Hier ist alles Gold, was glänzt: Manches ist eher kühl, anderes hat einen zarten Roséton, daneben schimmert ein warmer Goldton – in der Niessing Manufaktur gibt es kaum einen Goldton, den es nicht gibt. 14 unterschiedliche Goldlegierungen und Platin haben die Kunden zur Auswahl. Hier werden sie zu exklusiven Schmuckstücken verarbeitet, die später im Store in Hannover den Kunden übergeben werden. Und hier scheint sogar an trüben Tagen durch den goldenen Glanz immer ein wenig die Sonne.
Handgefertigte Unikate
Es ist ein eher farbloser Tag an diesem Morgen in Vreden. In der kleinen Stadt nahe der holländischen Grenze hängt die Feuchtigkeit wie Sprühnebel zwischen den Wohnhäusern. Durch eine gepflasterte Wohnstraße führt das Navigationsgerät zum Butenwall. Hier, in einer alten Villa lebte einst die Familie, die das Unternehmen Niessing vor 150 Jahren gründete. Hier ist noch immer die Manufaktur des Schmuckherstellers, der seine Karriere einst mit der Fertigung von Nonnenringen und Devotionalien begann und später Spezialist für Trauringe wurde.
Noch heute sind Niessing-Ringe etwas ganz Besonderes. Durch ein spezielles Herstellungsverfahren können sie bedenkenlos geweitet und gestaucht werden, so dass sie wirklich ein Leben lang getragen werden können. Damit werden sie auch zu einem kleinen, aber sehr wertvollen Symbol für ein großartiges Versprechen: Liebe, ein Leben lang. „Das ist uns auch besonders wichtig“, erklärt Rudolf Peter Scheben. Er ist CEO der Niessing Stores Europe. Jedes Schmuckstück ist nämlich nicht nur ein handgefertigtes Unikat. Es soll auch eine Geschichte erzählen. Wobei die Liebesgeschichten dem Unternehmen, das neben der Punze mit dem Goldanteil auch immer ein kleines Herz mit Pfeil setzt, natürlich die wichtigsten sind.
Einblicke in die Schmuckherstellung
Wir treffen Rudolf Scheben im ehemalige Gesindehaus. Dort, wo einst Kindermädchen und Gärtner der Unternehmerfamilie wohnten, ist jetzt die Niessing Schmuck-Kooperation beheimatet. Hier gibt es auch einen der alten Karteikartenkästen, in denen alle Schmuckstücke mit Größe und Fertigung verzeichnet sind. Selbstverständlich wird „drüben“, im preisgekrönten 60er Jahre-Bau, der im Bauhaus-Stil errichtet wurde, nicht mehr unbedingt mit Karteikarten gearbeitet. Dennoch ist noch Vieles ganz so wie einst, als die Manufaktur gegründet wurde. Über den Hof geht es in den Neubau. Wer hinein möchte, muss klingeln. Dann öffnet sich die erste Tür. Eine zweite gibt danach den Weg frei in einen modernen Ausstellungsraum, in dem alles zu sehen ist, was bei Niessing gefertigt wird und wurde. In den Vitrinen glitzert und glänzt es. Der Schmuck ist hier die Show. In einem Nebenraum mit zwei Schreibtischen beginnt die Geschichte eines jeden Niessing Ringes – beim Materialeinkauf.
Ein Blick in die Schmuckentwicklung bei Niessing
Hans Verwohlt geht voran. Der Goldschmiedemeister ist seit 40 Jahren in dem Unternehmen. Er leitet inzwischen die Entwicklungsabteilung bei Niessing. Es gibt wohl keinen der 175 Mitarbeiter in der Manufaktur, den er nicht kennt. Auf dem Schreibtisch stehen ein blauer und ein roter Kasten. Ihr Inhalt. Was auf den ersten Blick aussieht wie Dekomaterial, ist pures Gold in kleinen Kügelchen. Daneben steht jeweils eine Pappschachtel mit Platin, Palladium, etwas Kupfer. „Naja, das sind da so ungefähr 130.000 Euro, die dastehen“, schätzt Verwohlt lächelnd. Auf den ersten Blick zu erkennen ist das in dem bescheidenen Büro nicht. Nur die dicken Türen des begehbaren Tresors verraten, dass es hier vielleicht um größere Summen geht. Mit einer Waage auf dem Schreibtisch wird hier die genaue Mischung der Legierung vorbereitet, die später in der Werkstatt eingeschmolzen wird.
Tradition mit modernen Fertigungstechniken
Ein Mitarbeiter der Manufaktur erhält diese Mischungen. Er bekommt auch die Zettel, auf dem nicht nur jedes Schmuckstück abgebildet und seine Zusammensetzung verzeichnet ist. Darauf steht auch genau, wann das Schmuckstück wo und von wem in Auftrag gegeben wurde. Kein Schmuckstück ist hier wie das andere. Alles sind einzelne, individuelle Aufträge. Ein Barcode am oberen Rand des Zettels verrät zudem, wie weit die Fertigung gerade vorangeschritten ist. Die Moderne macht auch vor der Manufaktur nicht Halt. Die Vergangenheit ist aber auch immer dabei: Auf dunklen Holzbrettern mit sechs Kästchen liegen die Zettel in den Tüten mit den Rohlingen. Jedes Tütchen hat ein Fach. Warum es sechs sind? „Früher wurde von Montag bis Samstag gearbeitet“, erklärt Verwohlt. Anhand der Lage konnten die Mitarbeiter genau den Fertigungsstand ablesen. Und auch wenn heute längst nicht mehr am Wochenende gearbeitet wird; die Bretter sind noch immer im Einsatz.
