Seit einem halben Jahrhundert ist das Teestübchen aus Hannovers Altstadt nicht mehr wegzudenken. Der Gründer Günther Bohnecke
und seine Tochter und Nachfolgerin Josephine scheinen
nicht nur das Rezept für die vielleicht besten Tees und Kuchen der
Stadt zu kennen – sondern auch für den Erfolg.
Text: Helene Kilb, Fotos: shino photography
In einem silberfarbenen Teesieb mit verschnörkelten Griffen liegt ein Häufchen getrockneter Weiß- und Grünteeblätter. Dazwischen leuchten blau einige Kornblumenblüten neben hellbrauner Ginsengwurzel sowie roten und schwarzen Johannisbeeren. Nach einigen Minuten Ziehzeit färbt sich das heiße Wasser unter dem Teesieb gelblich. Fertig ist der Jubiläumstee, den die Familie Bohnecke anlässlich des 50-jährigen Bestehens ihres Teestübchens kreiert hat. Mit seinem würzig-süßen Aroma beweist er wieder einmal: Hier sind echte Teeliebhaber und -kenner am Werk.
Vom Museumsstübchen zum Teestübchen
Im Jahr 1968 eröffnete Bohnecke gegenüber dem Historischen Museum das „Museumsstübchen“. Schon bald drängten die Hannoveraner scharenweise in die winzige Kneipe, in der Bohnecke selbst das Bier zapfte. Für Musik sorgten die neuesten, extra aus Amsterdam importierten Schallplatten. Irgendwann kreuzte regelmäßig schon mittags ein Friseur im Museumsstübchen auf. „Er stand da und trank und trank“, erzählt Bohnecke, und als er fragte, warum er nicht im Laden sei, antwortete der Friseur, dass er keine Lust mehr auf seinen Job habe. „Dann vermiete mir den Laden doch“, schlug Bohnecke vor.
„Noch heute sehe ich die beiden Waschbecken vor mir, die vorne in dem Laden standen, und die komische Tapete an den Wänden“, erzählt der Teestübchen-Gründer und lacht. „Ich wusste erst gar nicht, was ich da reinmachen soll.“ Doch zu seinem Glück war es 1968 – ein „Zauberjahr“, wie er es nennt. In diesem Jahr fielen in Hannover viele historische Gebäude der Abrissbirne zum Opfer. Aus solchen Gebäuden rettete Bohnecke, was ihm gefiel. „Ohne eine Idee oder einen Plan“, sagt er: etwa die gusseisernen Gitter und Säulen aus der ehemaligen Königlichen Eisenbahndirektion am Thielenplatz. Oder die Holzvertäfelungen aus dem Direktorenzimmer der Landschaftlichen Brandkasse am Aegi und einen neugotischen Eichenschrank aus der Kolonial- und Materialwarenhandlung Eichhorn in der Steintorstraße. Zwei Jahre lang sammelte Bohnecke, stattete damit die Räumlichkeiten aus und befand, dass die Möblierung am besten für ein Café geeignet war.
Es scheint, als hätte der Gründer des Teestübchens, Günther Bohnecke, so einiges richtig gemacht: Die ganze Woche über steht nachmittags zur Kaffeezeit eine kleine Menschenschlange vor dem Café. Auch an grauen Tagen sind vor der mit Wildem Wein berankten Fassade viele Tische belegt. Bohneckes Geschichte liest sich wie eine norddeutsche Version des American Dreams: 1945 als Nachkriegskind in Hannover geboren, der Vater verstorben, die Mutter auf sich alleine gestellt. Nach seiner Lehre als Schaufenstergestalter zog er mit Anfang 20 in die Altstadt. Er machte sich unter der eigens erdachten Berufsbezeichnung „Ideenkaufmann“ selbstständig. „Die Menschen konnten mich ansprechen und mir sagen, ich brauche für dies oder das eine Idee“, erzählt Günther Bohnecke. Auf diese Weise organisierte er Modenschauen, Messeauftritte und Mottopartys.
50 Jahre Tee und Kuchen: Geschichte einer Institution
Am 13. November 1970 öffnete das Teestübchen erstmals seine Türen. Schon bald kamen Menschen aus Hannover und aller Welt in das Café. Im Schummerlicht der grünen Pendelleuchten genießen sie eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen. An der Innenausstattung hat sich bis heute nichts geändert. Mit ihren blumengemusterten Polsterbänken und den hohen Tischen und Hockern vor der Theke wirkt Sie wie eine Mischung aus Bar und Café. Stehengeblieben sind Günther Bohnecke und das Teestübchen dennoch nie – was neben Bohneckes Händchen für den Zeitgeist sicherlich auch einen wesentlichen Teil zu seinem Erfolg beiträgt.
