„Reden wir über Hannover – das wird genügend harmlos sein“, spöttelte Theodor Lessing einst über seine Heimatstadt. Für den Philosophen und Schriftsteller war Hannover das „Paradies des Mittelstandes, der Bemittelten und jeder Mittelmäßigkeit“. Noch heute wird die Stadt an der Leine hartnäckig mit negativen Vorurteilen konfrontiert – trotz umfangreich betriebener Imagepolitik.
Text: Vanessa Erstmann Foto: Hannover Marketing und Tourismus GmbH
Um es vorwegzunehmen: In diesem Beitrag geht es nicht darum, Vorurteile zu bestätigen – das Gegenteil ist der Fall. Allerdings drängt sich der Eindruck auf, dass Hannover zu jenen Großstädten zählt, die oft von Spott und Häme betroffen sind. Zumindest scheinen die gepflegten Images von der „Großstadt im Grünen“, „Sportstadt“, „Messestadt“, „Open-Air-Stadt“ oder „EXPO-Stadt“ mit Blick auf Attraktivitätsrankings weniger in den Köpfen der Deutschen verankert zu sein als das Bild von der Provinzstadt. Noch immer machen andere Städte das Rennen.
Mehr Sein als Schein
Dabei zeigt die Medienresonanz auf hannoversche Großereignisse wie die EXPO 2000, dass die Stadt durchaus zu überraschen vermag – gerade weil Hannover eher unter dem Radar bleibt. Groß war das Aufsehen anlässlich der ersten Weltausstellung auf deutschem Boden, die – ausgerechnet – von Hannover ausgerichtet wurde. Zehn Jahre später galt Hannover erneut als „Stadt der Stunde“, als Deutschland von einer Welle an Politikern und Persönlichkeiten aus der niedersächsischen Landeshauptstadt überrollt wurde. An deren Spitze standen der damalige Ministerpräsident Christian Wulff und Unternehmer wie Carsten Maschmeyer.
Und 2011 tauchte ein neues Image in der Berichterstattung auf: das Bild einer von „Erbfreundschaften“ und hannoverschem Klüngel profitierenden „Hannover-Connection“. Gerade diese Erzählung attestierte der Stadt den Rang eines „deutschen Machtzentrums“, wie Lutz Hachmeister es formulierte.
Liebe auf den zweiten Blick?
Die Hannoveraner selbst reagieren abwechselnd mit Empörung, vorgegebenem Gleichmut oder aber mit Selbstironie auf das Image ihrer Stadt: Als sich die Stadt anlässlich ihrer Kulturhauptstadt-Bewerbung mit dem Claim „Hannover hat nichts“ und einem vermeintlich leeren Plakat präsentierte, offenbarte dieses – nachdem es ins richtige (UV-)Licht gerückt worden war – eine Fülle an hannoverschen Charakteristika.
Tatsächlich leben laut den Ergebnissen einer Repräsentativerhebung aus dem Jahr 2019 neun von zehn Hannoveranern entweder gern oder sogar sehr gern in ihrer Heimatstadt. Für sie ist Hannover nicht Mittelmaß, sondern die „Stadt der Mitte“, die nicht nur eine verkehrsgünstige Lage, sondern in erster Linie viel Lebensqualität und den größten innerstädtischen Stadtwald zu bieten hat.
In diesem Zusammenhang wird vor allem seit den 2000er-Jahren innerhalb und außerhalb der Stadt vielfach die „Liebe auf den zweiten Blick“ beschworen. Dem Negativ-Mythos der grauen, langweiligen Provinzstadt wird dabei das Bild eines grünen, lebenswerten Kultur- und Wirtschaftsstandortes gegenübergestellt. Von der Presse abgedruckte Pauschalismen wie „Nichts ist doofer als Hannover“ dürften sich demzufolge trotz gelegentlicher Provokationen prominenter Unterhaltungskünstler mittlerweile abgenutzt haben.
Gleichwohl trafen und treffen derlei Sticheleien einen empfindlichen Nerv: Hannover setzt sich wie kaum eine andere Stadt in schöner Regelmäßigkeit mit dem eigenen Image auseinander. Vor allem Stadtplaner, Kommunalpolitiker und Werbe-Experten sahen im Verlauf der Jahrzehnte wiederholt die Notwendigkeit, der Stadt ein starkes, positives Image zu gestalten.
Ihren Höhepunkt erreichten die imagepolitischen Bestrebungen der Stadt in den 1970er-Jahren, als die Stadtverwaltung versuchte, sich durch eine beispiellose Imagepflege aus dem zuvor bilanzierten Imagetief herauszumanövrieren. Doch nur wenigen dürfte bekannt sein, dass bereits die Anfänge der hannoverschen Stadtwerbung deutlich über dem Durchschnitt lagen.
Die Anfänge der Stadtwerbung nicht verschlafen
Die frühe Stadtwerbung begann in den meisten Städten – so auch in Hannover – um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Siegeszug der Eisenbahn und einer vermehrten Reisetätigkeit. Der Anschluss an den Zugverkehr und die nachholende Industrialisierung katapultierten die ehemalige Residenzstadt, die über Jahrhunderte deutlich hinter Nachbarstädten wie Braunschweig oder gar Hildesheim zurücklag, in wirtschaftlicher und touristischer Hinsicht in die Zukunft. Dabei erwies sich die günstige Lage Hannovers als Verkehrsknotenpunkt als besonders vorteilhaft im Wettstreit um Touristen, Arbeitskräfte und Kongresse.
