Jahrhundertelang galt die Astrologie als eine anerkannte Wissenschaft, heute begegnet sie einem vorzugsweise in Jahres-, Geburts- oder Partnerschaftshoroskopen und dient vielen Menschen eher zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib. Das hat unter anderem mit der derzeitigen Sicht auf die Welt, mit unserem Kulturkreis und oft unrealistischen Erwartungen an ein Horoskop zu tun.
Text: Helene Kilb Foto: Lorena Kirste
Um etwas über seine Zukunft, den perfekten Partner oder die eigene Persönlichkeit zu erfahren, genügt es heutzutage, bestimmte Zeitschriften aufzuschlagen oder eine entsprechendes Webseite zu besuchen. Beliebt sind Charakteranalysen der zwölf Tierkreiszeichen und verschiedenste Horoskope. Eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov zeigte kürzlich: Etwa jeder und jede Zweite in Deutschland konsultiert in unregelmäßigen Zeitabständen ein Horoskop, mehr als jeder Zehnte mindestens einmal im Monat. Von denen, die Horoskope lesen, glaubten aber nur drei von fünf Befragten daran. Somit dient die Sterndeutung heute mehr oder weniger zum Zeitvertreib, der unterhaltsam, aber nicht sonderlich ernst zu nehmend scheint.
Für den Religionswissenschaftler Dr. Gustav-Adolf Schoener handelt es sich bei den Zeitungshoroskopen aber um eine „Banalisierung einer ursprünglich und auch heute noch ernsthaft begründeten Menschen- und Weltdeutung“. Schoener beschäftigte sich beruflich wie privat schon seit Langem mit dem Thema Astrologie. „Die Astrologie hat als Teil der europäischen Religionsgeschichte maßgeblich Jahrhunderte des wissenschaftlichen Denkens mitbestimmt“, sagt er. Von den Anfängen in Mesopotamien und Altägypten gingen Astrologie und Astronomie jahrhundertelang Hand in Hand, ab dem 18. Jahrhundert trennten sich ihre Wege. „Trotzdem befassten sich zahlreiche Protagonisten der modernen Naturwissenschaften wie Kopernikus, Kepler, Galilei oder Newton zudem weiterhin intensiv mit Astrologie“, sagt Schoener. Entscheidend für den Bedeutungsverlust der Astrologie ist ihm zufolge daher nicht die Konkurrenz durch die Astronomie – sondern eher der Wandel des allgemeinen Weltbilds.
Eine neue Sicht auf die Welt
„Von der Antike an bis ins 17. Jahrhundert hinein verstand man die ganze Natur als belebt und von göttlichen Kräften erfüllt“, sagt Schoener. „Der Wendepunkt trat ein, als sich die Naturwissenschaften von allen Dingen distanzierten, die Naturprozesse mit magischen, mythischen, göttlichen Kräften erklärten“, sagt Schoener. Als Beispiel nennt er den Mathematiker Pierre-Simon de Laplace: Dieser entwarf zusammen mit Kant ein physikalisches Modell, wiedas Planetensystem entstanden sein müsse, und stellte es Napoleon vor. Auf Napoleons Frage, wo in diesem Modell Gott vorkomme, soll Laplace geantwortet haben: „Ich brauche die Hypothese Gott nicht mehr.“
Die Folge: „Zwar existierte die Astrologie weiter – allerdings nicht unter Naturwissenschaftlern, die nun eine reinmaterialistische Sicht auf die Natur und den Kosmos hatten“, erklärt Schoener. „Erst ab etwa 1890 gab es eine Renaissance der Astrologie durch die Theosophie.“ Dieser liegt die Annahme zugrunde, dass alle Dinge Teil eines großen geistigen Ganzen sind: der Kosmos, die Planeten, die Natur, jeder Mensch. „Die Theosophie führte dazu, dass die Astrologie wieder boomte“, sagt Religionswissenschaftler Schoener. Zum Geschäftsmodell wurde sie dank des britischen Theosophen Alan Leo, der als „Vater der modernen Zeitungs-Astrologie“ gelten kann. Schoener sagt: „Er hat die Astrologie populär gemacht. In seiner Zeitschrift Astrologer’s Magazine bot er für seine Leser kurze Persönlichkeitsmerkmale der Tierkreiszeichen in Bezug auf die Sonnen- und Mondposition an. Diese dienten als Anreiz dafür, dass mehr und mehr Klienten seine Praxis aufsuchten, um dort eine detaillierte Charakteranalyse zu erhalten.“
Unrealistische Erwartungen und begrenzte Aussagekraft
Gut hundert Jahre später sind vor allem Zeitungs- und Zeitschriftenhoroskope bekannt. Als Basis dient meist das Tierkreiszeichen. Da es nur zwölf Tierkreiszeichen gibt, können die Aussagen hier nur sehr allgemein sein. Ein detailliertes Horoskop bezieht neben dem Geburtsdatum auch die Uhrzeit und den Ort der Geburt ein, sodass alle Planeten, der Auf- und Untergang, die Himmelsmitte und -tiefe berücksichtigt werden. In einer kreisförmigen Skizze, einem sogenannten Messbild, sind sämtliche Planetenstände zum Zeitpunkt der Geburt vom Geburtsort aus gesehen gradgenau eingetragen. Aus dem Beziehungsgeflecht aller Faktoren lassen sich dann zentrale Wesenszüge einer Person herauslesen. Aber auch hier sind die Aussagen beschränkt: „Erkenntnisse über die Zukunft, den Status oder das Milieu, in dem jemand aufwächst, sind nicht möglich“, sagt Schoener.
