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Die Natur – ein Wunderwerk für Körper und Seele

13. April 2021

Zahlreiche Studien, Trends wie das Waldbaden und eigene Erfahrungen zeigen allesamt, dass eine natürliche Umgebung das körperliche und seelische Wohlbefinden steigert. Aber wie genau macht die Natur das – und wie kann sich jeder Einzelne diesen Effekt auch daheim zunutze machen? Eine Hannoveraner Umweltexpertin gibt Auskunft.
Text: Helene Kilb, Titelbild: stock.adobe.com

Einmal in der Woche gönne sie sich einen kompletten Tag, erzählt Bartlett Warren-Kretzschmar, einen Tag, an dem sie das Smartphone ausschalte, ihre Outdoorjacke überstreife, ihre Wanderschuhe schnüre und losziehe in den Harz. Sie brauche das, sagt Warren-Kretschmar, die am Institut für Umweltplanung an der Hannoveraner Leibniz-Universität arbeitet, auch wenn so ein kompletter Tag in der Natur natürlich ein Luxus sei. Sie ist nicht die Einzige, der es so geht: In der Natur fühlen sich die meisten Menschen wohl. Neben dem subjektiven Empfinden eines jeden einzelnen zeigen auch Studien, dass die Natur einen messbaren Effekt auf das seelische und körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit haben. Doch warum genau ist das so?
„Die Natur schafft eine psychologische Distanz vom Alltag“, sagt Warren-Kretzschmar. Wichtig sei es dabei, dass man sich wirklich im Grünen wähne, erklärt sie. Ein berühmtes Beispiel dafür sei der Central Park in New York. Dort fällt Sonnenlicht durch hohe Bäume, die Luft ist sauber und die Fußgängerwege führen fernab von den Verkehrsstraßen durch die Landschaft. Auf diese Weise, entsteht das Gefühl, dass man sich gerade wirklich inmitten von unberührter Natur befindet – wie Warren-Ketzschmar selbst bestätigen kann. Denn sie ist selbst in New York City geboren und hat lange dort gelebt, ehe sie nach Deutschland kam.

Foto: Bartlett Warren-Kretschmer Privat

Landschaften, die berühren

Darüber hinaus spielt die Ästhetik eine Rolle – also, dass wir eine Landschaft als schön empfinden. Das hat jedoch nicht nur mit der Landschaft an sich zu tun, sondern auch mit den ganz individuellen Prägungen und Erfahrungen des Betrachters. „Zum Beispiel ein Wald kann für manche Menschen einengend sein“, erklärt Warren-Kretschmar, „während er für andere eine Landschaft darstellt, die ihnen bereits seit Kindheitstagen vertraut ist und mit dem sie ein Gefühl von Sicherheit, Zugehörigkeit und Stabilität verbinden.“
„Heimatlandschaft“ nennt die Hannoveraner Umwelt-Expertin eine solche Landschaft. Sie vermutet, dass das Bild der ganz persönlichen Heimatlandschaft ihre Ursprünge nicht nur in den eigenen Kindheitserfahrungen haben könnte, sondern gewissermaßen in den Genen und der jeweiligen Kultur: So erzählt sie von einem Workshop, in dem sie Fotos von verschiedenen Landschaften auslegte und ihre Workshop-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen bat, intuitiv ein Bild auszuwählen, zu dem sie sich hingezogen fühlten. „Ein Teilnehmer wählte direkt ein Bild von einer schlesischen Landschaft aus“, erzählt sie, „obwohl er nie da gewesen war, hatte er dieses Bild von seiner Heimatlandschaft wohl durch seine Vorfahren und Erzählungen seiner Familie gewissermaßen in sich aufgesogen.“ Auch falle es ihr als gebürtiger Amerikanerin immer wieder auf, dass im deutschen Kulturkreis viele Menschen automatisch einen Wald als ihre Heimatlandschaft empfänden.

Foto: stock.adobe.com

Konzentration auf das Wesentliche

Was die Natur noch bietet, ist Bartlett Warren-Kretschmar zufolge die Möglichkeit, wieder in Kontakt mit sich selbst zu treten – ein Bedürfnis, das jeder Mensch bewusst oder unbewusst in sich trägt. Denn während des Alltags warten um einen herum allerlei Dinge, die erledigt werden wollen, das Telefon klingelt, daneben checken wir eben noch mal schnell die Social-Media-Kanäle, um ja nichts zu verpassen und schauen uns abends gemütlich eine Serie an. Insbesondere technische Geräte wie der Computer, der Fernseher oder das Smartphone sind dabei willkommene Helfer, um sich von einer Sache besonders gut abzulenken: nämlich sich selbst. „Umgeben von Natur fällt es dagegen leicht, sich von der äußeren Hektik zu distanzieren“, sagt die Expertin vom Institut für Umweltplanung. Besonders gut funktioniert dieses „Zu-sich-selbst-finden“ ihr zufolge an einem ganz persönlichen grünen Lieblingsort, einem Ort,  den man alleine aufsucht und der „ein bisschen geheim“ sein sollte.
Auf diese Weise werde die Natur zu einem spirituellen Ort, sagt Warren-Kretschmar – also ein Ort, an dem man sich der Ganzheitlichkeit der Dinge bewusst wird. Schließlich befindet sich der Mensch in einer Art Zwiespalt, der sich bereits in der Definition des Worts „Natur“ offenbart.  Einerseits steht der Begriff für alles, was sich ohne Zutun des Menschen entwickelt. Als Gegenteil der Natur ist die Kultur genannt, also alles, was der Mensch an Räumen, Einrichtungen, Produkten oder sonstigen Dingen geschaffen hat. Eine andere Definition des Begriffs „Natur“ schließt den Menschen jedoch mit ein – als Teil der großen Gesamtheit aller Pflanzen, Tiere, Gewässer, Gesteine und was sich sonst noch so auf der Erdoberfläche tummelt. In Zeiten, in denen wir selbst bestimmen, um wie viel Uhr es dunkel wird, wie warm unsere Umgebung sein soll, welchen Feuchtigkeitsgehalt unsere Luft hat oder wann unsere Blumen zu blühen haben,  scheint der Mensch recht gut ohne die Natur zurechtzukommen. Aber das schon vor tausenden von Jahren geknüpfte Band zwischen Natur und Mensch scheint trotz aller Technisierung weiter zu bestehen.

