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Das Kleine Fest anders sehen

10. Juli 2024

Ein Bad in der Menge? Bitte schön! Beim Kleinen Fest im Großen Garten ist das jetzt möglich. Am Dienstagabend gab es eine Vorpremiere. Wir waren dabei.

Es ist schon ein etwas seltsames Gefühl, vor wildfremden Menschen in eine Badewanne zu steigen, um sich dann im Wasser sitzend durch einen Teil des Großen Gartens fahren zu lassen. Den Badeanzug – schön retro – gibt es gestellt, ebenso die Handtücher. In diesem Jahr steht das 38. Kleine Fest erstmals unter einem Motto: „Wasser“. Und es gibt einen neuen Festivalchef: Caspar de Vries. Vorab hat er in einem Interview gesagt, dass er alle Menschen, die in den großen Garten kommen, miteinander ins Gespräch bringen möchte. Ob das klappt?

Eine andere Perspektive

Das Wasser in der Wanne ist schön warm. Niemand muss also Angst haben, auf dem Weg durch den Garten zu frieren. Es geht los. Daan Soer vom Team Swoolish Garage gibt mit seiner „Vespaqua“ Gas. Leichter Wellengang in der Wanne. Die ersten Besucher winken, lachen, zücken die Handykameras. Ob sie auch eine Erfrischung wollen? Kurz die Hand durchs Wasser gezogen. Es spritzt. Alle lachen. Auftakt gelungen. „Wie ist es in der Wanne?“, möchte ein Besucher wissen. „Super!“ Es ist einfach eine andere Perspektive auf ein Fest, das sonst eher erlaufen werden musste.

Spiel im hinteren Teil des Gartens

Wie viele Jahre haben Besucher hektisch Pläne studiert, um ja nichts zu verpassen, sind von Bühne zu Bühne gelaufen, immer im Bewusstsein, dann eben doch nicht alles gesehen zu haben? Der Vorteil des kleinen Festes, viele Künstler auf den unterschiedlichsten Bühnen überall im Garten verteilt zu haben, war gleichzeitig sein Nachteil, denn die Künstler traten oft zur selben Zeit auf. Jetzt wird der vordere Teil des Gartens mit Grotte und Broderie-Parterre nicht bespielt. Im hinteren Teil des Gartens, dort, wo die Bäume und Büsche höher und die Wasserspiele zahlreicher sind, finden die Zuschauer in diesem Jahr die Bühnen.

Weniger Walkacts?

Die Besucher, die Bühnen – langsam ziehen sie vorbei. Ein großer Fisch schwebt in etwa drei Metern über der Menge. Manchmal spuckt er Bälle aus, die die Besucher dann brav einsammeln und ihm zurückgeben. Zwei Schwimmerinnen ziehen ihre Kreise durch die Luft. Die Marionetten gehören ebenfalls zu den Walkacts. Manche Besucher hatten nach dieser ersten Premiere schon bemängelt, dass es zu wenige der meist bunten und stummen Schaubilder gegeben habe, die sich in den vergangenen Jahren in lautloser Schönheit wie Fabelwesen durch den Garten bewegten. Doch sind es wirklich weniger Walksacts? Oder sind es schlicht andere?

Nachricht von Frans

Das Wasser in der Wanne schwappt leicht. Der Kies knirscht – und ein alter Bekannter ist schon von weitem zu hören: Es ist Eis Ali, der in gewohnter Manier seine Leckereien nicht ohne Show hergibt. Das ist schön. Das ist ein wenig „wie immer“. Nur etwa zehn Prozent der mehr als 100 Künstler aus 13 Ländern, die in diesem Jahr dabei sind, sind noch vom „alten“ Kleinen Fest bekannt. So wie auch die Haarkünstler von Sienta La Cabeza, die wieder spektakuläre Frisuren fertigen. Alle anderen Künstler sind neu. Das ist eine Chance. Wer aber liebgewordene „Bekannte“ sucht, wird wahrscheinlich enttäuscht sein. Auch der kleine Clown Frans fehlt. Er war seit Jahrzehnten immer dabei und schon eine Institution. Doch einen Moment lang taucht er dann doch auf: als Textnachricht. Bei der Eröffnung des Abends berichtet als Caspar de Vries, dass er eine Textnachricht von Frans erhalten habe: „Er wünscht uns allen viel Spaß!“ Gemeint ist damit aber nicht nur das Team vor und hinter den Kulissen, sondern vor allem auch die Besucher.

