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Das Gedächtnis der Wirtschaft

08. Mai 2024

Wie können Unternehmen ihre eigene Geschichte bewahren?

Das Niedersächsische Wirtschaftsarchiv zeigt es.

Knapp 1000 Regalmeter umfasst das Wirtschaftsgedächtnis Niedersachsens. Nach Ansicht der Experten ist das eine bescheidene Bilanz für den bedeutenden Wirtschafts standort. Das Niedersächsische Wirtschaftsarchiv (NWA) arbeitet nun am eigenen Auftritt und zeigt Unternehmen, wie sie ihre Geschichte bewahren können. Die IHK Hannover geht mit gutem Beispiel voran und bereitet die Übergabe ihrer historischen Unterlagen vor. 

Die IHK geht mit gutem Beispiel voran. Maike Bielfeldt setz sich für das Archiv ein. - Foto: IHK

Hannover, die Stadt mit Keks, Gummireifen, Mikrofon und Messe. Der Wirtschaftsstandort verfügt über namhafte Unternehmen und Marken, die nicht nur eine weltweite Bedeutung, sondern auch eine lange Tradition vorweisen können. Continental, Bahlsen, Sennheiser, die Deutsche Messe AG oder auch TUI sind traditionsreiche Unternehmen, die Hannover längst nicht nur wirtschaftlich beeinflussen, sondern auch Stadtbild und Stadtidentität prägen. Die Erfolgsgeschichten dahinter sind bemerkenswert, etwa im Fall der Conti, wo im letzten Drittel des für Pferdehufe begann.  

Welchen Einfluss hiesige Unternehmen und ihre jeweilige Geschichte auf die Außenwahrnehmung Hannovers haben, erlebt Maike Bielfeldt, Hauptgeschäftsführerin der IHK Hannover, regelmäßig auf ihren Delegationsreisen: „Wenn ich in der Welt unterwegs bin, erlebe ich, dass man Hannover schon allein aufgrund bedeutender Marken wie der Hannover Messe oder Continental kennt.“ 

Spurensuche mit Hindernissen

Wer sich jedoch auf die Suche nach den historischen Spuren hannoverscher Konzerne begibt, stößt mitunter schnell an Grenzen. Nur wenige Unternehmen leisten sich ein eigenes Archiv wie der Volkswagen-Konzern, wo jährlich Anfragen im fünfstelligen Bereich eingehen. In den meisten Fällen fristen die historischen Unterlagen ein trauriges Dasein in feuchten Kellern, geraten in Vergessenheit oder werden entsorgt. Insbesondere kleinere Unternehmen verkennen nach Ansicht von Maike Bielfeldt, wie wichtig die Archivierung der eigenen Entwicklungsgeschichte ist: „Im aktuellen Tagesgeschäft überwiegen andere Themen, da rückt die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte schnell in den Hintergrund. Wir benötigen ein neues Bewusstsein, damit uns nicht ein großer Teil der Wirtschaftsgeschichte verloren geht.“

Das Niedersächsische Wirtschaftsarchiv befindet sich in Wolfenbüttel. - Foto: Uwe Brodmann

Welche Folgen es hat, wenn historische Dokumente vernichtet werden, anstatt sie an kommunale Archive und somit in Expertenhand zu übergeben, verdeutlichen die Lücken in der niedersächsischen Wirtschaftsgeschichte. „Auch einst große Industriebereiche verschwinden naturgemäß, wenn man die Erinnerung nicht hochhält“, warnt Klaus Pohlmann, Chefredakteur des IHK-Magazins „Niedersächsische Wirtschaft“.  

In der Tat nimmt in Hannover das Wissen um die Bedeutung der Stadt als Wirtschaftsstandort ab, je stärker ehemals bedeutende Betriebe aus dem kollektiven Gedächtnis schwinden. Unternehmen wie Hanomag, Pelikan oder Sprengel, die eng mit der Stadt verbunden waren, prägen zwar bis heute das Stadtbild (Beispiel Pelikanviertel), sind aber in der jüngeren Generation kaum noch präsent. 

Gruppenbild mit Schaffnerinnen der Üstra aus dem Kriegsjahr 1915, als die meisten Männer an der Front kämpften. - Foto: NWA

Ein Archiv für die Wirtschaft

Die IHK Hannover widmet der Bedeutung von UnternehAufmerksamkeit. Mit Veranstaltungen und regelmäßigen Beiträgen in der „Niedersächsischen Wirtschaft“ wird Aufklärungsarbeit geleistet, um bei Unternehmen vorhandene Hemmschwellen im Umgang mit der eigenen Geschichte abzubauen. 