In dem Bereich, in dem die Legierungen gegossen werden, ist es dunkel. Auf Schildchen steht, welcher Gusstiegel für welche Mischung genommen wird. So kann es nicht zu Verunreinigungen kommen. Der Gusstiegel kommt in ein Loch des Ofens. Eine bläuliche Flamme flackert über ihm. Sie dient dazu, dass kein Sauerstoff an das Gemisch gelangt. Bei 980 bis 1500 Grad Celsius schmilzt das Metall sehr schnell. Um sicherzustellen, dass die Metalle sich gut verbinden, wird die Legierung zunächst erhitzt, die Hälfte abgegossen und dann mit dem verbliebenen Rest im Tiegel nochmals eingeschmolzen.
Die Kunst des Schmiedens
Glühend ergießt sich die Legierung in die Form. Sie erkaltet schnell. Als der Manufaktur-Mitarbeiter den eher unscheinbaren Block in eine Wasser-Spiritus-Lösung taucht, zischt es leise. Anschließend wird der Block mehrfach gewalzt. Er ist noch immer so heiß, dass man ihn nur kurz mit Handschuhen anfassen kann. Danach hat sich das Metall eine Ruhephase verdient. „Es ist gestresst“, erklärt Verwohlt, „müde.“ In der so genannten Glühstraße darf es sich bei 680 Grad Celsius ausruhen. Danach ist das Gefüge wieder geordnet und das Material kann weiterbearbeitet werden. „Etwa 200 Handgriffe benötigen wir, bis ein Trauring fertig ist“, erklärt Scheben – wobei Handgriffe wörtlich gemeint sind. Aus dem gewalzten Barren wird je nach Ringgröße ein Kreis ausgestanzt. Der Rest des Metalls wird wieder eingeschmolzen. Das geht seit 1873 so. Nachhaltigkeit war schon damals ein Thema – ohne diesen Begriff zu verwenden. „Theoretisch ist vom ersten Trauring noch etwas in jedem heute hergestellten Ring vorhanden“, sagt Scheben.
Handgefertigte Präzision trifft auf Hightech-Innovation
Der Ring wird in Form gerandelt. Danach erhält er von Hand seine Punze mit der Goldangabe und dem Herzen von Niessing. Wie er dann weiterverarbeitet wird, hängt davon ab, welche Version der Kunde erhalten wird. Soll er einzelne Brillanten erhalten, kommt er in eine Spezialmaschine. Dort platziert die Brillantfassmaschine computergesteuert die noch so kleinsten Steine exakter als es jeder Mensch könnte, und befestigt die Diamanten so, dass sie später wie unsichtbar schwebend erscheinen werden. Wie das genau geschieht? „Einiges hier in der Werkstatt ist ein Geheimnis“, sagt Hans Verwohlt. Natürlich weiß er als Leiter der Entwicklungsabteilung um so manches, was aber auf keinen Fall Preis gegeben wird – so zum Beispiel, wie die spezielle Fassung von Steinen.
„Unser Schmuck ist zu 50 Prozent High-Tech und zu 50 Prozent Handarbeit“, betont Scheben. Während die Maschinen, die Ähnlichkeit mit denen aus der Automobilbranche haben, in der ersten Etage sind, ist der Bereich „Handarbeit“ im zweiten Stock angesiedelt. Hier sitzen die Goldschmiede und stellen Ringe, Ketten oder Ohrschmuck fertig. Viele arbeiten mit Lupenbrillen. Sie polieren, falten, schweißen mit dem Laser. Die konzentrierte Stille durchschneidet ab und an das Surren eines feinen Schleifgerätes, das ein wenig so aussieht wie der Bohrer beim Zahnarzt. Ähnlich wie beim Polieren der Zähne werden hier auch die Schmuckstücke behandelt – nur, dass das Polieren hier durchaus einmal bis zu einer Stunde dauern kann. Entdeckt die Goldschmiedin hier nur eine Pore im Metall, geht der Ring zurück. Wenn nicht, kann er in der Gravurabteilung noch einen individuellen Schriftzug erhalten, bevor die Qualitätskontrolle ganz am Ende des Fertigungsprozesses den Ring nochmals genau unter die Lupe nimmt.
Meisterhaftes Handwerk
Ein ganz besonderes Schmuckstück ist gerade in der Goldschmiede in Arbeit. Der Niessing Spannring Ära sieht aus, als würde ein großer Diamant von zwei Ringen in der Schwebe gehalten. Gleichzeitig schmücken ihn 130 kleine Brillanten, die auf den Bögen des Ringes von Hand platziert werden. „Bis alle Steine sitzen, kann es bis zu acht Stunden dauern“, weiß der Chef der Entwicklungsabteilung. Besonders spannend ist immer der Moment, in dem der Hauptstein wie ein Schlussstein eingepasst wird. Dazu wird der passende Brillant mit Hilfe einer Pinzette und eines selbst entwickelnden Werkzeugs in das Schmuckstück fachmännisch eingesetzt. Der Ring hält den Stein in der Schwebe. Er bricht das Licht so, dass es nach oben ohne Verluste wieder austritt. Die Reflektion ist vollkommen. Selbst an einem solchen trüben Tag in Vreden schenkt er der Welt ein Strahlen – und seinem Besitzer später sicherlich auch ein Lächeln.
Text: Heike Schmidt, Fotos: Stefan Arend