Wie allerorten entfaltete sich die frühe Stadtwerbung auch in Hannover zunächst innerhalb des Bürgertums. Einige Honoratioren der Stadt gründeten im Jahr 1883 den „Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs und der Verschönerung Hannovers“, den späteren Verkehrsverein. Viele Jahrzehnte bevor sich Hannovers Stadtverwaltung ihrerseits an gezielter Stadtwerbung versuchte, betrieb der Verein aus privater Initiative heraus das Marketing für Hannover. Die dabei entfaltete Werbetätigkeit war alles andere als Mittelmaß. Vielmehr gelang es den hannoverschen Imageakteuren jener Jahre, zu denen auch bekannte Fabrikanten wie Hermann Bahlsen, Fritz Beindorff und Heinz Appel zählten, eine Vorbildfunktion für andere Städte einzunehmen. Der Verkehrsverein setzte sich für die repräsentative Gestaltung des Stadtbildes ein, förderte das städtische Kongresswesen und verpasste Hannover noch vor dem Ersten Weltkrieg den ersten Slogan „Großstadt im Grünen“. Zugleich wurde das reichhaltige Sportangebot als Imagefaktor genutzt und Hannover als „Sportstadt ersten Ranges“ beworben.
Dagegen zeigte sich die hannoversche Stadtverwaltung weit weniger ambitioniert und erkannte erst spät die wirtschaftliche Bedeutung der Stadtwerbung. Das 1929 gegründete Fremdenverkehrs- und Ausstellungsamt führte die Werbemaßnahmen des Verkehrsvereins fort, ohne eigene Ideen und überzeugende Werbeformate zu entwickeln. Daraus resultierte eine mittelmäßige Werbetätigkeit, die lediglich dank der Anstrengungen einzelner Akteure zuweilen größere Aufmerksamkeit erreichte.
Hannover sorgt für internationales Aufsehen
Wirklich großes Auf- und Ansehen erregte die Stadt erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die ehemals rückständige Stadt gleich mehrfach image- und stadtpolitische Maßstäbe setzte. Dank der mutigen Entscheidung zur Ausrichtung der ersten Export-Messe im Jahr 1947 entwickelte sich Hannover innerhalb kurzer Zeit zum bedeutendsten deutschen Messestandort.
Zudem erlangte die Stadt internationale Beachtung für ihren beispiellosen Wiederaufbau, der hier so schnell und rigoros erfolgte, dass vom „Wunder von Hannover“ die Rede war. Mit seinem avantgardistischen Städtebau bescherte Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht der Stadt ein funktional gegliedertes und von Stadtautobahnen durchzogenes Stadtbild, das international für Furore sorgte. Das Image der modernen und zukunftsgewandten Stadt sollte Hannover jedoch bereits in den 1960ern im Zuge der Neubewertung der „autogerechten Stadt“ wieder einbüßen. Die wenige Jahre zuvor als visionär gelobte Stadt galt plötzlich als „unwirtliche“ und „profillose“ Steinwüste, was eine weitere städtische Imagekrise auslöste.
Die negative Bilanz ebnete allerdings zugleich den Weg für eine professionelle Imagepolitik, die bis heute bundesweit als einmalig zu bewerten ist. Unter der Ägide von Stadtdirektor Martin Neuffer verwandelte sich Hannover in eine farbige, mit reichlich Straßenkunst ausgestattete Stadt der Kunst. Darüber hinaus katapultierte er die Stadtwerbung auf eine neue Ebene, indem er eine hauptamtliche Stelle für die städtische Imagepflege schuf und diese mit Michael „Mike“ Gehrke besetzte. Der unkonventionelle Kauf- und Werbefachmann und langjährige Vorsitzende des Jazz Club Hannover sollte mehr als 30 Jahre lang Imageaktionen und Veranstaltungen wie die berühmten Altstadtfeste oder den Flohmarkt koordinieren. Damit trug er wie kein anderer Akteur dazu bei, der Stadt Farbigkeit, großstädtisches Flair und Lebensqualität zu verleihen.
Der Neid der anderen
Die Tatsache, dass trotz jahrzehntelanger Bemühungen nicht der erhoffte Imagewandel eintrat, führte Mike Gehrke neben städtischen Einsparungen auch auf die zurückhaltende Art der Hannoveraner zurück. Als schlechte Multiplikatoren ihrer Stadt hätten sie dazu beigetragen, dass sich Vorurteile in Bezug auf Hannover so hartnäckig halten können.
Dies zeigte sich schließlich auch im Rahmen der eingangs erwähnten EXPO 2000, die von Akteuren wie Mike Gehrke als Jahrhundertchance der Stadtwerbung angesehen wurde. Letztlich blieb das Ereignis deutlich hinter den imagepolitischen Erwartungen und Möglichkeiten zurück. Stattdessen eröffneten die überregionalen Medien ein wahres Freudenfeuer des Städte-Bashings, indem sie überholte Vorurteile aufgriffen und diese damit zusätzlich festigten. In Anbetracht des verschärften Wettbewerbs unter den Städten liegt da der Verdacht nahe, dass es sich hierbei um die gezielte Abwertung einer deutlich wahrgenommenen Konkurrenz handelte. Somit wäre das Bashing als insgeheime Anerkennung zu deuten. Immerhin kann eine Stadt, die wiederholt derart von sich reden macht, kaum „genügend harmlos“ sein.