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Der Kunstdetektiv

27. Juli 2022

Der Kunsthistoriker Stephan Schwarzl beantwortet Fragen zu Ihren privaten Kunstwerken.
Foto: Lorena Kirste
Nobilis-Leserin Frau Marlies B. schreibt:
Sehr geehrter Herr Schwarzl, ich sende Ihnen ein Foto von einem Gemälde, welches noch von meinem Großvater stammt. Es wäre schön, wenn Sie etwas darüber in Erfahrung bringen könnten.
Stephan Schwarzl antwortet:
Liebe Frau B., wir treten als stiller Betrachter in die kleine Küche ein. In Gedanken versunken hält der ältere Herr die Kaffeemühle zwischen seinen Knien fest. Er unterbricht das Mahlen und beugt sich zum Herd, um zu prüfen, ob das Wasser im Topf schon kocht. Daneben steht die Porzellankanne mit dem Kaffeezubereiter aus Metall. Auf der kleinen Bank stehen ein unglasierter Krug und eine emaillierte Kanne, beide schon etwas betagt. Das Auge entdeckt immer mehr Gegenstände und Details – typisch für ein Interieur-Gemälde, das Einblick in das einfache Leben gibt und den Betrachter zum Entdecken und Nachdenken anregt.
In der linken unteren Ecke finden sich eine Signatur und die Datierung 43 für das Jahr 1943. Die verschlungenen Buchstaben sind als A und R zu entziffern. Sie stehen für Adolf Reich: Reich wurde 1887 in Wien geboren. Später machte er eine Lehre als Graveur, arbeitete einige Jahre als Bühnenmaler im deutschen Volkstheater und später als Regimentsmaler im Ersten Weltkrieg. Von 1916 bis 1926 nahm er an den Ausstellungen des Wiener Künstlerhauses teil und wurde 1927 Präsident der neu gegründeten Künstlergruppe „Wiener Heimatkunst“. Später siedelte er nach München, dann nach Salzburg über, wo er 1963 starb.
Die Darstellung und Malweise erinnern stark an die eines der Hauptvertreter dieser Kunstgattung: Carl Spitzweg. Dieser beherrschte es meister­haft, Menschen in ihrem zeitbedingten bürgerlichen Milieu darzustellen und und wurde dadurch Vorbild für viele Künstler nachfolgender Generationen.
Die Detailtreue des vorliegenden Bilds kann nur durch meisterliches Können erzielt werden. Nicht selten wurde Adolf Reich daher als der Spitzweg Österreichs betitelt. Sehr großen Anklang findet seine Kunst in den USA, wo mitunter fünfstellige Summen für Reichs Werke bezahlt werden. Aber auch in Österreich finden sich seine Gemälde und Zeichnungen oft auf Auktionen. Der Wert des Kücheninterieurs ist mit 2500 bis 3000 Euro anzusetzen. Im Verkaufsfalle sollte auf jeden Fall der richtige Markt, nämlich USA oder Österreich, gewählt werden.

Foto: Marlies B. Metall, Porzellan, ein alter Teppich: Die Gegenstände und ihre Materialien sind naturgetreu wiedergegeben.

Kunst-Lexikon

Interieur-Malerei
Diese Form der Malerei macht sich die Einblicke in andere Leben zu eigen. In der bildenden Kunst gilt die Darstellung von Innenräumen – auf Französisch: „interieur“ – seit dem 17. Jahrhundert als selbstständige Bildgattung. Sie ging von den Niederlanden aus und wurde im 18. und 19. Jahrhundert auch in Mittel- und Nordeuropa ein beliebtes, bürgerlich bestimmtes Bildthema.
Die Gemälde von Romantik und Biedermeier, die im 19. Jahrhundert und bis ins 20. Jahrhundert hinein entstanden, wirken oft wie ein Besuch bei Freunden. Die Familie sitzt beim Essen, der bildungsbeflissene Bürger liest in seiner Bibliothek oder der Hobbygärtner gießt seine Kakteen. Solche Bilder fangen in liebevoller, humorvoller, drastischer, ironischer oder moralisierender Weise Momente des Alltags ein. Mitunter verweisen Einrichtungsgegenstände auf die Vorlieben oder die Weltanschauung der Bewohner.
Die Malerei ist in der Regel sehr naturgetreu. Ein Meister dieser Gattung war der deutsche Maler Carl Spitzweg. Durch ihre friedliche Ausstrahlung und die Ruhe erfreut sich die Interieur-Malerei bis heute großer Beliebtheit. Vor allem die Werke der spätromantischen Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts werden auf dem Kunstmarkt rege gehandelt.
Sie haben auch einen vermeintlichen Schatz in Ihrem privaten Fundus? Senden Sie uns Ihre Anfrage samt Fotos des Bildes an:
kunstdetektiv@nobilis.de.

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