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Die Renaissance des Rennrads

22. Mai 2024

50 Jahre alte Vintage-Bikes liegen wieder im Trend: Qualität und Funktionalität der Rennräder mit Stahlrahmen überzeugen.

Während unser Alltag sich durch immer neue Technologien rapide wandelt, erlebt eine nostalgische Nische einen bemerkenswerten Boom: Vintage-Rennräder aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Die leichten Räder mit Stahlrahmen staubten jahrzehntelang unbeachtet in Kellern und Garagen vor sich hin, doch nun erobern sie wieder die Straßen und vor allem die Herzen vieler Fahrradliebhaber. Für viele repräsentieren die alten Sie mögen es vintage: Thomas Hebecker und Heike Zwirner-Sott lieben alte Rennräder. 50 Bianchis, Colnagos, Eddy Merckxs, De Rosas oder auch Peugeots eine Verbindung zu einer Zeit, als das Fahrradfahren eher ein Lebensgefühl als eine Leistung war. Für andere sind sie ein cooler, sportlicher Gegenentwurf zum zunehmenden Hochrüsten auf dem Fahrradmarkt. Und alle Fans verbindet die Erkenntnis: Die Qualität und Funktionalität der Stahlrahmenräder schlägt die Angebote des heutigen Massenmarkts um Längen – von der Ästhetik ganz zu schweigen. 

Ein Ort für Austausch

In der hannoverschen Südstadt nahe des Bertha-vonSuttner-Platzes führen Moritz Kaplick und Bernd Zylla ein Atelier für Vintage-Rennräder. Bei Stahl Royal kann man nicht nur alte Rennräder kaufen oder neu zusammenschrauben lassen, das Atelier ist vor allem auch ein Ort für Austausch, Tipps und Gespräche. Die beiden Inhaber freut das, wie Kaplick erzählt: „Wir haben beide reguläre Jobs und machen das hier aus Freude an dem klassischen Design, der tollen Technik und Qualität der damaligen Produkte.“ Dazu passen die Öffnungszeiten: vier Stunden samstags und sonst nach Vereinbarung, wie es passt. 

Geht nicht, gibt's nicht

Kaplick und Zylla sind engagierte Autodidakten, wenngleich auf einem sehr professionellen Niveau. Sie halten sich bei ihrer Arbeit vor allem an zwei Grundsätze: Erstens sollen die Teile, mit denen sie arbeiten, nach Möglichkeit ebenfalls aus der damaligen Zeit sein. Lediglich Verschleißteile wie zum Beispiel Reifen und Schläuche sowie Bremszüge sind aus Sicherheitsgründen zumeist Neuteile. Der zweite Grundsatz lautet: Geht nicht, gibt‘s nicht. Die beiden versuchen, fast jedes Rad zu reparieren. 

Doch was macht die alten Rennräder so attraktiv?

Neben dem zeitlosen Design liegt der Charme in der Verarbeitung und den hochwertigen Materialien: Die Fertigungsqualität fast jeder einzelnen Komponente ist besser als auf dem heutigen Markt, berichtet Kaplick: „Ein Stahlrahmen kann repariert werden und mit ein bisschen Pflege hält er ewig, das ist Nachhaltigkeit pur. Zudem sind die Fahreigenschaften im Vergleich zu Aluminium überragend.“ 

Spalte bearbeiten Texteditor bearbeiten Wer kauft eigentlich um die 50 Jahre alte Rennräder?

Kaplick: „Zu uns in den Laden kommen Menschen jeden Alters. Manche gehen noch zur Schule und sind schon angefixt. Natürlich kommen auch viele Enthusiasten älteren Semesters, die sich jetzt endlich ihren Jugendtraum erfüllen wollen. Und alles dazwischen.“  

"Das ist ein Lebensgefühl"

Angefixt von den Vintage-Rädern sind auch Heike ZwirnerSott und Thomas Hebecker. Heike ist Mitglied bei Stahlrad Laatzen und beim TJK Sarstedt, Thomas bei der Radsportgemeinschaft Hannover. Beide sind schon lange im Radsport aktiv und haben sich vor einigen Jahren in die alten Bikes verliebt. „Wenn man einmal damit gefahren ist, weiß man erst, was der Unterschied ist. Diese Räder sind etwas ganz Besonderes. Da geht es nicht um die Geschwindigkeit, sondern um das Erlebnis, um Gefühl und um puren Spaß. Das ist ein Lebensgefühl. Die Fahrten werden richtig zelebriert,“ erzählt Thomas Hebecker, Besitzer eines Bianchi im ikonischen Celeste und Autor von Büchern über den Radsport. 

‚Mister Steelbike‘

Auch Heike bekommt glänzende Augen, wenn sie auf ihr Pinarello angesprochen wird: „Das Rad hat mal meinem Vater gehört, und ich habe es gemeinsam mit einem Freund – Manfred Galonski, dem ‚Mister Steelbike‘ – wieder instand gesetzt. Jeder, der so ein altes Rennrad fährt, hat eine ganz persönliche Geschichte dazu zu erzählen.“ Besonders stolz ist Heike auf den Staub an ihrem Rad: „Den wasche ich niemals ab, das ist Heldenstaub der Strade Bianche, der weißen Straßen der Toskana. Der ist von der Eroica-Tour 2023!“ 

Wer es wie sie wirklich ernst meint mit dem Lebensgefühl rund um die Vintage-Räder, fährt mindestens einmal im Leben das Radrennen L‘Eroica in dem 2500-Seelen-Dorf Gaiole in der Toskana mit. Jedes Jahr treffen sich dort knapp 10 000 Radler, stilecht gekleidet in Woll-Jerseys und mit Sturzring auf dem Kopf. „Auch wenn es nicht um das Tempo geht, braucht man Kraft und Kondition, und man fährt auch viel über unbefestigte Wege. Aber die Stimmung und das Gemeinschaftsgefühl sind einmalig, das gibt es sonst nirgendwo“, schwärmt sie. 

Das Fazit: Vintage-Rennräder mögen eine Nische auf dem Markt und im Radsport sein – aber bestimmt diejenige Nische, in der die sympathischsten und bestgelauntesten Menschen anzutreffen sind. 

TEXT: Catrin Kuhlmann 
FOTOS: Tobi Wölki

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