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NICHT GANZ VON DIESER WELT

06. August 2021

Sie sind auf der Suche nach Schmuck der entschieden anderen Art? Auf zu Designerin Jil Köhn!
Text: Jörg Worat Foto: Kevin Momoh
Klassischer Fall von Frühbegabung: „Den ersten Schmuck soll ich mit zwei Jahren gemacht haben“, sagt Jil Köhn. „Eine Kette aus meinen Schnullern.“ Wer sich 31 Jahre später in der Werkstatt der Designerin umschaut, stellt fest, dass sich zwar das Material geändert hat, nicht aber der originelle Zugriff: Diese Kollektion ist gewiss einzigartig.
Sie umfasst Broschen, Ringe, Ohrringe, oft von einer ausgeprägten Farbigkeit, als würde der Schmuck von innen heraus leuchten. Die Formen sind naturhaft, erinnern an Hölzer, Steine oder Kristalle, und insgesamt entsteht ein etwas unwirklicher Eindruck. „Mein Schmuck ist eine Hommage an die Natur und ein Appell an das Träumen“, schreibt Jil Köhn auf ihrer Homepage. Wer daraus den Schluss zieht, dass die Designerin nicht nur mit Feilen, Sticheln, Hämmern und Lötkolben umzugehen weiß, sondern auch mit Worten, liegt richtig – ihre Sprache ist zuweilen reine Poesie.
Von der Natur war die Rede, und aus eben dieser bezieht Jil Köhn ihre Inspirationen. Flugs holt sie mehrere Schub­laden voller Äste, Gesteine, Flechten und Blütenkapseln hervor: „Das ist die Grundlage für meine Arbeiten. Ich forme die Fundstücke ab und modelliere sie mit zusätzlichen Elementen, aber die Grundstruktur bleibt immer unverändert.“ Soll heißen, die Designerin würde nicht auf die Idee kommen, einen gefundenen Stein zu zerbrechen: „Das wird durch die Natur vorgegeben“, betont sie und verweist beispielhaft auf eine Anstecknadel mit offensichtlich zweighafter Anmutung: „Das Astloch liegt genau im Goldenen Schnitt. Würde man so etwas konstruieren, wäre es nicht mehr echt.“

Die Kraft der Imagination

Das Vertrauen in den Zufall äußert sich bereits im Aufspüren der Inspirationsquellen: „Wenn ich mit dem Ziel losgehe, etwas zu finden, funktioniert es nie. Nur wenn ich etwa beim Joggen bin und an ganz andere Dinge denke, habe ich eine Chance.“ Klingt ein wenig mystisch? Gegen das Wort hat Jil Köhn überhaupt nichts einzuwenden – um noch einmal ihre Homepage zu zitieren: „Die Fantasie kann als die Fähigkeit betrachtet werden, über die objektive Welt hinauszugehen.“
Der Verweis auf die Schnullerkette legt den Gedanken an einen schnurgeraden Berufsweg nahe. Doch dem ist nicht so: „Ich hatte Angst“, bekennt die gebürtige Wuppertalerin unverblümt auf die Frage, warum sie nicht von Anfang an eine entsprechende Ausbildung angestrebt hat. „Es erschien mir zu unsicher.“ Und so war zunächst ein Studium der Kulturwissenschaften in Potsdam und Frankfurt/Oder angesagt – was allerdings die Teilnahme an diversen Goldschmiedekursen nicht ausschloss. „Irgendwann sagte meine Mutter: ,Ich weiß, dass das Einzige, was du machen möchtest, Schmuck ist. Ich unterstütze dich, wenn du noch mal neu beginnen willst.‘“ So kam es dann auch – Jil Köhn machte ihren Bachelor of Arts in Kulturwissenschaften, um sich anschließend bei den deutschen Hochschulen im Fach Schmuckgestaltung zu bewerben. Mit einem etwas überraschenden Ergebnis: „Ich wurde überall angenommen, hatte die freie Auswahl, und es waren auch große Städte dabei. Meine Entscheidung für Hildesheim war total aus dem Bauch heraus.“ Offenbar die richtige, denn über ihren Professor Dr. Georg Dobler weiß die Designerin nur Gutes zu berichten: „Ich hatte so viele Bedenken, was ich alles theoretisch und praktisch beherrschen müsste. Aber er sagte: ,Jil, du musst nichts Neues erfinden. Geh in die Natur, schau dich um. Es ist bereits alles vorhanden, was du benötigst.‘“
Ein ebenso elementarer wie guter Ratschlag. Arbeiten von Jil Köhn, die seit 2018 in Hannover wirkt, waren mittlerweile auf Ausstellungen in zahlreichen europäischen Ländern, Brasilien und den USA vertreten; zu den Auszeichnungen gehörten zuletzt der Förderpreis für angewandte Kunst der Berliner Volksbank und der ungarische „Design With­out Borders Award“. Die Extravaganz der Arbeiten hat sich bis in Prominentenkreise herumgesprochen. So rief einst die Sekretärin von Stardirigent Christian Thielemann an: „Wir haben einen besonderen Deal gemacht, bei dem es für zwei Schmuckunikate zusätzlich zwei Konzertkarten auf den besten Plätzen gab.“

Synergien und Geheimnisse

Seit Kurzem ist Jil Köhn in einem ehemaligen Kutscherhaus auf einem Hinterhof in der Bödekerstraße zugange, das zuletzt der 2019 verstorbene Bildhauer Makoto Fujiwara genutzt hatte. Sie arbeitet hier nicht allein: Mit an Bord sind Ehemann Martin Brandes, Farbdesigner und Werkstattleiter an der HAWK Hildesheim, dessen Kollege Professor Timo Rieke und Sabine Hirsch, Designerin mit dem Schwerpunkt Raum. Die fächerübergreifende Kombination erweist sich als fruchtbar: „Mit Sabine sitze ich einmal wöchentlich den ganzen Tag zusammen, und wir entwickeln neue Ideen. Das sind interessante Synergie-Effekte.“
Jil Köhn hat ihre ganz eigene Schmuck-Philosophie entwickelt, die den jeweiligen Stücken einen speziellen Charakter zuweist: „Ich bin ein bisschen eine Broschenfetischis­tin“, outet sie sich. „Das sind Stücke, die man wie eine Art Auszeichnung trägt, aber nicht spürt. Ringe spürt und sieht man, Ohrringe spürt man, ohne sie zu sehen …“
Wenngleich die Designerin auch eine Silberring-Serie namens „Kósmos“ mit stimmig reduzierter Formgebung anbietet, ergeben sich Fragen doch eher zu ihrem farbstarken Schmuck aller Art. Diesbezüglich hält sich Jil Köhn allerdings, durchaus verständlich, etwas bedeckt: Was genau sich hinter dem selbst entwickelten Material „Diomant“ verbirgt, das zuweilen mit Silber- und Edelstahlelementen kombiniert wird, mag sie nicht verraten. Und wie sie es fertigbringt, dass die Farbpigmente bei ihr eine Art Eigenleben zu entwickeln scheinen, bleibt ebenfalls ein Geheimnis.
Es wäre ja auch langweilig, wenn sich alles erklären ließe – wir erinnern uns an die Mystik. Da zitiert Jil Köhn doch lieber ihr Idol Karl Lagerfeld: „I‘m very much down to earth. Just not this earth.“

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