Sechs Jahre nach der Eröffnung habe ich meine Mutter vom Rentnerdasein befreit“, erzählt Bohnecke schmunzelnd. „Im Teestübchen ist sie richtig aufgeblüht, war ständig präsent und hat mir den Rücken freigehalten.“ Noch heute hängt im Teestübchen ein Bild von Anna Bohnecke, darunter der von Stammgästen und Presse liebevoll erdachte Titel „Königin der Altstadt“.
Eine Familie voller Ideen
Ihr Sohn widmete sich derweil zahlreichen anderen Aktivitäten: „Ich sprudelte schon immer vor Ideen“, sagt Bohnecke. Er gründete zwei Fashion-Stores: „Jäger und Sammler“ und zusammen mit seiner damaligen französischen Freundin das gleichnamige Geschäft „Marie Jo“. Für die Boutique fuhr er regelmäßig nach Paris und kaufte Mode, die man in Hannover noch nie gesehen hatte. Nebenbei sammelte er Kunstwerke und sorgte mit seinem extra gegründeten Ein-Mann-Verein „Freunde der Nanas“ dafür, dass Niki de Saint Phalles Figuren in Hannover bleiben durften.
Dass das Teestübchen auch nach Anna Bohneckes Tod 2012 noch ein reines Familienunternehmen ist, ist genau genommen einem glücklichen Zufall zu verdanken: Seine heutige Frau, damals 18 Jahre alt, sah Bohnecke irgendwann täglich mit dem Mofa am Teestübchen vorbeifahren, auf dem Weg zu ihrem Praktikum in einer Hannoveraner Werbeagentur. Auf die Liebe auf den ersten Blick folgten einige Jahre später die Hochzeit und zwei Töchter. Von den Töchtern zog eine später nach Hamburg, die andere übernahm das Teestübchen: Josephine Bohnecke.
Das Teestübchen in zweiter Generation
„Für mich war das schon immer ein Kindheitstraum“, erzählt die 35-Jährige. Das Backen lernte sie von klein auf bei ihrer Großmutter. Direkt nach dem Abitur folgte bei ihr eine Hotelfach-Ausbildung. Parallel dazu arbeitete sie bereits im Teestübchen, ehe sie komplett einstieg. Genau wie ihr Vater mit dem Anspruch, sich immer wieder etwas Neues einfallen zu lassen – auch wenn sie sich dabei so wie ihre Mutter eher im Hintergrund hält.
„Hier ruht sich keiner aus“, sagt Josephine Bohnecke, „selbst aus dem Urlaub nehmen wir neue Inspirationen mit.“ So stehen im Teestübchen, mittlerweile rund 40 Teesorten und je nach Saison fast 10 Sorten Kuchen plus weiteres Gebäck auf der Karte. Gestartet ist das Teestübchen einst mit acht Tee- und den zwei Kuchensorten Käse und Apfel. Die streng geheimen Rezepte für all diese Köstlichkeiten haben Josephine Bohnecke und ihre Mutter Ute ausgetüftelt. Auch das Cake-away-Fenster, um die Gäste in Corona-Zeiten mit Kuchen zu versorgen, sind den beiden Frauen zu verdanken.
Zukunftspläne für das Teestübchen
Die neueste Idee zur Feier des 50-jährigen Teestübchen-Bestehens, abgesehen vom Jubiläumstee: erweiterte Räumlichkeiten. Wie viele Ideen ist sie im Bohneck’schen Familienrat entstanden – und aus der Notwendigkeit, sich in Zeiten der Abstandspflicht etwas einfallen zu lassen. Der Laden nebenan stand seit Anfang des Jahres leer. Seit Ende Oktober bietet dieser als „T-Kantine“ 20 neue Plätze für alle Teestübchen-Fans. Allerdings in ungewohntem, modernem Look mit Betonbänken und Neon-Kunstobjekten.
Günther Bohnecke scheint indes bereit, das Zepter an seine Tochter abzugeben: Der „Spieltrieb“, wie er es nennt sei zwar noch da. „Aber ich merke, dass meine Tochter genial ist, und habe gewaltigen Respekt vor ihr. Sie ist sehr detailverliebt und akribisch – das entspricht genau meiner Mentalität.“ Er konzentriere sich dafür umso mehr auf seine Familie. Zum Beispiel seine Enkel, die möglicherweise dafür sorgen, dass das Teestübchen irgendwann sein 100-jähriges Jubiläum feiern kann: Zumindest spiele ihre vierjährige Tochter Lotta bereits fleißig in dem alten Kaufmannsladen ihrer Mutter Teestübchen, serviere Tee und backe Kuchen.
Teestübchen Hannover
Ballhofplatz 2
30159 Hannover
https://teestuebchen-hannover.de/