Auch das gibt es in der Region Hannover.
nobilis hat Jennifer Hein und ihre wolligen Andenbewohner besucht und bei der Arbeit beobachtet.
Text: Beate Rossbach, Fotos: Shino Photography
Spuckt er oder spuckt er nicht? Yanik schaut misstrauisch auf sein Gegenüber und geht sicherheitshalber etwas auf Abstand. Django blickt mit deutlich verhaltenem Interesse zurück. Er zeigt ein Pokerface – nur seine Ohren bewegen sich vor und zurück. Yanik ist ein erfolgreicher junger Makler aus der Immobilienbranche, der ein individuelles Führungskräfte-Coaching gebucht hat. Django ist ein Lama-Wallach im besten Alter, der dem Menschen am anderen Ende des Stricks gleich eine alte Weisheit demonstrieren wird: Wer andere führen will, muss sich zuerst Akzeptanz und Respekt verdienen und, ganz wichtig: Empathie zeigen.
Yanik möchte vorwärts gehen, Django traut dem Mann am anderen Ende des Stricks noch nicht und bleibt eisern stehen. Da helfen kein Ziehen und erst recht keine Gewalt, keine guten und keine bösen Worte, keine Leckerlis und leeren Versprechungen – Lamas sind zwar nicht gefährlich, aber auch keine willigen Kuscheltiere, die sich anbiedern und von jedem kraulen lassen. Sie sind intelligent, kritisch und halten erst einmal Distanz. Und damit sind sie die idealen Partner für Workshops mit Themen wie „Führungsqualitäten verbessern“ oder „Lösungsorientiert Konflikten begegnen“.
Workshops mit Lamas in der Region Hannover
Django lebt mit fünf Kollegen, alles Wallache verschiedenen Alters und unterschiedlicher Rassen, auf einem großen Waldgrundstück bei Rehburg-Loccum, mit Weideflächen und einem Stall, in dem die Tiere die Nacht verbringen. Die kleine Herde gehört Jennifer Hein, die sich mit eigenen Tieren und ihrem Unternehmen „Lamameer – Outdoortraining, Coaching und mehr“ Anfang dieses Jahres selbstständig gemacht hat, in praktischen Dingen tatkräftig unterstützt von ihrem Lebensgefährten Bernd Beermann. Vorher hat Jennifer die Tiere und ihre Bedürfnisse lange studiert, hat bei Lamazüchtern mit ihnen gearbeitet und ist von ihnen fasziniert: „Lamas haben einen eigenen Charakter, der berücksichtigt werden muss, jedoch sind sie zu jeder Zeit authentisch und wertschätzend im Umgang.“
Alpakas, die man mittlerweile häufig sieht, und Lamas sind verwandt. Jennifer Hein erläutert: „Beide gehören zur Familie der Neuweltkameliden, beide aus Südamerika, aber die Alpakas stammen von den Vikunjas ab, die Lamas hingegen von den Guanakos.“ Alpakas sind süß, sagt sie, aber Lamas haben einen stärkeren Charakter und sind feinfühliger.
Coaching-Programme mit Lamas
Der Einsatz von Lamas wird bislang nur von wenigen Coachs in Deutschland praktiziert. Jennifer Hein hat ihre Ausbildung dazu passend zu ihrem Hauptberuf aufgebaut. „Ich wollte schon immer mit Tieren arbeiten. In der Erwachsenenbildung hatte ich schon mehrere Jahre lang Trainings und Workshops geleitet und wollte Tiere nun im psychosozialen Bereich einsetzen, um Sozialkompetenzen zu fördern.“ Die 31-Jährige hat Erziehungs- und Sozialwissenschaften studiert, danach Arbeits- und Wirtschaftssoziologie, hat einen Masterabschluss und ist Leiterin und stellvertretende Direktorin der Heimvolkshochschule in Rehburg-Loccum. Ihre Qualifikation als Coach in der Erwachsenenbildung hat sie berufsbegleitend unter anderem an der Leibniz Universität erlangt. Im Bereich Tierbegegnungen besuchte sie das „Institut für soziales Lernen mit Tieren“ und absolvierte weitere Zusatzausbildungen.
