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Der Kunstdetektiv – auf der Suche nach dem verborgenen Schatz

16. Dezember 2021

Der Kunsthistoriker Stephan Schwarzl beantwortet Fragen zu Ihren privaten Kunstwerken.
Text: Stephan Schwarzl  Fotos: Lorena Kirste und nobilis-Leser Thomas Adamski
Nobilis-Leser Herr Adamski schreibt: Ich habe den Artikel Kunstdetektiv in der letzten Nobilis gelesen. Sofort dachte ich an mein Ölbild (Ich nenne es Hamburger Hafen). Es ist signiert mit Günther. Gekauft habe ich dieses Bild vor 30 Jahren bei einem Celler Antiquitätenhändler. Es hat eine unglaubliche Tiefenschärfe. Den Maler Günther kann ich nicht entdecken, und ich weiß aber auch nicht, wann das Bild gemalt worden ist. Vielleicht können Sie mir helfen? Was ist dieses Schätzchen heute wert?
Sherlock Schwarzl antwortet:
Lieber Herr Adamski, vielen Dank für die Zusendung der Informationen zu Ihrem Gemälde. Ihr selbst gewählter Titel ist ganz genau richtig, das ist wirklich eine Ansicht des Hamburger Hafens.
Der Standort des Betrachters ist wohl die Kehrwiederspitze, von der aus man den Hafen entlang der Stadtseite, die sogenannten Landungsbrücken, einsehen kann. Das große Gebäude im Hintergrund mit dem hohen Turm ist wohl der Kaiserspeicher (nachher als Kaispeicher A betitelt). Am rechten Rand sieht man die Takelage eines Segelschiffes, das dürfte ungefähr der heutige Liegeplatz der Museumsschiffe Cap San Diego und Rickmer Rickmers sein.
Das zentrale Moment Ihres Gemäldes bildet ein sehr großes Schiff, auf welchem große Lastkräne thronen. Diese waren für die Be- und Entladung der Schiffe auf kleinere Lastkähne da. Diese sieht man im Vordergrund auch zahlreich um den Bug des Schiffes verteilt. Es handelt sich bei dem Schiff um einen Stückgutfrachter. Die Signatur W. Günther ist leider nicht zu lösen. In dieser Zeit gab es viele Maler, die derartige Bilder gemalt haben, und viele davon sind heute nicht mehr bekannt. Ein dramatischer Himmel und eine aufgewühlte Wasseroberfläche bilden den Rahmen der zentralen Darstellung. Einem mäc

Eine Ansicht des Hamburger Hafens von Maler W. Günther.

htigen Schiffskörper, der an Holz-Dalben befestigt ist und allen äußerlichen Einflüssen zu trotzen scheint. Ruhig und fast majestätisch lässt er das Treiben um sich herum geschehen.
Kein Wunder, mussten sich doch diese Riesen auf den Weltmeeren gegen Wetter, Wind und Wellen behaupten. Dieses Moment hat der Maler gut getroffen. Der Kaiserspeicher wurde im 2. Weltkrieg zerstört, sodass auf jeden Fall ein Zustand des Hafens in der Zeit um 1935/40 Grundlage für das Gemälde bildete. Typisch für den fast schon als impressionistisch zu bezeichnenden Malstil sind die flotten, pastosen Pinselstriche. Viele Maler im Norden haben maritime Szenen gemalt, manche sogar nur derartige Ansichten. Dennoch besitzt das Gemälde eine sehr gute malerische Qualität.
Maritime Kunst ist – nicht nur im Norden- sehr beliebt und auch wenn man den Maler nicht näher fassen kann, würde ich dieses qualitätvolle Gemälde sicherlich mit EUR 500,- ansetzen.

Maritime Malerei

Eine gewisse Faszination geht von der Darstellung maritimer Szenen aus. Vielleicht wecken sie unsere Sehnsucht nach fernen Ländern und Abenteuern. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert erfuhr die Marinemalerei in den Niederlanden eine erste Blüte als eigenständige Gattung. Und es wurden bis ins 19. Jahrhundert keine Kunstwerke geschaffen, die alleine das Meer zeigten, sondern in denen immer alle Arten von Wasserfahrzeugen das Hauptthema bildeten. In England waren seemilitärische Inhalte vorherrschend, Darstellungen von Seeschlachten und historischen Schiffen.
Viele Reeder des 19. Jhdts. ließen ihre Schiffe in einer Art Porträt darstellen, eine Mode, die erst durch die Fotografie abgelöst wurde.
Erst mit Beginn des 20.Jahrhunderts bilden sich andere Themen ab. Der technische Fortschritt und die menschliche Arbeit standen nun im Fokus. Sehr beliebt sind hier dann die Hafenszenen. Nahezu jeder Künstler dieser Zeit hat in seinem Werk auch derartige Szenerien. Das maritime Gemälde gehörte zu jeder gutbürgerlichen Wohnausstattung. Es spiegelte die Weltoffenheit des Besitzers wider.
Sie haben auch einen vermeintlichen Schatz in Ihrem privaten Fundus?
Senden Sie uns Ihre Anfrage samt Fotos des Bildes an: kunstdetektiv@nobilis.de.
Vielleicht haben Sie Glück und der Kunstdetektiv wählt auch Sie aus.

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