Der Plan ist „verkehrt herum“

Die Gäste hatten meist schon zu Beginn des Fests ein kleines Problem: Der Plan, auf dem die Bühnen verzeichnet sind, ist aus der Sicht vieler „verkehrt herum“. Das Schloss mit dem Prinzentor, durch das man hereinkommt, ist oben auf dem Plan; die Graft unten. Wenn man den Zettel dreht, ist er zwar „richtig herum“ – die meisten Besucher orientieren sich in Richtung hinteren Gartenteil – dann stehen aber die Nummern der Bühnen auf dem Kopf. Wie man es dreht oder wendet: Der Plan ist verbesserungswürdig.

Entspannen auf dem fliegenden Teppich

In der Wanne braucht man keinen Plan. Das ist auch mal ganz schön. Es ist entspannt. Es bietet eine andere Perspektive. Vorbei geht es an „Grandet Douglas“. An einer Art Karussell ist auf der einen Seite ein Klavier, auf der anderen Seite ein Teppich befestigt. Während ein Pianist auf dem Klavier spielt, können sich drei Besucher auf den Teppich legen und bei ihrer schwebenden Rundfahrt das Spiel aus Baumwipfel und Himmel beobachten. Auch das ist eine andere Perspektive. Zudem ist es entschleunigend. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass diese Entschleunigung auch ein Ziel von Caspar de Vries ist. Auch das muss man mögen: sich Zeit nehmen. Das passt wiederum zu der Nummer von Pieter Post, der der Frage nachgeht, warum Nichtstun harte Arbeit ist. Wer also schon immer etwas über die positiven Seiten von Faulheit und Langeweile erfahren möchte, der sollte Pieter Post und seine Schildkröte besuchen.

Poesie am Himmel

Poetisch, clownesk, akrobatisch und zweifellos eine der schönsten Nummern des Abends ist „Fly me to he moon“ von Leandre. Wenn Leandre Ribera und Laura Miralbes auf ihrem Tandem hoch oben bei den Wipfeln der Bäume ihre Geschichte einer außergewöhnlichen Fahrradtour erzählen, ist das wunderschön anzusehen. Und auch das war ein kleiner Kritikpunkt der Besucher: Es gab gefühlt weniger Artistik und Akrobatik zu sehen. Oder waren wir nur an den „falschen“ Orten?

Stullen und Aperol-Sprizz

Da so ein Bad in der Menge hungrig macht, wenden wir uns der Gastronomie zu. Rund um die große Fontäne gibt es alles, was man an einem solchen Abend gerne essen mag: Süßes und Salziges, Softdrinks wie alkoholische Getränke. Ein Stück veganer Karotten-Haselnuss-Kuchen kostet beispielsweise 3,50 Euro, ein Smörrebröd – die dänische Variante vom Sandwich – liegt zwischen acht und zehn Euro. Eine Bio-Limonade schlägt mit vier Euro zu Buche, ein Gin-Tonic oder Aperol-Sprizz mit 10 Euro – jeweils plus Pfand. Was schön ist: Man kann rund um das Wasser der großen Fontäne sitzen. Und auch für Kinder (kleine wie große) ist ein Highlight der Spielpark nahe der Fontäne, in dem sie sich austoben können.

Fazit:

Caspar de Vries hat eine andere Perspektive auf das Fest. Und diesen neuen Blickwinkel können die Besucher selbst erfahren. Sie können zudem selbst sehr viel aktiver werden. Sie können mitspielen. Und das ohne Zwang. Niemand, der in der ersten Reihe sitzt, wird automatisch aufgefordert, bei den Nummern zu „helfen“. Das Kleine Fest ist auf dem Weg vom reinen Kunst-Konsumieren zum Kommunizieren und Agieren untereinander. Das ist schön, wird aber nicht jedermanns Geschmack sein. Aber auch das kommt bei einer Neuauflage eines Traditionsfestes nicht wirklich unerwartet.

Unsere drei Tops:

  • Leandre (Bühne 32)
  • Eis Ali (Bühne 8)
  • Swoolish Garage (Bühne 3)

Text: Heike Schmidt 
Fotos: Tobi Wölki

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