciert. Er ist der Fels in der Brandung der Hormonschwankungen – sichtlich überfordert, aber aufrichtig bemüht, Ulli jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Knospe überzeugt in den leisen, genervt seufzenden Momenten ebenso wie in den explosiven Ausbrüchen, wenn Wolfgang der Kragen platzt. Köstlich sind seine Blicke, mit denen er das Publikum direkt anspricht, als suche er Verbündete gegen den Wahnsinn daheim. Diese Nähe zum Publikum baut Knospe gekonnt ein und schafft so eine intime Komplizenschaft zwischen Bühne und Saal. Sein Timing sitzt bei jeder Pointe – ob als sarkastischer Konterpart zu Ullis Eskapaden oder als liebender Vater, der am Ende sichtlich gerührt in die Zukunft blickt. Mit Knospe wird Wolfgang zu weit mehr als dem stereotypen „leidenden Ehemann“ – er verleiht ihm durchaus Tiefe und Herz, das unter all dem Chaos zum Vorschein kommt. 

Wenn’s im Bauch drückt, helfen keine Geburtsvorbereitungen – sondern beherztes Eingreifen.

Als Dritte im Bunde begeistert Fiona Sonnemann als Nina. Sie bringt frischen Wind und temperamentvolle Energie ins Geschehen, sobald sie die Bühne betritt. Sonnemann spielt die überraschte Tochter mit einer gelungenen Mischung aus Selbstbewusstsein und Verletzlichkeit: Anfangs resolut und modern, später fassungslos angesichts der verrückten Situation, reagiert sie auf jede absurde Wendung mit herrlich natürlicher Komik. Besonders ihr ungläubiger Blick auf Ulli – den sie ja irrtümlich für die neue, äußerst exzentrische „Stiefmutter“ hält – sorgt für viele Lacher. Gleichzeitig lässt Sonnemann durchscheinen, dass Nina insgeheim die Nähe ihres Vaters sucht. In einem kurzen, anrührenden Moment, als das Verwechslungsspiel auffliegt, zeigt sie berührend die Enttäuschung der Tochter, die plötzlich vieles neu einordnen muss. Doch schnell findet sie zur Fröhlichkeit zurück und fügt sich charmant in das bunte Familienbild ein. Sonnemanns Spiel ist erfrischend direkt, sehr präsent und bildet einen wunderbaren Gegenpol zum Chaos der beiden Herren – ohne dabei unterzugehen. 

Dieses Trio harmoniert in seiner Unausgewogenheit perfekt: Jeder der Drei hat seine Glanzmomente und trägt zum Gesamtbild bei. Kein Wunder, dass das Publikum am Ende begeistert applaudierte. Man spürte förmlich, wie Leichtigkeit und sogar ein Hauch von Tiefe in der Darbietung zusammenflossen – eine Gratwanderung, die alle Drei bravourös meisterten.

Zwischen Bademantelgesprächen und Beziehungschaos ist immer Platz für ein liebevolles Lächeln.

 

Kino-Flair und familiäre Stimmung im Neuen Theater

Nicht nur auf der Bühne, auch im Zuschauerraum ging es an diesem Abend hoch her. Das Neue Theater Hannover, ein Privattheater mit nur gut 150 Plätzen, versprüht den charmanten Geist eines alten Kinos – inklusive bequemer Sessel und einer gemütlichen Theaterbar, die vor und nach der Vorstellung zum Treffpunkt wird. Diese Nähe zum Publikum macht einen großen Teil der besonderen Atmosphäre aus: Man sitzt ganz nah am Geschehen und wird fast Teil der Inszenierung. Tatsächlich durchbrachen Wolfgang und Ulli während des Stückes gelegentlich die vierte Wand und sprachen das Publikum direkt an, was in diesem intimen Rahmen besonders wirkungsvoll war. Man hatte das Gefühl, in einem Wohnzimmer zu sitzen, in dem eine wunderbare Geschichte erzählt wird – Theater zum Anfassen im besten Sinne. 

Die familiäre Atmosphäre zeigte sich auch darin, dass Premierenfieber und Freude gleichermaßen geteilt wurden. In der Pause und nach dem Schlussapplaus sah man strahlende Gesichter. Einige Zuschauer wischten sich Lachtränen aus den Augen, andere tauschten fröhlich eigene Anekdoten über Schwangerschaftsgelüste und Männer mit „Sympathiebauch“ aus. Das Neue Theater hat wieder einmal bewiesen, dass es ein Ort ist, an dem man sich willkommen und aufgehoben fühlt. Hier kennt man sich, hier kommt man leicht ins Gespräch – sei es mit den Schauspielern im Foyer oder eben mit dem Regisseur an der Bar. Die Betreiber des Hauses setzen seit jeher auf genau diese Mischung aus professioneller Unterhaltung und persönlicher Nähe, die einen Theaterabend in der Georgstraße so einzigartig macht. 

Regisseur Markus Bölling gönnt sich vor der großen Premiere noch ein Glas Prosecco an der Theaterbar. Foto: Roksana Leonetti

Am Ende des Premierenabends verließ man beschwingt das Theater mit dem Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben. Die Komödie von Frank Pinkus in der einfallsreichen Inszenierung von Bölling erwies sich als ebenso humorvoll wie warmherzig und traf damit genau den Nerv des Publikums. Emanzipation bekommt hier eine erfrischend andere Perspektive: Wenn ein Mann zur „Mutter“ wird, bleibt kein Auge trocken – und doch schwingt bei allem Lachen auch eine warme Botschaft von Toleranz, Zusammenhalt und Liebe mit. Die Inszenierung am Neuen Theater Hannover verbindet boulevardesken Witz mit einem modernen Blick auf Familie und Rollenbilder. Das Ergebnis ist ein rundum gelungener Theaterabend voller Lachen und Lebensfreude, der noch lange in Erinnerung bleiben wird. 

Die Spieltermine und den Ticketverkauf finden Sie hier.

Text: Roksana Leonetti
Fotos: Neues Theater, Oliver Vosshage