Die Lösung für zahlreiche Bedürfnisse

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Natur die meisten aktuell verspürten Bedürfnisse befriedigt: „Wer sich zum Beispiel während der Arbeit besser konzentrieren will, kann sich durch einen kurzen Spaziergang regenerieren“, sagt Bartlett Warren-Kretzschmar. „Ein längerer Aufenthalt im Grünen wirkt dagegen wie ein Kurzurlaub.“ Wer einmal etwas Neues – gewissermaßen ein kleines Abenteuer – erleben will, begibt sich einfach an einen Natur-Ort, an dem er noch nie zuvor gewesen ist. Um auf neue Ideen zu kommen, hilft ein Ausflug ans Wasser: „Etwa Fluss-Spaziergänge empfinden viele Menschen als anregend“, sagt Warren-Kretzschmar, „während das Meer oder ein See den Gedanken eine gewisse Weite gibt. Auch für andere Bedürfnisse, etwa nach Ruhe, nach einer schönen Aussicht, nach einem Platz zum Sporteln oder Turteln, findet sich immer ein Ort im Grünen.

Foto: stock.adobe.com

Sechs Tipps, um sich die heilsamen Eigenschaften der Natur in den Alltag zu holen:

Auf nach draußen

Ein kleiner Spaziergang wirkt wahre Wunder und sollte Teil der täglichen Routine sein – für den Anfang oder unter der Woche reicht eine kleine Runde. Zur Not hilft aber auch eine virtuelle Auszeit mithilfe einer VR-Brille, wie Anfang des Jahres eine Studie der Universität Hamburg zeigte. Das senkt nachweislich das Stresslevel und hebt die Laune.

Eine Dosis Frischluft, bitte

Das Fenster öffnen, sich ein paar Minuten die Sonne ins Gesicht scheinen lassen und dabei tief ein- und ausatmen: Das hilft, den Kopf frei zu bekommen und kurz Abstand vom Alltag zu nehmen. Dabei am besten die Augen schließen, um die Umgebung bewusster und mit anderen Sinnesorganen wie Ohren, Haut und Geruchssinn wahrzunehmen.

Mehr Natur im (Arbeits-)Raum

Zimmerpflanzen im Zuhause und am Arbeitsplatz steigern Produktivität und Wohlbefinden. Doch auch mit Fotos lässt sich ein Effekt erzielen: Drei verschiedene Studien bewiesen zum Beispiel, dass Tierfotos zu einer positiveren Grundstimmung führen, Fotos von Familienmitgliedern einen ethischer handeln lassen und Naturfotos Stress reduzieren. Um das positive Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit nach Hause oder ins Büro zu holen, am besten Bilder der ganz persönlichen Heimatlandschaft aufhängen.

Zurück zum eigenen Ich

Zugegeben: In den eigenen vier Wänden fällt es schwerer als draußen, sich nicht vom Handy, der endlosen To-do-Liste und anderen Dingen ablenken zu lassen. Meditative Übungen helfen, wieder in Kontakt mit sich selbst zu treten. Dafür einfach hinsetzen oder -legen, versuchen, alle To-Dos aus dem Kopf zu schieben und stattdessen die Gedanken fließen zu lassen, ohne sie weiter zu verfolgen. Dabei auf den eigenen Atem achten und bewusst in die einzelnen Teile seines Körpers hineinfühlen.

Abschalten durch Schreiben

Ein Spaziergang hilft sicher am besten, die Gedanken zu sortieren und sich über seinen aktuellen Gemütszustand, seine Wünsche und Bedürfnisse klar zu werden. Andernfalls tun es auch Papier und Stift. Dabei sich selbst fragen, wie es einem eigentlich geht, was einem gerade nicht so passt und was man tun könnte, um seine Bedürfnisse besser zu erfüllen – dann nicht lange nachdenken, sondern die Antworten zügig und ohne sie zu bewerten aufschreiben.

Maritimes Naturerlebnis

Ein Aquarium ist nicht nur dekorativ, sondern sorgt auch für mehr Wohlbefinden und Gesundheit. Das legt zumindest eine Studie der Plymouth University nahe. Bei der Studie ließen die Forscher ihre Probanden die Fische vor einem 550.000-Liter-Tank des National Marine Aquarium in Plymouth beobachten. Sie stellten fest, dass sich Blutdruck senkte und der Herzschlag verlangsamte. Nun fällt ein Aquarium für den Hausgebrauch meist deutlich kleiner aus – hilft aber sicher trotzdem beim Entspannen.

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