Bei diesen Maßnahmen geht es auch darum, auf eine Einrichtung aufmerksam zu machen, die es in anderen Bundesländern bereits deutlich länger gibt: Das Niedersächsische Wirtschaftsarchiv, das sich im Gebäude der Wolfenbütteler Abteilung des Niedersächsischen Landesarchivs befindet, wurde erst im Jahr 2005 gegründet. Geschichte des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs in Köln dagegen reicht rund einhundert Jahre weiter, nämlich bis in das Jahr 1906 zurück. 

Bei dem NWA handelt es sich um eine Stiftung bürgerlichen Rechts, die vom Land Niedersachsen, der NordLB, der Öffentlichen Versicherung Braunschweig und der IHK Braunschweig getragen wird. Das NWA hat es sich zur Aufgabe gemacht, das historisch wertvolle Schriftgut der Wirtschaft des Landes zu sichern, zu erschließen und für Forschungszwecke verfügbar zu machen.  

Tradition hat nur, wer sie kennt

Die Frage, warum es sich für Unternehmen lohnt, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, beantworten Historiker jedoch längst nicht nur mit wissenschaftwieder auf den Nutzen der Geschichte für die Image- und Öffentlichkeitsarbeit, das sogenannte „History MarkeHochkonjunktur, wie ein Blick in die Bücherregale, Kinosäle und Streaming-Angebote beweist. Die Vermarktung der eigenen Unternehmensgeschichte bedient allerdings nicht nur den Nostalgie-Effekt, sondern kann auch dazu dienen, Vertrauen, Glaubwürdigkeit, ein hohes Maß an Qualitätsbewusstsein und Alleinstellungsmerkmale zu hunderte, und zahlreiche Herausforderungen überstanden hat, hebt sich zwangsläufig von der Masse ab. 

Nach der Beobachtung von Klaus Pohlmann beschäftigen sich die meisten Unternehmen spätestens im Zuge eines Geschichte – und beginnen dann mit der hektischen Suche nach Unterlagen. 

Alte Firmenreklame aus Hannover. - Foto: NWA

Erinnerung an unternehmerische Leistungen bewahren

Die IHK Hannover geht mit gutem Beispiel voran und hat eigenen Unterlagen für die Abgabe an das Niedersächsische Wirtschaftsarchiv vorzubereiten. Etliche Jahresbände der „Niedersächsischen Wirtschaft“ sind bereits nach Wolfenbüttel umgesiedelt und befinden sich dort in meter an Akten, darunter die Bestände der Üstra Verkehrsbetriebe, Salzgitter AG, Porzellanmanufaktur Fürstenberg, Börsen-AG Hannover, Norddeutsche Landesbank, Nordzucker AG und der Unternehmerverbände Niedersachsen. In Kürze werden überdies die Archivalien der Preussag AG (heute TUI) und damit bedeutende Dokumente der Montanindustrie einen sicheren Aufbewahrungsort im Wirtschaftsarchiv finden. 

Für den Leiter des Niedersächsischen Wirtschaftsarchivs, Dr. Brage Bei der Wieden, geht es darum, die Bedeutung der Wirtschaft für unsere Gesellschaft zu dokumentieren: „Wir wollen die Erinnerung an unternehmerische Leistungen bewahren und Material für die historische Forschung bereitstellen. Aber auch: eine Sammlung von Erfahrungen bieten, die Überlegungen anregen oder von direktem Nutzen sein können.“ Mit einem neuen Webauftritt soll dieser Nutzen für Unternehmen nun noch besser vermittelt werden, damit das Gedächtnis der niedersächsischen Wirtschaft wachsen kann. Maike Bielfeldt und Klaus Pohlmann von der IHK Hannover sind davon überzeugt, dass der Wirtschaftsstandort auch heute viel Kraft hat. Das aus der Geschichte heraus gewachsene Know-how sei dabei eine wichtige Basis, auf der mit Blick auf die Zukunft aufgebaut werden könne.  

Dr. Brage Bei der Wieden leitet das Niedersächsische Wirtschaftsarchiv. - Foto: Klaus Pohlmann

Text: Vanessa Erstmann, 

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