Inwiefern eine Deutung zutrifft, lässt sich statistisch nicht belegen: „Ernstzunehmende empirische Untersuchungen gibt es sehr wenige“, sagt Schoener. „Die wohl bekannteste hat der französische Psychologe und Statistiker Michel Gauquelin gemeinsam mit seiner Frau Françoise Gauquelin vorgelegt. Er erstellte Geburtshoroskope unter anderem von 2.000 herausragenden Spitzensportlern und stellte fest, dass die Position des Planeten Mars, der symbolisch für sportliche Aktivitäten steht, an zwei Punkten des Horoskops signifikant über dem statistischen Durchschnitt lag. Aber nicht in jedem Fall trat dieser ‚Mars-Effekt‘ ein, sodass die Planetenposition nicht für jeden einzelnen Sportler eine Aussagekraft hatte – für eine statistische Mehrheit aber eben schon.“ Schoener schlussfolgert daher: „Letztlich kann man nur subjektiv urteilen, ob man den Interpretationen eines Horoskops eine zutreffende Bedeutung beimisst oder sie als willkürlich einschätzt.“
Wie diese Entscheidung ausfällt, ist zum Teil kulturell bedingt. Der Religionswissenschaftler Schoener sagt: „Die Akzeptanz der Astrologie verläuft parallel dazu, wie akzeptiert spirituelle Weltbilder sind und inwiefern sich das in der Mentalität einer Gesellschaft widerspiegelt.“ In der Schweiz, in England und Frankreich sei die Akzeptanz eher groß. „Auf weniger Akzeptanz stößtsie dagegen in Deutschland und in skandinavischen Ländern“, sagt Schoener. „Das hat viel mit der öffentlichen Meinung und der Darstellung in den Medien zu tun, die in Deutschland eher kritisch ist.“ Das Thema Astrologie komme selten, und wenn meist nur als Unterhaltung zur Sprache. „Doch das ist zu oberflächlich.“
Um ein Urteil fällen zu können, müsse man sich zunächst sehr genau mit astrologischen Grundlagen befassen. Schoener selbst ist sich nach Jahrzehnten, in denen er sich damit beschäftigt hat, sicher: „Ich persönlich denke, dass sich mithilfe der Astrologie charakterliche Grundzüge bei einem Menschen erkennen lassen.“ Er habe bereits bei vielen Menschen im Familien- und Freundeskreis versucht herauszufinden, ob sich deren Persönlichkeit in einem Horoskop widerspiegele. „Das ist in der Tat so“, sagt Schoener, „oft beschränkt sich das aber nur auf sehr markante Charakterzüge.
Allerdings trat dieses so häufig auf, dass das für mich nicht mehr unter Zufall fällt.“ Noch fehle ihm eine theoretische Begründung für die Aussagekraft der Astrologie – aber er hat die Hoffnung, dass die modernen Naturwissenschaften irgendwann dahinter kommen werden.
Der Religionswissenschaftler studierte Theologie in Berlin sowie Philosophie und Geschichte in Hannover und lehrte dort viele Jahre am Institut für Religionswissenschaft, später auch alte Sprachen am Institut für Theologie der Leibniz Universität Hannover. Der 67-Jährige veröffentlichte bereits mehrere Untersuchungen über die Anfänge, die Geschichte und die Bedeutung der Astrologie in der Gegenwart aus religionswissenschaftlicher Sicht. Darüber hinaus beschäftigt Schoener sich auch privat schon seit Langem mit der Astrologie. Er selbst ist Schütze-Geborener.
Kurz erklärt: Wie Sternbilder und Tierkreiszeichen zusammenhängen
„Die Zwölfzahl der Tierkreiszeichen ist älter als die Zwölfzahl der Sternbilder“, sagt Dr. Gustav-Adolf Schoener. „Man teilte zunächst die Ekliptik – also die gedachte Bahn der Sonne um die Erde – in zwölf Abschnitte zu je 30 Grad. Erst danach suchte man zwölf Sternbilder, die die Ekliptik schneiden und benannte die einzelnen Abschnitte danach.“ Den Anfang für die zwölf „gedachten“ Abschnitte des Tierkreises bildet der Frühlingspunkt. Die sogenannte Präzession, eine Taumelbewegung der Erde um die eigene Achse wie ein Kreisel, bewirkt eine Verschiebung des Frühlingspunktes. Damit verschieben sich von der Erde aus gesehen auch die Sternbilder nach und nach. Tierkreiszeichen und Sternbilder sind nun räumlich nicht mehr aufeinander bezogen. „Die Astrologen haben das schon früh erkannt und nutzen das von den Sternbildern unabhängige System der Tierkreiszeichen“, sagt Schöner – also ein System, das sich nicht an den ständig wandernden Sternenkonstellationen, sondern stattdessen an der Position der Sonne und ihren jeweiligen Wendepunkten orientiert.
Einblicke in die Astrologie
Wer selbst einmal in die seriöse Seite der Astrologie hineinschnuppern möchte, dem empfiehlt Schoener ein Besuch auf der Webseite des Deutschen Astrologenverbands. Dieser bemüht sich sehr um ein seriöses und wissenschaftliches Image, bietet unter anderem eine professionelle Astrologen-Berufsausbildung an, zu der ein ethisch verpflichtendes Berufsgelöbnis gehört. Weiterhin werden regelmäßig Beiträge von verschiedenen Experten und Expertinnen veröffentlicht.