Lama-Wanderungen: Kleine Auszeiten vom Alltag
Mit ihren Tieren arbeitet Jennifer täglich. Die Programme, die sie anbietet, finden großen Anklang und werden gern gebucht, „bisher überwiegend von Frauen“, wie sie erzählt. Das Angebot beginnt mit dem leichten, entspannten Einstieg bei Lama-Wanderungen mit Django und seinen Kollegen durch die schöne Natur nordwestlich vom Steinhuder Meer und Waldbaden nach der japanischen Shirin-Yoku-Philosophie. Kleine Auszeiten vom Alltagsstress, „die im Zeitalter der Digitalisierung und bei dem damit verbundenen Druck immer wichtiger werden. In der Natur zu sein beruhigt, erdet die Menschen wieder und schützt vor einer Burn-out-Erkrankung.“
Wer es noch inniger mag, kann „Auf Tuchfühlung mit den Lamas“ oder „Lama-Date für Verliebte“ buchen. Auch beim Erreichen beruflicher Ziele sind Lamas perfekte Partner: „Das Lama wird nicht als Coach, sondern als Co-Coach eingesetzt, um dem Coachee eine andere Art der Selbstreflexion zu bieten“, erklärt Jennifer Hein. „Der erlebte Prozess mit dem Lama wird im Anschluss mit dem Coach reflektiert, in die Berufspraxis und den Alltag transferiert und vor dem Hintergrund bewährter Theorien analysiert. Das Lama dient dabei als Metapher und Übungsobjekt, zum Beispiel für ein klares, authentisches Auftreten, oder es lässt unbewusste Emotionen und Verhaltensweisen deutlich werden.“
Lamas spiegeln ihr Gegenüber
Jetzt wird klar, warum Yanik und Django zu Beginn Meinungsverschiedenheiten hatten, denn: „Lamas spiegeln direkt und ohne Wertung das Verhalten ihres Gegenübers. Sie sind zwar neugierige Tiere, dem Menschen gegenüber aber trotzdem zuerst zurückhaltend. In freier Begegnung bleiben Lamas dem Menschen erst einmal fern, wenn sie spüren, dass er Distanz braucht. Ebenso nehmen sie aber auch wahr, wenn Menschen bereit für Nähe sind, und kommen näher. Durch das Vergrößern und Verkleinern der Distanz als respektvolles Kommunikationsmittel wird der Coachingprozess unterstützt. Menschen mit negativen Gedankenmustern können diese überprüfen und korrigieren. Vertrauen kann aufgebaut und die Persönlichkeitsentwicklung beeinflusst werden.“
Das klingt ganz nach dem echten Leben, wenn der neue Abteilungsleiter sich mit seinem Team bekannt macht. Wer dann einen Lama-Workshop erlebt hat, ist klar im Vorteil, denn, so Jennifer Hein: „Lamas reagieren grundsätzlich positiv auf klare Ziele und eindeutige Anweisungen. Sie zeigen es, indem sie entspannt und ruhig mitlaufen und nicht wie bei Yanik stehen bleiben.“
Das passiert, weil sie den Führer nicht als Leitfigur akzeptieren oder nicht wissen, was von ihnen erwartet wird. Meistens ist der Mensch am Ende des Seils unsicher, mit den Gedanken woanders oder er will oder kann sich nicht durchsetzen. Lamas aber leben im Hier und Jetzt und brauchen die authentische, klare und wertschätzende Führungskraft.“
Nach einiger Zeit haben sich die beiden Herren, der Zweibeiner und der Vierbeiner, dann offensichtlich akzeptiert und gehen lässig miteinander spazieren. Es wird deutlich, dass Körpersprache eine große Rolle spielt – auch das eine Erfahrung, die sich sehr gut in Alltag und Beruf integrieren lässt. Jennifer Hein nickt zustimmend: „Wofür wir Menschen oft erst wieder ein Gespür bekommen müssen, dafür brauchen Tiere nur ihre Intuition. Besonders Lamas geben ungefiltert Feedback. Sie sensibilisieren für kleine Signale, liefern Anregungen, sind Verhaltensvorbilder, wecken Emotionen und sorgen so für nachhaltige Lernerlebnisse.“
Tolle Tiere also, mit denen Ungewöhnliches erlebt werden kann, sofern man bereit ist, die eigene Komfortzone zu verlassen und sich an ungewöhnliche Orte zu begeben. Die Anden müssen es dafür nicht sein.
Weitere Infos zu „Lamameer“ und den Touren unter www.lamameer.com